Titelfoto: Die »Ciudad de Barcelona« im Heimathafen Barcelona Fotos: Archiv/Herbert Remmel
Sie sangen die »Internationale«
Der Untergang der »Ciudad de Barcelona« vor 80 Jahren. Von Herbert Remmel
Sonntag, den 30. Mai 1937, um 14 Uhr. Das aus Marseille kommende und unter der Flagge der Spanischen Republik fahrende Motorschiff »Ciudad de Barcelona« steuert unter voller Kraft voraus bei ruhigem und sonnigem Wetter entlang der spanischen Küste dem Zielhafen Barcelona entgegen. Das kombinierte Fracht- und Passagierschiff hatte am Tag vorher in Marseille neben einer Ladung Nahrungsmittel etwa 250 Männer an Bord genommen, die an der Seite der Spanischen Republik den Kampf gegen die Franco-Putschisten als Freiwillige in den Internationalen Brigaden aufnehmen wollten. Das war der Mannschaft eines am gegenüberliegenden Pier festgemachten italienischen Kriegsschiffes nicht verborgen geblieben, die sogleich alarmierende Funksprüche absetzte.
Außer den zumeist US-amerikanischen Passagieren befanden sich an Bord der »Ciudad de Barcelona« auch Engländer und Italiener, einige Neuseeländer und Australier, eine Gruppe französischer Piloten, Finnen, Dänen, Norweger und auch wenige Deutsche, unter ihnen der Kommunist Willi Remmel aus Köln-Mülheim. Wegen zahlreicher U-Bootwarnungen, die der Kapitän des Schiffes sowohl in Marseille als auch während der Fahrt erhalten hatte, hielt er engen Kurs entlang der spanischen Küste.
Etwa zeitgleich mit der »Ciudad de Barcelona« hatte das unter der Putschistenflagge fahrende U-Boot »General Sanjuro« seinen Liegeplatz im Hafen Sòller auf Mallorca verlassen. Es handelte sich um das ultramoderne italienische U-Boot »Toricelle«, das Mussolini inklusive der italienischen Besatzung Franco zur Verfügung gestellt hatte und das dann auf Sanjuro umgetauft worden ist. Unter dem Namen des als Schlächter von Andalusien bekannt gewordenen Mitputschisten von Franco steuerte es nun zielstrebig auf die spanische Küste zu. Auf Höhe der etwa 60 Kilometer von Barcelona entfernten Stadt Malgrat del Mar feuerte das U-Boot ein Torpedo ab. Es traf ohne Vorwarnung die »Ciudad de Barcelona« achtern des Maschinenraums und riss das Heck auseinander, was zum Sinken des Schiffes innerhalb von wenigen Minuten führte
Der US-Amerikaner Jack Freeman, Überlebender der Katastrophe, berichtet später seinem Bruder brieflich nach Amerika: »Meine Kabine befand sich im hinteren Teil des Schiffes, unmittelbar hinter dem Maschinenraum. Allgemein herrschte die Anordnung, dass wir Passagiere uns entweder in den Kabinen, den Salons oder den Gängen aufhalten sollten. Aber an diesem Sonntagnachmittag wurde uns nach langem Betteln gestattet, auf eine Zigarettenlänge mittschiffs an Deck zu gehen. Wir standen dann an der Reling und schauten auf die friedlich daliegende Küste, an der auf den Strand gezogene Fischerboote in der Sonne funkelten. Plötzlich gab es einen dumpfen Knall, ein Aufbäumen des Schiffes und ich flog in hohem Bogen von der Reling gegen die Kabinenwand.« Ohne zu wissen, wie er dort hinein gekommen war, fand sich Jack in einem Rettungsboot wieder, das bereits voller Spanier und Franzosen war. »Wir stießen uns von dem schnell sinkenden Teil des Schiffes ab, waren aber viel zu aufgeregt, um diszipliniert zu rudern, so dass ich die Gelegenheit hatte, mich umzusehen: Es war ein dreckiges Geschäft, das der Torpedo angerichtet hatte. Einige Kameraden, auch in meiner Kabine, musste es im Schlaf erwischt haben, andere wurden unter Deck eingeschlossen – wir konnten sie die ›Internationale‹ singen hören. Wiederum andere wurden durch herumfliegende Eisen- und Holzteile tödlich verletzt. Die meisten Kameraden waren jedoch ins Wasser gesprungen oder beim Aufbäumen des Schiffes über Bord geworfen worden.«
Die »Ciudad de Barcelona« war mit Rettungswesten bestückt, doch nur wenige Passagiere konnten sich die im vorderen Teil des Schiffes befindlichen greifen. Nach Freeman gelang es, nur zwei Rettungsboote klar zu machen. »Im Wasser schwammen aber so viele Holzteile, dass die meisten Kameraden sich festklammern konnten. Als ich zum Schiff blickte, befand sich für Sekunden nur noch ein Teil von dessen Bug über Wasser, an den sich ein Kamerad klammerte, der offensichtlich nicht schwimmen konnte. Er ging wohl als letzter Mann mit dem Schiff unter.«
Willi Remmel ist ebenfalls über Bord geworfen worden. Bereits in jungen Jahren war er Mitglied im Köln-Mülheimer Arbeiterschwimmverein Neptun und ein erfahrener und ausdauernder Rhein-Schwimmer. Nachdem er einigen Kameraden in eines der Rettungsboote geholfen hatte, schwamm er Richtung Strand. Dort hatten zwischenzeitlich einige Fischer ihre auf Land gezogenen Boote freigemacht und ruderten dem Unglücksort entgegen, wo sie zahlreiche Leute aus dem Wasser zogen. Eines der Boote steuerte auch Willi Remmel an, der den Fischersleuten jedoch gestikulierend verständlich machen konnte, weiter zu den Kameraden zu rudern.
An Land hatten sich zahlreiche in Strandnähe wohnende Malgratener eingefunden, die aus ihren Häusern Decken und Kleidungstücke mitbrachten, mit denen sie die gestrandeten Internationalisten empfingen und versorgten. Die Besatzung des städtischen Krankenhauses rückte mit einer Ambulanz, Tragen und wärmenden Getränken an, darunter einige Flaschen Cognac, wie Jack Freemann in seinem Brief hervorhob.
Die Überlebenden wurden in den städtischen Versammlungssaal geleitet und dort weiter versorgt. Zwischenzeitlich war mit Barcelona telegrafiert worden, von wo Kataloniens Präsident Lluis Companys nach Malgrat de Mar eilte und weitere Hilfe organisierte. Er stellte zudem den Überlebenden frei, ihnen nach diesem tragischen und entmutigenden Erlebnis auf Kosten der Republik die Heimreise zu ermöglichen – ein einziger Überlebender soll das Angebot angenommen haben. Zwischenzeitlich hatten die jeweiligen Landsleute versucht, ihre Verluste zu zählen. Sie kamen auf 62 Kameraden und Genossen, die zumeist mit dem Schiff untergegangen waren.
In den nächsten Tagen reisten die Freiwilligen zu den ihnen vorab genannten Anlaufstellen. Willi Remmel gelangte über Barcelona, Valencia und Albacete am 3. Juni 1937 in die Ausbildungsbasis der Internationalen Brigaden in Madrigueras. Bereits am 6. Juni stand er in den Reihen der XI. Internationalen Brigade (Thälmann) und nahm in der Folgezeit an den Kämpfen um Brunete, Quinto, Belchite, Teruel und am Ebro teil, wurde drei Mal verwundet und bestritt am 31. Januar 1939 bei Palafrugell sein letztes Gefecht gegen die Faschisten. Am 8. Februar musste er sich mit seiner Einheit bei Cerbère in französische Internierung begeben.
Jack Freeman, der uns durch seinen Brief am Schicksal der »Ciudad de Barcelona« teilnehmen ließ, verlor am 9. September 1938 in der Sierra de Caballs sein Leben im Kampf für Freiheit und Demokratie.
Quelle: neues deutschland (nd), Berlin-Ausgabe vom Samstag, 27. Mai 2017, Seite 27.
Foto: Rob MacDonalds Modell des geplanten Denkmals am Strand von Malgrat