Titelbild: Seit 70 Jahren schreibt sich die VVN die Zusammenarbeit aller antifaschistischen Kräfte auf die Fahne: Protestzug in Berlin (April 2009). Foto: Marcel Mettelsiefen dpa/lbn
Zeiten ändern sich, Ziel bleibt
70 Jahre VVN: Ein antifaschistischer Verband mit großer Tradition kämpft gegen Neofaschismus und rassistische Umtriebe
Quelle: junge Welt, 15.03.2017, Schwerpunkt, Seite 3
Von Ulrich Schneider Unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus und dem Ende des Krieges gründeten ehemalige politische Häftlinge, Nazigegner verschiedener Richtungen und Überlebende der Verfolgung Gefangenenkomitees wie in Hamburg, die Bremer »Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus« und weitere Vereinigungen. Zum Teil gegen die Blockadepolitik der alliierten Besatzungsmächte begann man mit der Zusammenarbeit und formulierte im August 1946 während eines Treffens in Hanau folgende Ziele:– Aufklärung über die faschistischen Verbrechen,– Erinnerung und Würdigung des antifaschistischen Widerstandskampfes,– Kampf gegen alle ideologischen Reste des Nazismus, des Militarismus und der Rassenlehre, gegen ein Wiederaufleben des Nazismus und für den Völkerfrieden,
– Zusammenarbeit aller antifaschistischen, demokratischen Kräfte.
Die Organisation wurde mit Rücksicht auf die Westalliierten »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« genannt. Das war die Basis, als man am 15. bis 17. März 1947 zur ersten interzonalen Konferenz in Frankfurt am Main zusammentraf.
Die Liste der Gründer liest sich wie ein »Who is who« der demokratischen Bewegung der Nachkriegszeit. Zu ihnen gehörten in Berlin der ehemalige Buchenwald-Häftling Walter Bartel, der evangelische Pfarrer Heinrich Grüber und Heinz Galinski für die jüdische Gemeinde. In Hessen waren es Lore Wolf, Emil Carlebach und Dr. Hans Mayer. Zu den Gründern gehörte auch Eugen Kogon, der Autor des Buches »Der SS-Staat«. Er verließ jedoch im Februar 1950 die Organisation und schloss sich dem – mit Geldern des Bundesinnenministeriums gegründeten – »Bund der Verfolgten des Naziregimes« (BVN) an, einer Organisation, die wenige Jahre später in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Zuvor hatte bereits die SPD einen »Unvereinbarkeitsbeschluss« gegen die VVN gefasst. Dieser Beschluss wurde formell erst vor wenigen Jahren aufgehoben.
Und so erfuhr die VVN in der Zeit des Kalten Krieges massive Einschränkungen. In der BRD wurde sie als gesamtdeutsche Organisation wegen ihrer Kontakte zur DDR verfolgt. In der DDR erklärte sie im Frühjahr 1953 auf politischen Druck der SED ihre Selbstauflösung.
Ein wichtiger Schritt für die Zukunft der VVN war der Oberhausener Kongress 1971 mit der Erweiterung zum »Bund der Antifaschisten« und damit die Öffnung der Organisation für Nachgeborene. Diese Öffnung brachte nicht nur jüngere Mitglieder, die aus politischer Überzeugung sich dem Antifaschismus verbunden fühlten, sondern auch politische Handlungsfähigkeit. 1975 konnte zum 8. Mai die erste Großkundgebung in der BRD mit 40.000 Teilnehmenden anlässlich des Tages der Befreiung organisiert werden. In den folgenden Jahren war die VVN immer wieder Kern antifaschistischer Bündnisse und Großdemonstrationen gegen das Deutschlandtreffen der NPD, gegen »Traditionstreffen« der SS-HIAG, zur Erinnerung an den Jahrestag des 30. Januar 1933 und der Reichspogromnacht 1938. Die neuen Mitglieder brachten nicht nur neue Kraft, sondern auch neue Fragen und Aktionsformen in die Organisation.
Auf dem Düsseldorfer Bundeskongress von 1990 gelang es der VVN-BdA, in einer existentiellen Krise die Organisation auf neue – ehrenamtliche – Beine zu stellen und ihre politische Selbständigkeit gegenüber allen parteiorientierten Kräften zu verteidigen. Statt dessen baute die VVN ihre Kontakte auch in Richtung autonomer antifaschistischer Strukturen und Kräfte aus.
Die VVN-BdA verstand sich in den folgenden Jahren auch als Bindeglied zwischen Kräften der sich autonom links verstehenden Bewegung und etablierten Strukturen in Politik und Arbeiterbewegung. Einen großen Anteil daran hatten Zeitzeugen wie Kurt Bachmann, Emil Carlebach oder Peter Gingold, die, ausgehend von ihrem persönlichen Erleben, die Notwendigkeit heutiger antifaschistischer Politik begründeten. Dieser Spagat war nicht immer einfach, hat aber zum politischen Gewicht der VVN beigetragen. Ein sichtbares Zeichen für die breite Mobilisierungsfähigkeit der antifaschistischen Idee war die No-NPD-Kampagne (»nonpd«), bei der 175.000 Unterschriften für einen Verbotsantrag gegen diese neofaschistische Partei gesammelt werden konnten.
Eine Herausforderung war die Integration der antifaschistischen Kräfte in den neuen Bundesländern. Während die meisten Westorganisationen die Ostverbände einfach schluckten, war die Zusammenführung der antifaschistischen Verbände ein mühsamer, aber insgesamt erfolgreicher Prozess, bei dem es gelang, die Wertschätzung der antifaschistischen Traditionen der DDR mit den aktuellen Kämpfen um die Bewahrung der Erinnerung, gegen Neofaschismus und rassistische Pogrome zu verbinden.
Heute hat sich die VVN-BdA gewandelt. Man findet nur noch wenige Zeitzeugen in ihren Reihen. Aber die Ziele, für die die VVN vor 70 Jahren angetreten ist, sind – in modifizierter Form – so aktuell wie damals.
Immer noch geht es gegen das Wiederaufleben des Nazismus, gegen Rassismus und Rechtspopulismus, um die Bewahrung der Erinnerung an den antifaschistischen Kampf, um Demokratie und Frieden. Dabei bleibt das Vermächtnis des Schwurs der Überlebenden von Buchenwald: »Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit«, weiterhin das gemeinsame Fundament aller Mitglieder der VVN-BdA.
Der Autor ist Historiker und Bundessprecher der VVN-BdA
Drei von vielen: Gründer der VVN
Die VVN wurde von Frauen und Männern begründet, die sich an den verschiedenen Frontabschnitten gegen den Faschismus, seine Kriegs- und Rassepolitik gestellt haben oder Opfer der gesellschaftlichen Ausgrenzung und faschistischen Verfolgung wurden. Sie hatten unterschiedliche politische, soziale oder religiöse Vorstellungen. Exemplarisch seien drei von ihnen hier genannt:
Peter Gingold (1916–2006, Hessen)
Bereits als Jugendlicher war er aktiv im Widerstand. Als Jude und Kommunist zur Emigration nach Frankreich gezwungen, schloss er sich nach dem faschistischen Überfall der Resistance an. Verhaftet gelingt ihm eine spektakuläre Flucht aus den Klauen der Gestapo, und er kämpft mit bei der Befreiung von Paris. Zurück in Frankfurt am Main engagiert er sich für einen antifaschistischen und demokratischen Neubeginn, erlebte jedoch das Verbot der KPD 1956 und die erneute Verfolgung seiner Familie. Dennoch war er bis zu seinem Tod als Zeitzeuge, als »Mutmacher in Sachen Antifaschismus« unterwegs.
Hans Lauter (1914–2012, Sachsen)
Als Arbeitersportler und Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes KJVD wurde er 1933 verhaftet und ins KZ Sachsenburg verschleppt, später wegen »Hochverrats« verurteilt, im Zuchthaus Waldheim und in den Emslandlagern inhaftiert. Im Februar 1945 gelang ihm bei Trümmerarbeiten im zerstörten Dresden die Flucht. Im Juli 1945 trat Hans Lauter der KPD bei und war bis zur Auflösung 1953 Mitglied der VVN, später Vorsitzender des Stadtkomitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer in Karl-Marx-Stadt. 1990 setzte er sich für die Wiedergründung der VVN in Sachsen ein und wurde 2008 zum Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA gewählt.
Jeanette Wolff (1888–1976, Berlin)
Als Sozialdemokratin engagierte sie sich in den 20er Jahren in Bocholt im »jüdischen Frauenbund« und in der Arbeiterwohlfahrt. 1933 für zwei Jahre in Schutzhaft genommen, wurde ihre Existenz in der Pogromnacht 1938 endgültig zerstört. Ihr Mann kam ins KZ Sachsenhausen, sie und ihre Familie wurden in das Ghetto Riga verschleppt. Sie überlebte und kehrte 1945 nach Berlin zurück, wo sie am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde mitwirkte. Ab 1946 war sie SPD-Abgeordnete in Berlin. Im Januar 1948 wurde sie stellvertretende Vorsitzende der Berliner VVN, verließ jedoch auf Druck der SPD Mitte des Jahres die Organisation.
15.03.2017 / Schwerpunkt / Seite 3
Nazigegner im Visier der Verfolgungsbehörden
Ulrich Schneider
Nur wenige Jahre nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus entdeckten die in Justiz, Polizei und Geheimdiensten weiterbeschäftigten alten Nazis die in der VVN organisierten Antifaschisten wieder als Feindbild. Als gesamtdeutsche Organisation widersprach die VVN Adenauers Kurs der Westintegration. Nachdem durch den Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD und politische Abspaltung der CDU-nahen BVN um Peter Lütsches mit Geldern des Bundesinnenministeriums die politische Breite der VVN beschädigt worden war, wurde sie als »kommunistische Tarn- und Vorfeldorganisation« verfolgt.
Schon mit dem »Blitzgesetz« vom Sommer 1951 wurde die VVN ausgegrenzt, Mitglieder mussten sich zwischen VVN und Arbeit im öffentlichen Dienst »entscheiden«, später wurden polizeiliche Maßnahmen gegen die Organisation ergriffen. So setzte die hessische Polizei im Auftrag der Adenauer-Administration die Schließung des Büros des gesamtdeutschen Rates in Frankfurt am Main durch. In verschiedenen Bundesländern (Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) wurden Verbote gegen die formell selbständigen Landesvereinigungen durchgesetzt. Und Anfang der 60er Jahre versuchte die Bundesregierung die VVN insgesamt per Gericht verbieten zu lassen. Das Verfahren scheiterte grandios, als August Baumgarte (Hannover) im Gericht Dokumente präsentierte, dass der Vorsitzende Richter ein ehemaliger Nazi war. Das Scheitern war aber auch eine Reaktion auf die internationale Solidarität mit der VVN.
Ungeachtet dieser Niederlage blieb die VVN im Visier der Geheimdienste. In verschiedenen Berufsverbotsverfahren in den 70er Jahren wurden den Betroffenen auch die Mitgliedschaft in der VVN-BdA vorgeworfen. Zwar gab es seitens der VVN keinerlei Aussagen oder Handlungen, die als verfassungswidrig anzusehen seien, aber die Organisation galt in den Augen des Verfassungsschutzes (VS) als größte kommunistisch beeinflusste Massenorganisation. In den 80er Jahren wurde es stiller um die politische Ausgrenzung.
Mit dem Ende der DDR begann nicht nur ein ideologischer Angriff auf den Antifaschismus (»DDR-Ideologie«), auch die Überwachung der VVN und Erwähnung im VS-Bericht wurden forciert. Nachdem die Nennung der FIR (Fédération Internationale des Résistants – Internationale Föderation der Widerstandskämpfer) 2006 außenpolitisch zum Eklat führte, verschwand die VVN aus zahlreichen VS-Berichten. In Bayern steht die Organisation aber immer noch auf einer Liste von »extremistischen bzw. extremistisch beeinflussten Organisationen«. Zwar gibt es dafür keine Begründungen, aber Bewerber für den öffentlichen Dienst müssen erklären, dass sie kein Mitglied der VVN-BdA sind.
Erst jüngst wurde durch das Gerichtsverfahren Silvia Gingold gegen den hessischen Verfassungsschutz bekannt, dass elf Landesämter weiterhin die VVN überwachen, selbst wenn sie die Organisation nicht mehr in ihren Berichten erwähnen. Für die Kämpfer in den Schützengräben des Kalten Krieges bleibt Antifaschismus auch nach 70 Jahren das Feindbild.
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