Kellner im Karl-Liebknecht-Haus
Die Erinnerungen des kommunistischen Spanienkämpfers und KZ-Überlebenden Willi Engels
Für seine Enkel hat Willi Engels eine Autobiografie verfasst. 30 Jahre nach seinem Tod kann sie nun jeder lesen.
Von Andreas Fritsche
»Meinen Enkeln Bernd und André habe ich oft, als sie noch sehr jung waren, von den Erlebnissen der faschistischen Lager Sonnenburg und Sachsenhausen einige Ereignisse übermittelt. Jedoch mit den Grausamkeiten, deren ich dort Zeuge war, konnte ich ihre jungen Herzen nicht belasten.«
So beginnt Willi Engels (1902-1986) am 5. April 1976 die Aufzeichnung seiner Lebenserinnerungen. 314 handgeschriebene Seiten kommen schließlich zusammen. Sie sind offensichtlich nicht für eine Veröffentlichung bestimmt gewesen, aber der Lukas Verlag hat nun doch ein Buch daraus gemacht, versehen mit einem umfangreichen Vorwort der Herausgeberin Christine Fischer-Defoy, die das Manuskript von den Enkeln anvertraut bekam – und das ist gut so. Denn Willi Engels erlebte viel und hat das in recht einfachem Stil, aber außerordentlich interessant geschildert.
Willi Engels war »eine Köllsche Jung«. Die Eltern führten in Köln-Ehrenfeld eine Gastwirtschaft, starben aber früh, als er erst 15 Jahre alt war. Das Waisenkind wäre gern Lehrer geworden und hätte auch das Zeug dazu gehabt. Doch die Geschwister konnten es sich nicht leisten, die Ausbildung des jüngeren Bruders zu finanzieren. Er musste von der Schule abgehen und machte eine Kellnerlehre in einem Hotel, das unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg erst britischen, dann französischen Besatzungsoffizieren als Kasino diente. Hier vervollkommnete Willi seine in der Schule erworbenen Fremdsprachenkenntnisse, später lernte er noch Russisch, als Spanienkämpfer außerdem Spanisch.
1924 zieht Engels nach Berlin, tritt 1926/27 in die KPD ein, serviert im »Café des Westens«, wo ihn die Kollegen zum Betriebsratsvorsitzenden wählen, und organisiert 1929 einen Streik der Angestellten der Hotels, Restaurants und Caféhäuser rund um den Bahnhof Zoo. Wegen »kommunistischer Propaganda am Arbeitsplatz« wird er daraufhin fristlos entlassen. Bei seiner Klage dagegen vertritt ihn Rechtsanwältin Hilde Benjamin, die spätere DDR-Justizministerin.
Als Erwerbsloser muss Engels mit 50 Reichsmark Stütze im Monat auskommen. Zeitweise findet er Arbeit auf einem Ausflugsdampfer auf dem Rhein, schließlich kellnert er – wieder in Berlin – in der Kantine des Karl-Liebknecht-Hauses, der KPD-Zentrale, in der damals auch die Redaktion der Parteizeitung »Rote Fahne« untergebracht ist. Er bedient den Vorsitzenden Ernst Thälmann genauso wie den Hausmeister und alle bekommen stets das Gleiche – eine einfache Mittagsmahlzeit mit einem kleinen Nachtisch.
Im März 1933 – die Nazis sind nun an der Macht – wird Willi Engels verhaftet und ins KZ Sonnenburg gesteckt. Als er wieder freikommt, leistet er antifaschistischen Widerstand. Nachdem mehrere illegale Treffs »hochgehen« und ein Genosse geschnappt wird, setzt sich Willi Engels in die Tschechoslowakei ab, um einer erneuten Verhaftung zu entgehen. 1937 geht Engels von Prag nach Spanien, um in den Internationalen Brigaden zu kämpfen. Nach einer abenteuerlichen Reise mit vier illegalen Grenzübertritten erreicht er sein Ziel und möchte an die Front. Doch mit seinen Fremdsprachenkenntnissen wird er dringend an anderer Stelle gebraucht. In der Postzensur muss er aufpassen, dass kein Spanienkämpfer in einem Heimatbrief absichtlich oder unabsichtlich militärische Geheimnisse verrät. Mehrmals wird ihm die Bitte abgeschlagen, nach vorn geschickt zu werden. 1939, kurz vor dem endgültigen Abzug der Interbrigadisten, kann sich Engels doch noch für einen letzten Kampfeinsatz melden, bei dem viele Kameraden fallen. Geradeso stirbt er selbst nicht im Kugelhagel. Am Ende habe er, so sein Resümee, als Spanienkämpfer keinen einzigen Schuss abgefeuert.
Bis 1941 sitzt Engels in den südfranzösischen Internierungslagern Gurs und Le Vernet fest, dann wird er an Hitlerdeutschland quasi ausgeliefert und ins Gefängnis und danach ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo ihn Genossen in der Küche unterbringen. Dort zweigt er unter Lebensgefahr Diätkost für Kameraden ab, die diese Hilfe dringend benötigen, so für Max Reimann, den späteren KPD-Fraktionschef im Bundestag. Ausführlich und eindrücklich erzählt Engels in seinen Erinnerungen von der Grausamkeit der SS, aber auch von der Solidarität der Häftlinge. Im April 1945 gelingt ihm die sorgfältig vorbereitete und dennoch gefährliche Flucht von einem Außenkommando. Er verbirgt sich bis zur Ankunft der Roten Armee in Berlin-Neukölln.
In der DDR dient Engels, der lieber hauptamtlich bei der Gewerkschaft geblieben wäre, insgesamt noch zwölf Jahre in der Kasernierten Volkspolizei und in der Nationalen Volksarmee (NVA), zuletzt vor der Frührente als Militärattaché in der Botschaft in Warschau. Eine Verwendung beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) kam schon allein deswegen nicht in Frage, weil er Westverwandtschaft hatte. Eine Schwester in Köln lebte noch.
Sensibel registriert Engels, wie die Bevölkerung, die nach Frieden lechzte, auf seine Uniform reagiert, aufstöhnend kommentiert: »Geht das schon wieder los.« Als Kandidat der Zentralen Parteikontrollkommission der SED in den Jahren 1956 bis 1961 hat Engels mit der Rehabilitierung von Stalinopfern zu tun. Er kann es nicht fassen, als er die Namen von Männern und Frauen hört, die er als aufrechte Kommunisten schätzte und die gequält oder sogar hingerichtet worden sind.
In der untergeordneten Parteikontrollkommission des Ministerium für Nationale Verteidigung wirkte Engels sogar als Vorsitzender, maßregelte einen Oberst, der eine unwürdige und natürlich auch verbotene Prügelstrafe gegen einen Offiziersschüler verhängt hatte.
Als Oberst wird Engels in den Ruhestand versetzt. Er bleibt aber all die Jahre bescheiden. Als Militärattaché ärgern ihn die Saufgelage und die Sitte, die Teller nicht abzuessen. Für ihn, der schwere Zeiten erlebte, ist das eine Unsitte. Dazu gibt es eine schöne Anekdote: Er kann einen tschechischen Diplomatenkollegen von seiner Sichtweise überzeugen und der macht bei nächster Gelegenheit vor dem tschechoslowakischen Botschafter den Teller leer und beruft sich dabei auf die Argumentation des »Genossen Engels«. Der Botschafter wundert sich, da er doch die Werke von Friedrich Engels eingehend studierte, sich aber auf eine derartige Passage nicht besinnt.
In seiner Autobiografie kritisiert und bedauert Willi Engels – Kommunist bis zum Schluss – Missstände in der DDR. Er tut das nicht aus der Rückschau auf ein gescheitertes Land, denn das Ende des Staates, den er gut fand und besser machen wollte, erlebt er nicht mehr. Am 17. Januar 1986 stirbt Willi Engels. Am 18. Februar 1986 druckt das »Neue Deutschland« einen Nachruf.
Willi Engels: »Kellner, Koch, Kommunist«, Lukas Verlag, 294 Seiten, 19,80 Euro, nd-Bestellservice unter Tel.: (030) 29 78 17 77
neues deutschland, Berlin-Ausgabe vom Montag, 20. Juni 2016, Seite 13