Die Redaktion dokumentiert den Beitrag der Journalistin Carmela Negrete, gehalten am 28. September 2018 während der Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnungsausstellung der Ausstellung: „Perspektiven – Fotografien & Fragmente zu Revolution und Krieg in Spanien 1936 – 1939“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin. Wir danken Frau Carmela Negrete für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Sehr geeehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde.
Ich bin keine Expertin in der Aufarbeitung der Verbrechen der franquistischen Diktatur. Von Beruf bin ich Journalistin. Als solche werde ich immer wieder mit Nachrichten wie die vom vergangenen Mittwoch konfrontiert: »Die Volkspartei PP macht die damalige Republik für die Toten verantwortlich, die von der (deutschen) Legion Condor in vier Dörfern bei Valencia umgebracht worden waren«. 37 Zivilisten und vier Soldaten starben bei der sogennanten Operation Stuka. Die Operation diente Hitler als Testlauf für den zweiten Weltkrieg. Diese Verbrechen bleiben dank der Volkspartei PP (Partido Popular) nicht nur weiterhin ungestraft, sondern werden gar geehrt. Denn ein der Legion Condor gewidmetes Denkmal steht noch immer in der Nähe von Badajoz in der spanischen Region Extremadura. Genau so, unverändert wie zum Zeitpunkt seiner Einweihung.
Die PP weigerte sich, im Senat, in dem sie noch immer die Mehrheit hält, nicht nur diesen Beschluss zur Strafverfolgung zu verabschieden, obwohl alle andere Parteien dafür stimmten. Auch eine andere Resolution wollten die PP-Abgeordneten nicht unterzeichnen. In der Resolution wird die Regierung aufgefordert, die Zwangsarbeit während der Franco-Diktatur zu untersuchen. Hundertausende politische Gefangene wurden quasi als Sklaven zur Arbeit gezwungen. Sie bauten Straßen, Staudämme oder Flughäfen. Eine Entschädigung haben sie bis heute nicht erhalten. Die Senatorin Esther Munoz von der PP kommentierte zynisch, da könne man ja gleich auch eine Entschuldigung von der italienische Regierung fordern für die »Invasion der Römer« 200 Jahre vor Christi Geburt.
Lesen wir weiter die Presse. Diese Nachricht stammt vom Juli 2018: »Die Stiftung Francisco Franco ruft zu einem neuen Aufstand auf«. Halt. Es gibt also nicht nur eine Stiftung, die den Namen des Diktators trägt, sondern diese Franco-Stiftung ruft offen zu einem Putsch auf. Konsequenzen? Fehlanzeige. Die Stiftung betreibt seit Jahrzehnten faschistische Propaganda und wird mit öffentlichen Mitteln finanziert. Außerdem lagern in ihrem Archiv Dokumente, die der Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Esquerra Unida de Catalunya, die Vereinte Linke in Katalonien, hat die Stiftung wegen Verherrlichung der Diktatur und Verharmlosung des Franquismus angezeigt, und die Staatsanwaltschaft hat im August 2018 die Ermittlungen aufgenommen. Der sozialdemokratische Regierung von Pedro Sánchez hat angekündigt, die Stiftung verbieten zu wollen.
Nun stellt sich allerdings die Frage, ob die Staatsanwältin nicht selbst verfolgt werden wird, wenn sie es ernst meint. Denn im Jahr 2010 hat der Richter Baltasar Garzón versucht, die Verbrechen der Diktatur zu ahnden und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Und genau daran ist er dann gescheitert. Gegen ihn wurde ein Prozess angestrengt, und er wurde schließlich suspendiert. Die Anklage legte ihm Rechtsbeugung zur Last, weil er das Amnestiegesetz von 1977 missachtet haben soll.
Nach dem Tod von Franco stellte sich die Frage, wie es mit dem Regime weitergehen sollte, das Land befand sich in einer sehr instabilen Situation. Ein Teil der Franquisten wollte das System öffnen, und es fanden Verhandlungen statt, an denen bis dato verbotene Organisationen teilnehmen durften. Das Amnestiegesetzt wurde dann 1977 verabschiedet. Man kann aus heutiger Sicht den damaligen linke Akteuren nicht übel nehmen, dass sie die Vergangenheit überwinden wollten und dass sie die Grausamkeiten des Krieges und der Diktatur hinter sich lassen wollten. Die verhandelnden Parteien einigten sich dann darauf, dass der Weg zu demokratischen Verhältnissen in Spanien mit einer generellen Amnestie verbunden wurde. Aber das war nur Pflaster, das nicht lange halten würde, das die Wunden nie verheilen lassen würde. Alle, die an diesem Kompromiss beteiligt waren, wussten das. Und mit internationalem Recht war das ohnehin nicht vereinbar.
Garzón scheiterte also mit seinem Versuch, die Mörder zu verurteilen. Da allerdings nach dem internationalen Völkerrecht Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Folter, Terror oder Völkermord von jedem Gericht der Welt verfolgt werden können, ergriff die argentinische Richterin María Servini die Initiative, die Verbrechen des Franco-Regimes aufzuklären. Sie arbeitet bis heute unter großen Schwierigkeiten, die spanische Justiz hat ihre Arbeit mehrfach behindert, indem sie beispielsweise Auslieferungen verweigerte oder Vernehmungen von Opfern in Spanien nicht stattfinden durften. Das in aller Deutlichkeit in einem vor kurzem in Deutschland erschienen Dokumentarfilm gezeigt, der den Titel »Franco vor Gericht« trägt. Im Publikum sitzt die Filmemacherin Lucía Palacios, was für mich eine Ehre ist, denn sie hat sich in der Vergangenheit zusammen mit Dietmar Post immer wieder um das historische Gedenken bemüht. Eine andere Arbeit von ihr heißt »Die Siedler Francos«. Sie hat für diesen Film die Bewohner eines Dorfes besucht, das nach wie vor den Namen des Diktators trägt.
Dank solcher Arbeiten und dank des Kampfes der Hinterbliebenenfamilien erließ die Regierung Zapatero 2007 das Gesetz des historischen Andenkens. Artikel 15 dieses Gesetzes sieht vor, dass die öffentliche Verwaltung »Wappen, Tafeln und andere Objekte« entfernen lassen kann, mit denen »persönliches oder kollektives Andenken des militärischen Aufstandes, des Bürgerkrieges oder der Repression während der Diktatur glorifiziert« werden. Das ist bis heute nicht vollständig umgesetzt. Der krasseste Fall ist natürlich das Franco-Mausoleum, aber es gibt immer noch hunderte von Straßen, die Francos Namen oder den anderer Faschisten tragen. Hier möchte ich nur ein Beispiel nennen: ein im ehemaligen Kloster von San Marcos errichtetes Luxushotel gibt keinerlei Hinweise darauf, dass dort für den Zeitraum von vier Jahren ein Konzentrationslager errichtet worden war.
Als Journalistin kann ich nicht einfach darüber hinwegschauen. Zumal dann, wenn in diesen Tagen hoch aktuell eine Reform des Gesetzes des Historischen Gedenkens verhandelt wird und die Gebeine Francisco Francos endlich aus den Tal der Gefallenen bei Madrid ausgegraben und von dort entfernt werden sollen. Dieses Monument ist einmalig in ganz Europa. Es ist ein riesenhafter Monumentalbau mit Kirche, Kloster und einem gigantischen steinernen Kreuz. Es ist eine Kultstätte, mit der offen und schamlos einem Diktator die Ehre gegeben und der Faschismus verherrlicht wird. Für die Errichtung mussten rund 20.000 republikanische Gefangenen Zwangsarbeit leisten. Und so grausam es auch klingen mag: sie errichteten ihren eigenen Genossen die Gräber: Tausende Republikaner liegen hier zusammen mit ihren Henkern in Massengräbern verschüttet.
Im Franco-Mausoleum werden regelmäßig politische Veranstaltungen von Faschisten zu Ehren des Diktaors und seines Regimes abgehalten. Die Entscheidung, nun Franco aus den Mausoleum zu holen, was Sanchez sogar in seiner ersten Regierungsansprache erwähnte, löste im faschistischen Millieu Empörung aus. Vor der Basilika der Kultstätte demonstrierten sie, zeigten den Hitlergruß, sangen die Franco-Hymne »Gesicht zur Sonne« und brüllten »Hoch lebe Franco!«. Sánchez weiß, dass seine Pläne für die Entfranconisierung in Spanien auf viel Widerstand stoßen wird. Er weiß aber auch, dass er damit viele Bürger in Katalonien erreichen kann, denn damit kann er sagen: Spanien tut doch etwas, um des historischen Andenkens gerecht zu werden, im Gegensatz zur Behauptung der Befürworter einer Unabhängigkeit von Spanien, die sagen, der Zentralstaat stehe in der Kontinuität der Diktatur.
Aus welchen Gründen auch immer, die Regierung will darüber hinaus auch Haushaltesmittel für die Exhumierungen aus den Massengräbern bereitstellen. Das spanischen Justizmisnisterium hat bei einem Treffen mit allen Regionalpräsidenten und dem Generaldirektor für das historische Andenken zugesagt, dass ein Opferzensus erhoben und alle Massengräber erfasst werden sollen. Diese sollen geöffnet und die Opfer identifiziert werden.
Der nächste Schritt soll die Erstellung einer DNA-Bank sein, damit die Familien ihre Vermissten finden können. Die vorherige Regierung der PP hatte für die Ausgrabungen exakt 0 Euro im Haushalt vorgesehen. Zwischen 100.000 und 114.000 Menschen werden noch vermisst und sollen sich in Massengräber befinden. Laut den Vereinten Nationen ist Spanien eines von zwei Ländern der Welt, in dem die Massengräber nicht geöffnet wurden. Die Arbeit der Exhumierungen wird bisher oft von freiwilligen Ärzten, Forensikern und Archäologen durchgeführt und geleitet.
Es gibt aber noch ein weiteres gruseliges Kapitel, das immer noch nicht aufgearbeitet wurde. Das der geraubten Babys. Seit Anfang der Franco-Diktatur bis in die 1990er Jahre hinein wurden Kinder ihren Eltern entzogen und an Adoptivfamilien weitergegeben. Nach Auffassung der Franquisten sollten die Kinder von Republikanern ein »Rotes Gen« tragen, und deshalb musste man die Babys den republikanischen Frauen wegnehmen und an regimetreue Paare weitergeben. Landesweit gibt es rund 3.000 Anzeigen wegen des mutmaßlichen Raubes Neugeborener und bis heute ist niemand dafür verurteilt worden. Die Opfervereinigungen schätzen die Zahl der Entführungen viel höher und sprechen von Hundertausenden.
Es bestand damals ein ganzes Netzwerk von Ärtzen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Beamte und andere, die daran beteilligt gewesen sein sollen. Es gibt unzählige journalistische Recherchen dazu. In Deutschland erschien dazu eine Reportage von Inga Bremer mit dem Titel »Francos Erbe – Spaniens geraubte Kinder«. Der Film beschäftigt sich vor allem mit zwei Fällen und zeigt, wie die Opfer noch heute darunter leiden. Der Frage nach den letztenendlich Verantwortlichen geht diese Dokumentation nicht nach, empfehlenswert ist sie dennoch.
2017 zahlte die Europäsiche Union 100.000 Euro für die Errichtung einer DNA-Bank, mit der die Daten von mutmaßlichen Kindern und ihren Eltern verglichen werden könnten. Die UNO und das Europäische Parlament haben den spanischen Staat aufgefordet, Ermittlungen aufzunehmen. Dennoch werden in den meisten Fällen diese einfach eingestellt. Nun gibt es den ersten Prozess gegen einen Mediziner, den Artz Eduardo Vela. Die Staatsanwaltschaft fordert elf Jahre Haft, weil er zwischen 1961 und 1981 als Chef der Kinik San Ramon in Madrid arbeitete und an der Entführung von Kindern beteiligt gewesen sein soll.
Sie alle wissen, dass die Wiedergutmachung nach dem Nazi-Regime in Deutschland in vielen Fälle mehr Augenwischerei als ernsthafte Entschädigung war. Viele ehemalige Nazis saßen sogar im Bundestag. Gerechtigkeit für die Opfer des Nazi-Regimes gibt es beispielweise mit Blick auf die Renten noch immer nicht. Dennoch schauen viele Spanier in Richtung Deutschland und sehen zurecht als richtig an, dass Kinder hier in Klassenfahrten zu den ehemaligen Konzentrationslagern geführt werden. Das passiert in Spanien nicht, sondern die Verbrechen der Diktatur werden totgeschwiegen.
Obwohl man weiß, dass diese Wiedergutmachungs-Prozesse oft nur symbolisch sind, brauchen die Hinterbliebenen der Opfer genau diese Dramaturgie, denn ohne diese bleibt das Trauma tief sitzen. Denn die Nachfolger und Anhänger von Franco bemühen sich sichtlich immer noch, die Opfer des Francoregimes und die zweite spanische Republik, die trotz aller Kritik das erste demokratische System im Land wurde, zu diffamieren und zu beleidigen. Anderes kann man nicht verstehen wie es zustande kommt, dass beispielsweise in Malaga vor zwei Jahren eine Hundepark über einem Massengrab von Republikanern errichtet wurde.
Ein Affront gegen die Opfer ist auch der Reichtum der Franco-Familie. Der Journalist Mariano Sánchez führte eine Recherche für sein Buch “Los Franco SA” das zu dem Schluss kam, dass die Familie des Diktators rund 500 Millionen Euro besitzen soll. Ein Reichtum, den Franco vor dem Krieg nicht hatte und während und nach dem Krieg anhäufen konnte. Seine Nachfolger gehören unter anderem Gebäuden die vom Staat zurückgefordert werden wie den Pazo de Meiras in Galizien, dass als Ferienvilla von Franco benutzt wurde. Das Gebäude ist seit 2008 ein geschützes Kulturgut und dennoch möchte die Familie es verkaufen, weil sie eine Enteignung befürchtet.
Die Enkelin des Diktators bekam im Juli 2018 – und das ist eine von den Nachrichten, die sprachlos machen, den Titel “Herzogin von Franco” verliehen und das mit der Unterschrift des Ex-Justizministers der Volkspartei PP, Rafael Catalá.
Ich bin nicht nur Journalistin die diese Nachrichten mitbekommt, sondern auch Spanierin. Auch ich habe in meiner Familie eine Geschichte des Krieges. 2015 traute sich meinem Opa, mir zu erzählen, wie seine Oma ohne Prozess gefoltert und ermordet wurde. Wie seine Mutter auch knapp einer Hinrichtung entkam und wie er selber während der Diktatur mehrere Wochen verhaftet wurde, er Weintrauben in einem Landgut geklaut hatte, um seinem Durst zu stillen.
Mein Opa wollte das alles vor dem Massengrab in unserem Dorf während einer Veranstaltung erzählen. Dort, wo rund 1.500 Menschen verscharrt wurden. Die Vereinigte Linke veranstaltet an diesem Ort jedes Jahr eine Zeremonie des Gedenkens. Dort wollte mein Opa sprechen. Und dann kam es zu einem Unfall und er velor seine Stimme. Er wird diese Geschichten leider nicht mehr selbst erzählen können. Es ging ihm darum, es öffentlicht zu machen. Er sagte, “er habe keine Angst mehr”. Was bedeutet das für eine Gesellschaft, dass 40 Jahre nach der Einführung der Demokratie immer noch Menschen mit Angst leben müssen?