Der Erste Internationale Willi-#Münzenberg–#Kongress fand vom 17. bis 20. September 2015 in Berlin statt. Unter dem Motto „Globale Räume für radikale Solidarität“ wurden in weit über dreißig Beiträgen zahlreiche Aspekte des Wirkens von Willi Münzenberg und der durch ihn repräsentierten transnationalen Netzwerke ergründet. Das Münzenberg Forum Berlin freut sich, mit dem nun veröffentlichten E-Book zum freien Download die Dokumentation der meisten Beiträge präsentieren zu können.
Free Download: Global Spaces for Radical Transnational Solidarity. Contributions to the First International Willi Münzenberg Congress 2015 in Berlin, edited by Bernhard H. Bayerlein, Kasper Braskén and Uwe Sonnenberg, Berlin, International Willi Münzenberg Forum, 2018. 583 pp. ISBN 978-3-00-059381-9
Nachstehend dokumentiert die Redaktion mit freundlicher Genehmigung des Autors den Beitrag von Werner Abel.
Die versuchte Neutralisierung der „Münzenberg-Kreise“ durch die KPD-Abwehr im republikanischen Spanien
Werner Abel
These: Schon im Frühjahr 1937 begann die KPD-Abwehr in Spanien neben der für diese Zeit üblichen Suche nach „Trotzkisten“ mit dem Sammeln von Informationen über alle die, die früher oder aktuell Kontakt zu Willi Münzenberg hatten. Aus den Beziehungen der Betroffenen zu anderen Personen wurde nach und nach ein Netzwerk konstruiert, genannt „Münzenberg-Kreise“, über das der Trotzkismus die Partei infiltriere. Nach der Verhaftung, Ausweisung und längerer Inhaftierung weniger prominenter Personen verhinderte der Zusammenbruch der Spanischen Republik, dass sich mit der Begründung, die Münzenberg-Kreise seien selbst feindliche Agenturen im republikanischen Spanien, mögliche Repressionen gegen die observierten Personen ergaben.
Nachdem das Präsidium des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) am 28.Oktober 1936 beschlossen hatte, den „Münzenberg-Apparat“ in Paris zu „überprüfen“, reagierte die KPD-Vertretung beim EKKI schnell und beauftragte die Kaderreferentin, die Genn. Erna Mertens (d.i. Grete Wilde, 1904–1943), weitergehende Schritte einzuleiten. Am 20.Dezember 1936 schickte sie ein detailliertes Szenario an Gework S. Alichanow (1897–1938), den Kaderleiter des EKKI, das vorsah, dass Willi Münzenberg (1889–1940), Babette Gross (1898–1990), Münzenbergs Sekretär Hans Schulz (1904–1988), Udeano (d.i. Ludovic Brecher alias Louis Dolivet, 1908 –1989)
und alle Vertrauten Münzenbergs sowie die der KPD-Führung irgendwie verdächtig oder unsicher vorkommenden Personen aus diesem „Apparat“ zu entfernen sind. Weder Mertens noch Alichanow sollten weiteren Einfluss auf diesen Prozess nehmen und sein Ende erleben können: Alichanow war im Mai 1937 und Mertens im Oktober 1937 durch das NKWD verhaftet worden. Er wurde später erschossen, sie kam vermutlich im Lager um. Natürlich waren beide nicht die entscheidenden Personen bei dem Ausschluss Münzenbergs aus der kommunistischen Bewegung,
aber zu dem, was dann eintrat, hatten sie wohl auch beigetragen. Am 20. Januar und 16. Februar 1939 wurde der
„Fall Münzenberg“ von der Internationalen Kontrollkommission (IKK) behandelt und der KPD empfohlen, Münzenberg aus der Partei auszuschließen. Die Empfehlung wurde unter anderem damit begründet, Münzenberg sei der Aufforderung der Partei nicht nachgekommen, „öffentlich gegen die trotzkistischen Spione und gegen die Verbrechen der POUM aufzutreten“. Er habe sich im Gegenteil mit „trotzkistischen Elementen“ verbunden.
Am 6.März 1939 schloss das ZK der KPD Münzenberg aus der Partei aus.1
In der Retrospektive muss der Vorwurf, Münzenberg habe sich nicht gegen den POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista) ausgesprochen, 1939 mehr als kurios wirken, denn zu diesem Zeitpunkt waren nicht nur der Krieg der Spanischen Republik gegen die franquistischen Putschisten verloren, sondern auch die kleine spanische Arbeiterpartei der marxistischen Einheit, die 1935 aus dem Zusammenschluss der von Andreu Nin (1892–1937) und Juan Andrade (1898–1981) geführten Izquierda Comunista und dem Bloque Obrero y Campesino Julián Gorkins (1901–1987) und Joaquín Maurins (1896–1973) hervorgegangen war, längst verboten, ihre Militäreinheiten aufgelöst und ihre Führer verhaftet oder in die Illegalität gezwungen worden. Schon Ende 1936 wurde gegen den POUM, der von den Stalinisten wider alle Tatsachen als „trotzkistisch“ bezeichnet worden war, mit einer beispiellosen medialen und institutionellen Kampagne begonnen. Obwohl der POUM über seine vermutlich auch in der UdSSR zu empfangenden fremdsprachigen Sendungen Kritik an den Moskauer Prozessen übte und von dem Antrag sprach, Leo Trotzki (1879–1940) in Spanien Asyl zu gewähren, wurde er von Trotzki wegen des Zusammenschlusses mit der Maurin-Gruppe und vor allem wegen seines Eintritts in die erste katalanische Volksfront-Regierung heftig kritisiert. Auf Druck der sowjetischen Führung, die auch demonstrativ mit der Einstellung der Waffenlieferungen für Spanien drohte, wurde der POUM marginalisiert und nach den
Ereignissen in Barcelona, als es im Mai 1937 zu Kämpfen zwischen Vertretern der Fortführung der sozialen Revolution und Anhängern der von den Kommunisten und der Sowjetunion favorisierten Volksfont-Politik kam, am 16. Juni 1937 verboten. Andreu Nin wurde nach der Verhaftung durch ein vom NKWD und eventuell Vertretern der Komintern geführtes Kommando ermordet. Ein Schauprozess gegen die POUM-Führung, den Reiner Tosstorff einen „Moskauer Prozess“ in Spanien nannte, war aber nicht durch einen von den Stalinisten erhofften Erfolg gekrönt und konnte schließlich in den Turbulenzen der Niederlage der Spanischen Republik nicht zu dem gewünschten Ende
weitergeführt werden. Allerdings waren die genannten medialen Aufwände der Komintern und der KP Spaniens gegen den POUM so gewaltig, dass selbst kritische Interbrigadisten noch Jahrzehnte nach dem Spanienkrieg die durch eine Provokation der Stalinisten ausgelösten Auseinandersetzungen innerhalb der antifranquistischen Kräfte im Mai 1937 in Barcelona als „POUM-Putsch“ bezeichneten.
Intensiven Anteil an dem Kampf gegen den POUM und den „Trotzkismus“ in Spanien hatte die KPD, der es vor allen anderen ausländischen Kräften in Spanien gelungen war, in Institutionen der KP Spaniens und vor allem in den spanischen Geheimdienststrukturen Fuß zu fassen und diese zu beeinflussen.
Liest man heute die Geheimdienstberichte der KPD, dann hat man den Eindruck, dass für sie nicht wie für die KP Spaniens das Wichtigste war, den Krieg gegen die Putschisten zu gewinnen, sondern Andersdenkende, vor allem Kritiker der Volksfrontpolitik, auszuschalten und zu neutralisieren. Nach dem Politbüro-Beschluss vom 17.März 1936 über die restlose Liquidierung des Kippenbergerschen M-Apparats2 wurden überall, so auch im Herbst 1936 in Spanien, „Abteilungen Abwehr- und Gegnerarbeit“ der KPD gegründet, die vor allem der „Reinhaltung der Partei“ dienen sollten. Schon seit Februar 1937 wurde hier, wie einem Brief Hubert von Rankes (1902 –1978), der zeitweilig
eine führende Position in der KPD-Abwehr gehabt hatte, an Franz Dahlem (1892–1981) zu entnehmen ist, umfangreiches Material gegen den POUM gesammelt und versucht, was letztlich erfolgreich war, Agenten in seinen Reihen unterzubringen.3
Diese Abteilung Abwehr hatte keine exekutiven Befugnisse, konnte aber über die von ihr penetrierten und beeinflussten spanischen und vor allem katalanischen Dienste erreichen, sich nicht oder mutmaßlich nicht auf der Linie der KPD befindende Personen zu inhaftieren oder auszuweisen. Diese Abteilung, dem Verantwortlichen der KPD in Spanien, also Franz Dahlem oder seinem zeitweiligen Stellvertreter Karl Mewis (Parteiname „Fritz Arndt“, 1907–1987) unterstellt und rechenschaftspflichtig, war es aber auch, die unter dem Verdacht des „Trotzkismus“
gegen alle Material sammelte, die in irgendeiner Form mit Münzenberg zu tun gehabt hatten.
Im Gegensatz zu den Spitzenfunktionären der Komintern scheint Münzenberg schon sehr früh die Bedeutung der Ereignisse in Spanien erkannt zu haben. Betrachtet man die Sitzungen des Präsidiums des EKKI in der 2. Hälfte des Jahres 1936, also nach dem Putsch der Generäle am 18./19. Juli in Spanien, so ist erkennbar, dass diesem Ereignis und der entstandenen Situation zunächst nicht mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als anderen international und in den der Komintern angehörenden Parteien auftretenden Probleme. Natürlich wurden Hilfsmaßnahmen aller Art erörtert und geplant, es ist aber auch die Bemühung erkennbar, die KP Spaniens zur dominanten politischen Kraft der weiteren Entwicklung in Spanien zu machen. Bei der ersten Abwehr des Putsches durch die Bevölkerung, durch die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional de Trabajo (CNT) und die überall entstehenden Milizen stand die kommunistische Partei durchaus nicht an der Spitze des Prozesses, konnte aber dann mit der von ihr gegründeten Volksmiliz, aus der das legendäre 5. Regiment der neuen Spanischen Volksarmee entstehen sollte, eine gezielte Kaderpolitik auch im militärischen Bereich betreiben und durch den durch die sowjetischen Waffenlieferungen erzielten Imagegewinn zunehmend ihren Einfluss ausbauen. Die Komintern, aber auch die Rote Armee begannen über ihre Spezialdienste SS (Slushba Swjasi – Verbindungsdienst) und GRU,
also der Militäraufklärung der Roten Armee, Berater und Spezialisten nach Spanien zu schicken.
Willi Münzenberg, der sich Ende Mai/ Anfang Juni 1936 in Spanien aufgehalten hatte und gut bekannt oder befreundet war mit spanischen Politikern wie Luis Araqustáin (1886–1959), dem späteren Botschafter der Spanischen Republik in Frankreich, und Julio Álvarez del Vayo (1891–1975), dem späteren Außenminister und zeitweiligen Generalkommissar der Spanischen Volksarmee, gründete mit Araquistáins Frau Trudy (Gertrude)
Graa de Araquistáin (?–1942) und dem Politiker Fernando de los Rios (1879–1949) das Comité France-Espagnol und die Nachrichtenagentur Agence Espagne, deren Direktor Münzenbergs langjähriger Mitarbeiter Otto Katz (1895–1952) wurde. Aus den Mitteln einer Millionensumme an Pesetas, die das spanische Finanzministerium unter Juan Negrin (1892–1956) zur Verfügung stellte, wurde über Negrins Vertrauten, dem Generaldirektor für Finanzen und Versicherungen und Unterstaatssekretär Francisco Méndez Aspe (1901–?), nicht nur das von der FKP betriebene Schifffahrtsunternehmen „France Navigation“, sondern auch die Zeitung finanziert, die von der Nachrichtenagentur Agence Espagne vorrangig mit Informationen beliefert wurde.
Münzenberg regte wohl schon früh den Einsatz von internationalen Freiwilligen in Spanien an, so hatte er z.B. auch gute Kontakte zu dem inzwischen weltbekannten französischen Schriftsteller André Malraux (1901–1976), der eine internationale Fliegerstaffel für die republikanische Luftwaffe organisierte. In puncto Spanienhilfe agierte Münzenberg in der ersten Zeit vermutlich auf eigene Faust, mit Mitteln der IAH und ohne Auftrag der Komintern. Auch nutzte er den Verlag Éditions du Carrefour, um das republikanische antifranquistische Spanien zu unterstützen
und ihm eine Stimme zu geben.
Am 5. Oktober erstattete Willi Münzenberg vor dem Sekretariat des EKKI Bericht über die Arbeit des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus und schloss dabei die Fragen der Solidarität mit Spanien ein. Als am 10.Oktober 1936 André Marty (1886–1956) vor dem Sekretariat des EKKI einen Informationsbericht über die Lage in Spanien gab, wurden am 11.Oktober Beschlüsse zur Ausweitung der Spanien-Aktionen gefasst und die Verantwortung für die Aktion der „Inneren Leitung in Paris: Maurice Thorez für die KP Frankreich (1900–1964), Harry Politt für die KP Großbritannien (1890–1960) und Willi Münzenberg“ übertragen. Ercoli („Ercoli“ war der Parteiname von Palmiro Togliatti, 1893–1964), der sich später unter dem Namen „Alfredo“ selbst in Spanien aufhalten sollte, hatte die Inhalte dieser Aktion ausgearbeitet.4
Was Münzenberg offensichtlich aber nicht wusste, war, dass knapp drei Wochen nach dieser Sitzung, nämlich am 28.Oktober, das Sekretariat des EKKI Michail Moskwin (d.i. Meir Trilisser, 1883–1940) damit beauftragt hatte, den „Münzenberg-Apparat“ und seine Mitglieder in Paris zu überprüfen.5 Moskwin selbst war bis zu seiner Verhaftung im November 1938 für die Kontrolle der KP Spaniens und für die nach Spanien fließenden Gelder der Komintern, so also auch für die Finanzierung der Internationalen Brigaden, verantwortlich.
Ein hinsichtlich Spaniens vermutlich letzter Auftrag seitens des EKKI an Münzenberg bestand in der Anweisung vom 3.Dezember 1936, er solle Delegationen aus Frankreich und den USA nach Spanien organisieren und ein Rotbuch über die faschistischen Gräuel in Spanien verfassen lassen und veröffentlichen.6 Offenbar hatte das EKKI nicht zur Kenntnis genommen, dass Münzenberg längst Arthur Koestler (1905–1983) nach Spanien geschickt und dieser genau zu diesem Thema in der Éditions du Carrefour ein Buch unter dem Titel „Menschenopfer unerhört“ veröffentlicht hatte. Zu dem in Auftrag gegebenen „Rotbuch“ ist es nie gekommen, womit der Komintern eine Blamage erspart blieb, denn Münzenberg wusste offensichtlich, dass die Antikomintern unter dem Titel „Rotbuch über Spanien“ ein Buch über die „Gräuel des Bolschewismus“ plante, das dann tatsächlich 1937 in mehreren Sprachen in Berlin im Nibelungen-Verlag erschien.
Als Willi Münzenberg diesen Auftrag bekommen hatte, war zwei Tage zuvor, am 1.Dezember 1936, Hans Beimler (1895–1936), der zu dieser Zeit höchste Funktionär der KPD in Spanien, an der Front vor Madrid ums Leben gekommen. Beimler befand sich schon seit Anfang August in Spanien, etwa zur gleichen Zeit schickte die KPD auch „Moritz“ (auch: Mathias Bresser, d.i. Hubert von Ranke, der in Spanien auch den Decknamen „Mauricio“
benutzte), bis dato „Sicherheitsmann“ der KPD in Paris, nach Spanien. Diese Delegierung galt eventuell auch Hans
Beimler, dem die KPD-Führung wohl nicht so recht traute: Weil sich einer der Mitarbeiter der illegalen Roten Hilfe in Südbayern, für die Beimler aus der Emigration heraus verantwortlich war, als Gestapo-Spitzel erwies, wurde er von seiner Funktion abgelöst und musste sich in Paris wegen der Massenverhaftungen im Reich rechtfertigen. In Paris freundete er sich eng mit der Schweizerin Antonia Stern (?–1961) an, die dann nach seinem Tod zum Ärger der dortigen KPD-Funktionäre in Spanien recherchierte, ob Beimler und sein Begleiter Louis Schuster (d.i. Franz Vehlow, 1895–1936) wirklich durch marokkanische Scharfschützen tödlich verletzt worden oder Opfer der eigenen Genossen geworden waren.
Beimler war entgegen allen Legenden in Spanien kein Kommissar, noch hatte er irgendeinen militärischen Rang bei den Internationalen Brigaden. Er gehörte zu den Gründern der Centuria „Thälmann“, einer aus vorwiegend Deutschen zusammengesetzten internationalen Milizeinheit. An einer Front gekämpft hatte er nicht. Er war der Parteivertreter der KPD in Spanien und hatte die Gründung der Abteilung Abwehr und Gegnerarbeit in Spanien initiiert. Nach seinem Tod übernahm Franz Dahlem die Funktion des Parteivertreters. Beimler hatte schon vor dem Putsch der Generäle einen Bezug zu Spanien. Während seiner Zeit in der Prager Emigration hatte sich Beimler
ohne Abstimmung mit der Partei mit spanischen Sozialisten, so dem Linguistik-Professor Ginés Ganga (1900–1944) und Justo Martínez Amutio (1896–1983), dem späteren Zivil-Gouverneur von Albacete, angefreundet.
Der mit Beimler nach Spanien gekommene Hubert von Ranke („Moritz“) beschrieb sich in seinen im Institut für Zeitgeschichte in München befindlichen unveröffentlichten Erinnerungen hinsichtlich des Aufenthalts in Spanien zunächst allerdings als einfachen Freiwilligen, der wie viele andere in der Centuria „Thälmann“ kämpfte und dann zum „Delegado político“, also zu einer Art Politkommissar, ernannt worden war. Die Wahrheit sieht wohl etwas anders aus: „Moritz“ war schon im Mai / Juni 1936, womit er eine vorzügliche Tarnung hatte, auch in der Absicht,
seine damalige Freundin und spätere Frau Seppl (Josefa) Campalans (1907–?) zu besuchen, in Spanien und baute
eine Art Abwehrapparat auf, indem er z.B. auch Alfred Herz (1899–?), einen schon länger in Spanien lebenden deutschen Emigranten gewann, der nicht nur über ein hervorragendes Gedächtnis verfügte, sondern auch eine Sammlung von Dossiers über die dort lebenden deutschen und andere ausländische Emigranten besaß. In den am 23. Januar 1937 dem EKKI übermittelten „Beschlüsse und Maßnahmen der KPD in Bezug auf Spanien“ heißt es überdies:
„In Spanien selbst wurde bis zu diesem Zeitpunkt (August 1936, W.A.) von der Parteileitung folgendes unternommen: Die Gen. Hans Beimler und Moritz arbeiten im Auftrag des ZK in Spanien auf der Linie der militärischen Organisation und politischen Bearbeitung der deutschen Antifaschisten, die inzwischen dort eingetroffen waren.“7
Liest man nun in den Erinnerungen von Rankes die Angaben über seine Pariser Zeit, so erhält man den Eindruck, er habe zuvor in Frankreich ein freundschaftliches, fast inniges Verhältnis zu Münzenberg gehabt. Aber auch hier ist der Eindruck falsch. Am 17.Mai 1936 schrieb Münzenberg an Ercoli (Togliatti):
„Was Moritz angeht, so nur ganz kurz: M. war hier jahrelang Nachrichtenleiter und hat eine spezielle Überwachung der sogen. Münzenbergschen Büros durchgeführt, in diese Büros besondere Beauftragte des Apparats geschickt, die über meine Verbindungen, Beziehungen und unsere Mitarbeiter besondere Berichte verfassten. Durch ihn wurden auch die Berichte vermittelt, wie z.B. der Bernhardsche Brief. Es ist schon aus diesem Grunde sehr unwahrscheinlich, dass ich mich ausgerechnet mit diesem Manne über Interna ausgesprochen hätte. Es ist ja nicht so, dass M. ein gewöhnliches Parteimitglied ist. M. war, wie ich schon erwähnte, jahrelang Nachrichtenleiter, nahm an vielen Sitzungen mit Politbüro-Mitgliedern teil, war auf das Genaueste informiert und auf alle Fälle habe nicht ich ihm Briefe des Politbüros zur Kenntnis gegeben oder Mitteilungen darüber gemacht. Als ich letztens von Moskau zurückkam, stellte ich fest, dass eine Welle von Gerüchten in Umlauf gesetzt worden war.“8
Hubert von Ranke, der von Hans Kippenberger für den M-Apparat der KPD angeworben worden war, kam zunächst aus dem eher nationalrevolutionären Milieu, fasste aber, vor allem in der Emigration, schnell im Apparat der KPD Fuß. Es ist sicher, dass er sein Wissen und auch Dossiers mit nach Spanien nahm und er war selbst während seines kurzen Intermezzos an der Huesca-Front, die er wegen einer Herz-Erkrankung verlassen musste, immer mit Abwehraufgaben betraut. Es ist, wie gesagt, nicht genau auszumachen, in welchem Monat die Abteilung Abwehr- und Gegnerarbeit der KPD in Spanien gegründet worden war, im Januar 1937 muss sie aber schon bestanden haben. Da alle Berichte an „Franz“, also Franz Dahlem, gingen und von ihm Anleitungen erwartet wurden, war diese
Abteilung wohl Dahlem indirekt unterstellt. Ihre Arbeitsräume und ihr Archiv hatte die Abteilung im Hotel Colón, dem Sitz des PSUC, also der katalanischen Sozialistischen Einheitspartei.
Denn von Ranke und andere gehörten dem Servicio especial de los extranjeros del PSUC an, einem Kontroll- und Überwachungsdienst für Ausländer. Nach der Abkommandierung des italienischen Kommunisten Armando Fedeli (1898–1965) war die „Genn. Gelbert“ (d.i. Erzsébet Fazekas, 1900–1967), die Frau des Vertreters der Komintern für Katalonien „Pedro“ (d.i. Ernö Gerö, eigentlich Ernö Singer, 1898–1980), mit der Leitung dieser speziellen Abteilung betraut worden. Aber „Moritz“, der in seinen Erinnerungen selbst schrieb, mit dem obersten Vertreter des NKWD in Spanien, Alexander Michailowitch Orlow (d.i. Leiba Feldbin, 1895–1973), bekannt gewesen zu sein, war auch als „interrogador extranjero“ (etwa „ausländischer Vernehmer“) für den katalanischen Zweig des spanischen Geheimdiensts DEDIDE (Departamento de Información del Estado) tätig.
Einen weiteren Bezugspunkt hatte die KPD-Abwehr in der Kommission für ausländische Kader beim ZK der KP Spaniens, durch die unter der Leitung der „Genn. Carmen“ (d.i. Carmen Martínez Cartón)9 ebenfalls die Ausländer überprüft wurden. Im Auftrag dieser Kommission und des EKKI wurden dann 1939/40 in Moskau Charakteristika der Interbrigadisten, KPD-Mitglieder und Emigranten in Spanien geschrieben. Über die sogenannten „Delegationen der Internationalen Brigaden“ verfügte die KPD-Abwehr auch in Madrid, Valencia, Barcelona, Albacete und Figueras über sogenannte „Informatoren“. Liest man die erhalten gebliebenen Protokolle und Charakteristika der KPD-Abwehr und der Kommissionen für ausländische Kader beim ZK des PSUC und des PCE, so entsteht der Eindruck, dass eines der vorrangigen Ziele in Spanien darin bestanden habe, den „Trotzkismus“ zu bekämpfen. Der Eindruck täuscht nicht, denn es ging nicht nur darum, linke Kritik der und Alternativen zur „Volksfrontpolitik“ abzuwehren, sondern auch die „Reinheit“ der Partei zu gewährleisten. Denn, so die KPD in ihrem Bericht zu Kaderfragen am 3.März 1938:
„Die Zusammensetzung der Emigration habe sich dadurch geändert, dass die besten Kader nach Spanien gingen… (und) die größte Gefahr besteht durch die verstärkten Bemühungen des Trotzkismus, Stützpunkte in unseren Parteileitungen der Emigration zu bekommen und in den Kreisen der linken Sozialdemokratie Einfluss zu gewinnen. Deshalb war der Kampf gegen die trotzkistische POUM-Politik notwendig und die Versuche der SAP, in deren Führung in der Mehrzahl Trotzkisten sitzen, einen Block aus halbtrotzkistischen Splittergruppen und mit den linken Sozialdemokraten herbeizuführen und gleichzeitig mit Hilfe der früheren Versöhnler und Münzenberg den Kampf gegen die Partei zu führen, misslang.“10
Und „… unmittelbar mit dem Kampf gegen den Trotzkismus steht der Fall Münzenberg,“ fügte Walter Ulbricht (1893–1973) hinzu.11
Nach der neuen stalinistischen Sprachregelung, wir befinden uns im Jahr des Großen Terrors 1937, war der Trotzkismus keine Strömung in der Arbeiterbewegung mehr, sondern eine feindliche Agentur. Was aber für die Arbeiterbewegung gilt, ist auch für die gesamte Emigration anzunehmen. Deshalb, so eine spätere „Erkenntnis“, sind die „Münzenberg-Kreise“ nicht nur ein Vehikel für das Eindringen des Trotzkismus in die Emigration, sondern selbst eine Agentur, die die Infiltration der Emigration durch feindliche Geheimdienste befördert, um die Emigration zu lähmen und zu zerstören. Ein Beleg für diese Annahme ist ein am 22.November 1939 vermutlich von Walter Ulbricht verfasster und an Georgi Dimitroff gerichteter Brief. Dort heißt es zunächst, dass Münzenberg 1937 ein von der Strasser-Gruppe („Schwarze Front“)12 organisiertes Attentat in Deutschland unterstützt habe und „Münzenberg… damals in seiner Verzweiflungsstimmung den individuellen Terror als Weg des Kampfes propagierte.“ Als die KPD diesen Weg verurteilte, habe Münzenberg protestiert, weiter eine illegale Schrift hergestellt, die auf den individuellen Terror orientierte und so eine gezielte Provokation feindlicher Geheimdienste, einschließlich der Gestapo, unterstützt. Resümierend wird dann festgestellt, welche Gefahr Münzenberg schon 1937 für die Partei bedeutete:
„Diese Zusammenhänge weisen uns nochmal darauf hin, mit welchen Mitteln französische und englische Nachrichtenstellen die deutsche Emigration zu zersetzen suchen, warum sie in solch provokatorischer Weise im Jahre 1937 die Zusammenarbeit antifaschistischer Kräfte zerstören und mit Hilfe Münzenbergs Zersetzung in unsere Partei zu tragen suchten.“13
Es verwundet deshalb nicht, dass die KPD-Abwehr in Spanien schon zeitig damit begann, Informationen über alle die zu sammeln, die Kontakte zu Willi Münzenberg hatten. Das betraf einen Großteil der deutschen Intellektuellen, die in den Internationalen Brigaden und der Spanischen Volksarmee kämpften oder auf andere Weise, so z.B. in der Presse oder in den Auslandsabteilungen verschiedener Ministerien, die Spanische Republik unterstützten. Und in Sicherheitsfragen funktionierte die Kommunikation mit Paris hervorragend, die neuen Anweisungen trafen ebenso schnell ein wie die aktualisierten „Schwarzen Listen“, die auf „Trotzkisten, Provokateure und Spitzel“ verwiesen.
Komplementär dazu wurden in Abstimmung mit Paris in Spanien „Ablehnungs- und Ausweisungslisten“ erstellt, durch die Unerwünschte schon an der Grenze oder vom ersten Anlaufort in der Festung Figueras zurückgeschickt werden sollten. Ein Mann wie Hubert von Ranke kannte ohnehin alle, die in Frankreich zu Münzenberg Kontakt hatten, selbst im Schutzverband Deutscher Schriftsteller und der Deutschen Freiheitsbibliothek schaute er vorbei, wie sich den „Nachtbüchern“ von Alfred Kantorowicz (1899–1979) entnehmen lässt. Wie gut sein mitgebrachtes Wissen war, zeigt z.B., dass er aus Barcelona am 7. Juni 1937 sehr detailliert auf eine Anfrage aus Paris wegen der Beziehungen von Münzenberg zu Hugo Simon (1880–1950) und Leo Flieg (1893–1939) antworten konnte.14
Natürlich kann das Agieren gegen Münzenberg in Spanien nicht alleine von Ranke angelastet werden. Er hätte das weder gegen den Willen der KPD-Führung noch gegen das EKKI tun können, aber er hatte gegenüber den anderen Mitarbeitern der KPD-Abwehr einen deutlichen Informationsvorsprung. Interessant ist überdies, dass unter seiner Ägide das Sammeln von Informationen über Personen, die Kontakt zu Münzenberg hatten, schon weit vor dem Zeitpunkt begann, als die Auseinandersetzungen mit Münzenberg öffentlich wurden.
Zwei schematische Darstellungen, in denen die „Münzenberg-Kreise“ beschuldigt wurden, „Querverbindungen“ für das Eindringen des Trotzkismus in die Partei zu sein, entstanden am 7.Oktober 1937.15 Bei der Skizze über die Postzensur sollen in diesem Kontext nur Max Hodann (1894–1946), Rolf Reventlow (1897–1981), Werner Meister (1908–1943) und Stefa Rawicz (1913–?) interessieren.
Das erste Schema, das Peter Huber erstmals 1994 in seinem Buch „Stalins Schatten in die Schweiz“ veröffentlichte, wurde wie auch das zweite möglicherweise von Wilhelm Tebarth (1902–1945) angeregt, der als „Humboldt“ oder „Schimmel“ schon Leiter der Abschnittsleitung West des KPD-Nachrichtendienstes war und in Spanien als „Fritz Schimmel“ oder „Fritz Valencia“ („Fritz V.“) wirkte. Entsprechend der Schlichtheit der Ausdrucksweise könnten die Schemata aber eher von Hermann Geisen (1899–1943) stammen. Geisen, ehemaliger Kommandeur der Centuria „Thälmann“, war nach seiner schweren Verwundung frontuntauglich und arbeitete nach seiner Genesung für die KPD-Abwehr und das spanische Departamento de Información. Diese Skizzen sind nicht einfach nur zur Selbstverständigung entstanden, sondern Anhang einer ersten Gesamtbilanz der KPD-Abwehr unter dem Titel „Übersicht über Spionage und Agentenarbeit in Spanien“. Dieses Dokument umfasst 47 Seiten und beschäftigt sich mit „Trotzkisten“, mit dem POUM, mit SAP- und KPD(O)-Angehörigen, deutschen Anarchosyndikalisten und anderen nichtkommunistischen Linken, die nach Spanien gekommen waren, und einer Anzahl deutscher und europäischer Intellektueller. Nur circa 3 Seiten sind den Machenschaften der Gestapo gewidmet. Aber auch
die KPD-Mitgliedschaft oder eine herausragende militärische Funktion schützte nicht davor, von der KPD-Abwehr und oft in Folge dessen vom SIM (Servicio de Investigación Militar) der Internationalen Brigaden16 observiert zu werden. Das soll nicht heißen, hier eine Verfolgungsgeschichte zu konstruieren, die inzwischen dem z.B. von Peter Huber und Michael Uhl gut dokumentierten Ausmaß der wirklichen Repressionen in Spanien widersprechen würde.
Allein, die in der Skizze erwähnten Personen verdienen Beachtung. Sie eint vor allem, dass sie zu irgendeiner oder zur gegenwärtigen Zeit Verbindung zu Münzenberg hatten. Gemeinsam war ihnen aber auch, dass sie bedingungslos auf der Seite der Spanischen Republik oder der spanischen Revolution standen und dass es sich um bekannte Intellektuelle und hohe oder höchste Offiziere der Spanischen Volksarmee handelte. „Hans“, also Hans Kahle (1899–1947), in Spanien auch „Jorge Hans“, war zuerst Kommandeur der 11.Internationalen Brigade, dann der 17. Division und schließlich der 45. Division gewesen, zu der die XII., die XIV. und die 129. Internationale Brigade gehörten.
Kahle kannte Münzenberg aus seiner Arbeit in der IRH und vom Freien Radio-Bund, wo er Verlagsleiter und Redakteur der Zeitschrift Arbeitersender war. 1936 hatte er sich in Frankreich zweimal wegen seiner prekären Situation an Münzenberg gewandt. Erschreckend aber ist, dass mit Hans Kahle einer der höchsten deutschen Offiziere vom SIM der Brigaden observiert wurde.17 Gründe gab es für die misstrauischen Geheimdienstleute und die KPD-Abwehr aber noch mehr als die des Münzenberg-Bezugs: Kahle protegierte sozialdemokratische Offiziere wie den dann verhafteten Teniente Robert Stemmann (1913–?), war befreundet oder bekannt mit Rolf Reventlow und den österreichischen General Julius Deutsch (1884–1968), der die republikanische Küstenabwehr befehligte, kannte alle Intellektuellen, so auch Michail Kolzow (1898–1940), aber vor allem stand er eben im Verdacht, den „Münzenberg-Kreisen“ nahe zu stehen. In einem undatierten und nicht gezeichnetem, aber mit dem handschriftlichen Vermerk „Gezeichneten. Carmen“ versehenen „Informe sobre los cuadros extranjeros“ aus dem Bestand der Kommission für ausländische Kader beim ZK der KP Spaniens ist dann auch zu lesen:
„Über die deutsche Emigration in Paris und Barcelona konnten trotzkistische Elemente eindringen, die heute ihre Verbindung bis in die Brigaden haben. Dem Münzenberg-Kreis (Circulo Münzenberg) ist das durch Hans Kahle erleichtert worden.“18
Andere wie Alexander Maas (in Spanien oft auch „Maass“ geschrieben, 1902–1971) der schon im Herbst 1936 in der legendären Centuria „Thälmann“ gekämpft hatte, Gustav Regler (1898–1963), Alfred Kantorowicz, Bodo Uhse (1904–1963), Rolf Reventlow und Albert Schreiner (1892–1979), ein früherer KPD(O)-Funktionär, waren Offiziere der Spanischen Volksarmee. Horst Lichtenstein (1919–?), Sohn eines SAP-Funktionärs, war in der Prager Emigration aus dem KJVD ausgeschlossen worden und kämpfte in Spanien im Batallón Choque der Lenin-Division des POUM. Er schien auch deshalb „gefährlich“ zu sein, weil sein Bruder Karl-Heinz Lichtenstein (1917–1938) der XI. Internationalen Brigade angehörte. Bodo Uhse, Egon Erwin Kisch (1885–1948), Albert Schreiner und Gustav Regler waren Autoren bei Willi Münzenberg gewesen. Wenn sich die Erwähnung „Arthurs“19 auf den Schriftsteller Arthur Koestler (1905–1983), also auch einen Münzenberg-Autor bezieht, dann ist das mehr als perfide. Denn Koestler hatte sich nach der Einnahme von Málaga durch vor allem italienische Truppen vom 9. Februar 1937 bis zum 12. Mai 1937 in franquistischer Gefangenschaft befunden, war zum Tode verurteilt, aber auf britische Intervention wieder freigelassen worden und hatte sich danach nie mehr in Spanien aufgehalten. Allerdings brach Koestler in der Folgezeit mit der Partei und gründete gemeinsam mit Willi Münzenberg 1938 die sozialistische und antistalinistische Wochenzeitung Die Zukunft.
Rolf Reventlow war Mitglied der SPD, einer der nicht sehr zahlreichen sozialdemokratischen Freiwilligen in Spanien, zeitweilig Adjutant des Generals Julius Deutsch und danach Offizier, aber nicht bei den Internationalen Brigaden, sondern in der rein spanischen 218. Brigada Mixta der 68. Division der Spanischen Volksarmee. Am 5. November.1937 schrieb „Fritz V.“ (Wilhelm Tebarth) an „Fritz Barcelona“ 20:
„ … zum ersten Mal tritt Dorriot in Erscheinung. Wir vermuten einen Zusammenhang mit Reventlow. Unsere weiteren Untersuchungen müssen sich auch in dieser Linie bei Euch bewegen, um Tatsachenmaterial gegen R. herbeizuschaffen. Die Verbindung Münzenberg-Dorriot ist bekannt. Wir haben Beweise dafür, dass Reventlow Verbindung mit Münzenberg aufgenommen hat … Wichtig ist in Barcelona, dass nach eigenen Angaben von R. die stärkste sozialistische Gruppe, vorwiegend Italiener, sich in Barcelona befindet. R. hat seine Reise nach Barcelona bereits angekündigt.“21
Der in der Skizze über die Postzensur genannte Werner Meister, ursprünglich Mitglied der SPD, dann der SAP, hatte schon vor dem Krieg in Spanien gelebt, gehörte dann den republikanischen Geheimdiensten DEDIDE und SIM an und wurde von der KPD-Abwehr verdächtigt, für den britischen Intelligente Service oder für das französische Deuxieme Bureau zu arbeiten. Meister recherchierte gelegentlich im Auftrag der Spanier auch gegen die kommunistischen Dienste. Auf Grund der unsicheren Aktenlage lässt sich im Augenblick nicht alles zufriedenstellend rekonstruieren. Der KPD-Abwehr war aber bekannt geworden, dass er in Spanien Kontakte zu Sozialdemokraten, so vor allem zu Rolf Reventlow, hatte und dieser von ihm für die KPD absolut unerwünschte Informationen bekam. Außerdem, so ein weiterer Vorwurf der KPD-Abwehr, würde Meister mit der Hilfe „feindlicher Kräfte“ in der republikanischen Regierung Interbrigadisten bei der „legalen Desertion“ helfen.22 In seinen Erinnerungen beschreibt Reventlow Werner Meister als seinen „Privatspitzel“, mit dessen Hilfe es gelang, inhaftierte Sozialisten aus republikanischen Gefängnissen zu befreien oder mit der republikanischen Polizei ein geheimes Gefängnis der Internationalen Brigaden auszuheben.23 Der SIM hatte Berichte von Interbrigadisten
gesammelt, denen angeblich von ihm Hilfe beim Verlassen der Internationalen Brigaden angeboten wurde. Aus
diesem Vorwurf wurde unter anderem auch darauf geschlossen, Meister habe mit Reventlow und Julius Deutsch Interbrigadisten zur Desertion animiert. Werner Meister fiel in der französischen Emigration nach der Besetzung Frankreichs den Nazis in die Hände, wurde vom sogenannten „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 21. Januar 1943 in Berlin hingerichtet.
Wegen Alexander Maass und seiner Frau Margit Kurcz (Lebensdaten unbekannt) war Hans Kahle schon in Moskau von „Mertens“ (Grete Wilde) befragt worden. Ein Auszug soll illustrieren,24 was die KPD-Abwehr über das Verhältnis Kahle – Maass außerdem zusammengetragen hatte:
Kurt Stern (1907–1989) hatte in Paris in Münzenbergs Éditions du Carrefour gearbeitet und war Chefredakteur der Zeitschrift Unsere Zeit gewesen. In Spanien gehörte er der XI. Internationalen Brigade an und arbeitete für deren Zeitschriften Pasaremos und das Dachorgan aller Interbrigaden, den Volontaire de la Liberté, das zeitweilig von Alfred Kantorowicz redigiert worden war. Seine mit „Ruth“ bezeichnete Frau ist Jeanne Stern (1908–1998). Sie war, wie aus ihrer am 14. Juli 1937 in Valencia ausgefüllten „Biografia de Militantes“, dem Fragebogen der KP Spaniens, hervorgeht, Mitglied dieser Partei. Sie gründete die Kindergruppe der Roten Hilfe Spaniens und war Korrespondentin der Agence Espagne in Spanien. Ilse Wolff (1905–?) war ebenfalls Journalistin, arbeitete bis zu ihrer Entlassung bei Radio Madrid und war vor ihrer Zeit in Spanien mit dem verstorbenen Hans Theodor Joel (1892–1936), Redakteur beim GegenAngriff, liiert gewesen. Befreundet war sie mit Julius Deutsch, Rolf Reventlow und Alexander Maass. Sie hatte auch Kontakt zu dem in der Skizze genannten Walter Bertram (Lebensdaten
unbekannt), früher unter anderem Moskau-Korrespondent der Roten Fahne, der beim Freiheitssender 29,8 und in der Propagandaabteilung der Delegation der Internationalen Brigaden in Barcelona gearbeitet hatte. In den Papieren der KPD-Abwehr wurde ihm vorgeworfen, der „Heinz-Neumann-Gruppe“ angehört zu haben. Er wurde als „Trotzkist“ und wegen der „Kontakte zu parteifeindlichen Elementen“ entlassen und der XI.Internationalen
Brigade zugeteilt. Obwohl er sich als tapferer Soldat bewährte und mehrfach verwundet wurde, konnte er das gegen ihn gehegte Misstrauen nicht abbauen.25
Walter Ullmann alias Joel Lehrmann (1898–1949), bis 1933 Theater- und Filmagent, hatte in der Pariser Emigration das Blaue Heft gegründet, in dem auch Kantorowicz veröffentlichte. Er arbeitete dann in Spanien als Journalist. Ihm wurden Verbindungen zum POUM und die Umgehung der Zensur angelastet, was dann am 27. Juli 1937 zu seiner Verhaftung durch die spanische Geheimpolizei führte.
Stefa (richtig „Stefania“) Rawicz de la Fuente, bis zu ihrem Ausschluss 1937 Mitglied der KP Spaniens, arbeitete vormittags bei der Presseabteilung des Innenministeriums und nachmittags bei der Postzensur in Madrid, war für die sowjetische Bildagentur „Sojusfoto“ tätig, und wurde verdächtigt, bevorzugt „trotzkistische Post“ zu befördern bzw. unter Umgehung der Zensur zu versenden. Sie war verheiratet mit José de la Fuente (Lebensdaten unbekannt), Leutnant im Stab der Sanität der XII. Internationalen Brigade. Dieser war gut bekannt mit Gustav Regler. Ihr Bruder Marian (Mariano) Rawicz (1908–1974), unter anderem Übersetzer des deutschen Schriftstellers Ernst Toller
(1893–1939) ins Spanische, war im Propaganda-Ministerium beschäftigt und schuf mit Mauricio Amster (1907–1980) bis heute berühmte Buchumschläge, z.B. für den legendären linken Verlag Editorial CENIT. Dieser Verlag, der eigenartigerweise im August 1936 seine Arbeit einstellte, hatte unter anderem die spanische Ausgabe von Trotzkis Autobiographie „Mein Leben“ herausgebracht, einer seiner Direktoren war Juan Andrade (1898–1981), inzwischen Mitglied des Exekutivkomitees des POUM.
Stefa und Marian Rawicz, Polen jüdischer Herkunft, waren 1934 nach Spanien emigriert, hatten an dem Aufstand der Bergarbeiter in Asturien teilgenommen und waren deshalb von den spanischen Behörden inhaftiert worden. Mit dem Sieg der Linkskräfte wieder freigekommen, engagierten sie sich sofort für die Republik und waren auch in die KP Spaniens eingetreten. 1937 wurden beide wegen „Trotzkismus“ und „Verbindung zum POUM“ aus der KP Spaniens ausgeschlossen. Das war sicher nur ein Vorwand, denn in Wahrheit ging es um ihre vielseitigen Verbindungen und die daraus entstehenden Projekte. So wollte Mariano Rawicz mit dem aus der ČSR stammenden deutschen Schriftsteller und später gelegentlichen Weltbühne-Autoren Willi Tieze (1906–1948) und der ebenfalls verdächtigten polnischen Journalistin Sofia Kramstyk (1891–?) die deutschsprachige Spanische Illustrierte gründen, mit der im Ausland für die Republik geworben werden sollte. Da man aber der Ansicht war, dass sich diese Zeitschrift jeder Kontrolle entziehen könnte, versuchte – obwohl das wahrlich nicht ihre Aufgabe war – die KPD-Abwehr unter Beeinflussung spanischer Stellen alles, um diese Zeitschrift zu verhindern. In mehreren ausführlichen Briefen an die „Genn. Carmen“ versuchten Stefa und Mariano Rawicz ab September 1937 alle Vorwürfe zu entkräften und ihre Bekannten in Schutz zu nehmen.26
Zu ihnen gehörten auch die Geschwister Angela (1903–1993) und Rudolf Selke (1902–?), die schon seit ihrer Flucht aus Deutschland im Exil auf den Balearen gelebt hatten. Rudolf Selke hatte vor und nach 1933 neue sowjetische Literatur für den Malik-Verlag übersetzt. Nach dem Putsch der Generäle arbeitete Selke für die Auslandsabteilung des Propaganda-Ministeriums und dolmetschte auch für den sowjetischen Schriftsteller Ilja Ehrenburg (1891–1967). Selke kannte Ehrenburg schon seit mehreren Jahren, weil er einige von dessen Büchern ins Deutsche übersetzt hatte. Angela Selke war Mitglied der JCI (Juventud Comunista Ibérica), der Jugendorganisation des POUM. Später, im mexikanischen Exil, sollte sie Ludwig Renns wissenschaftliche Abhandlung über den Krieg und Anna Seghers´ berühmten Roman „Transit“ ins Spanische übersetzen. Verdächtig wurden beide auch durch die Verbindung
zu dem Journalisten Otto Pless (Lebensdaten unbekannt), der zu dieser Zeit in Jaén bei der Frontzeitung Altavoz del frente („Lautsprecher der Front“) arbeitete und von dem die KPD-Abwehr behauptete, er wäre für die deutsche Botschaft tätig und sei Mitglied der Deutschen Arbeitsfront (DAF). In diesem Kontext ist aber vor allem interessant, dass Pless, von der Ausbildung her wohl als Fotograph tätig war für den „Münzenberg-Kreis“ und besonders für Wieland Herzfelde (1896–1988), dem die KPD-Führung ebenfalls verschiedene „Abweichungen“ nachsagte.27
Des „Trotzkismus“ schon in Spanien verdächtig war auch Otto Katz (1895–1952), Direktor der Agence Espagne, der im Auftrag Münzenbergs oft Spanien bereiste.28 Dass bei ihm einige Verbindungen zusammenliefen, ist nur zu natürlich, ebenso bei Herta Jurr (Herta Tempi, 1907–198?), Münzenbergs Sekretärin in Paris. Louis Dolivet ist Udeano (eigentlich: Ludovic Brecher, 1908–1989), er war zeitweilig Sekretär von Henry Barbusse (1873–1935) im Weltkomitee gegen Krieg und Faschismusgewesen und gleichzeitig Sekretär des Französischen Nationalkomitees.
Zu dieser Zeit lebte er mit Herta Jurr zusammen. „Herz“ ist der schon erwähnte Sozialdemokrat Dr. Paul Hertz, Mitglied des Parteivorstands der SPD in Prag, der ebenfalls mit Münzenberg zusammenarbeitete, sich im Juni/ Juli 1937 in Spanien aufhielt und die Möglichkeiten des Zusammengehens von Kommunisten und Sozialdemokraten auslotete. Da er wegen des Verschwindens des jungen Sozialdemokraten Mark Rein (1909–vermutlich 1937), des Sohns von Rafail Abramovich (d.i. Rafail Rein, 1880–1963) einem der Führer der Exil-Menschewiki, recherchierte und später von seinem spanischen Parteifreund, dem Verteidigungsminister Indalecio Prieto (1883–1962), erfahren
musste, dass Rein offensichtlich tot ist, zog er sich den Unwillen der KPD-Abwehr zu. Rein wollte sich als Elektroingenieur der republikanischen Regierung zu Verfügung stellen und gleichzeitig Fragen der Einheitsfont zwischen Kommunisten und Sozialisten diskutieren. Kurze Zeit danach verschwand er aus seinem Hotel, bis heute fehlt von ihm jede Spur.
Sein Verschwinden belastete das Verhältnis zwischen Sozialisten und Kommunisten immens. Der Prager Vorstand der SPD protestierte, allerdings erfolglos, bei der Vertretung der KPD in Paris. In puncto Mark Rein konnte Paul Hertz also nichts tun, aber erreichte bei dem für die Fremdenpolizei zuständigen Sozialisten und Innenminister Paulino Gómez Sáiz (1889–1977), dass verhaftete KPD(O)-Mitglieder freigelassen wurden. Vermutlich sind seine Bekanntschaft mit Artur Dorf (1908–1972), der Hertz bei seinem Besuch bei den Internationalen Brigaden begleitete, und sein Briefwechsel mit ihm auch ein Grund dafür, weshalb Dorf, dessen spanische Zeit Material für einen eigenen Aufsatz bietet, auch in Verdacht geriet, nicht zuverlässig zu sein. Hertz informierte Dorf über seine Erkenntnisse zu Mark Rein und über die Haltung des Parteiverstands der SPD in Prag, in Verkennung der Lage allerdings, dass Dorf dafür seitens der KPD gar nicht autorisiert war. Es nutzte Dorf deshalb wenig, dass er Franz Dahlem im Nachhinein über die Post von Hertz informierte.29 Seitens der KPD in Spanien und der Kommission für ausländische Kader beim ZK des PCE herrschte gegen Dorf wegen dessen Flucht am 2. September 1933 aus dem Remscheider Polizeigefängnis und seinem Verhalten in der Pariser Emigration Misstrauen. Obwohl sein militärischer und politischer Aufstieg bei den Brigaden am Anfang nahezu kometenhaft war, nahm auch das Misstrauen gegen ihn durch die Häufung der von ihm gemachten Fehler zu. So meldete er stolz am 27.April 1937 dem Ministerpräsidenten Francisco Largo Caballero (1869–1946) in dessen Eigenschaft als gleichzeitiger
Kriegsminister, dass er zum Brigade-Kriegskommissar ernannt worden sei. Zu dieser Zeit hätte er als höherer Funktionär die reservierte Haltung der Kommunisten und der Sowjetunion gegenüber Caballero kennen müssen, der ja dann tatsächlich einen Monat später zurücktreten musste.30
Der niederländische Schriftsteller Jef Last (1898–1972) war befreundet mit André Gide (1869–1951) und Max Hodann. Last, der 1936 in Münzenbergs Édition du Carrefour den Roman „Zuiderzee“ veröffentlicht hatte und Offizier der Internationalen Brigaden war, wurde des „Trotzkismus“ verdächtigt und außerdem wurde ihm die Absicht unterstellt, alle Niederländer zu einer speziellen, der Kontrolle der Kommunisten entzogenen Einheit zusammenfassen zu wollen. Auch er war ins Visier des SIM der Brigaden geraten. Max Hodann, dem Peter Weiss
in der „Ästhetik des Widerstands“ ein literarisches Denkmal setzte, und der der Sanität der Internationalen Brigaden angehörte, aber politisch ein ausgesprochen schlechtes Image hatte,31 versuchte von Spanien aus mit André Gide und Willi Münzenberg in Paris zu korrespondieren und bediente sich der Hilfe Jef Lasts, der die Post in zivilen Postämtern aufgab. Aber auch hier konnte die KPD-Abwehr, vermutlich mit Hilfe spanischer Dienste, die Post beschlagnahmen. Hodann aber war auch befreundet mit Alexander Maass und dessen Frau Margit Kurcz.
Als diese verhaftet wurde, hatte sie kurz zuvor Hodann mehrere Briefe mit der Bitte übergeben, sie der in der Presseabteilung des Servicio Sanitario tätigen Augustine (Gusti) Jirku32 zukommen zu lassen. Jirku, die in Moskau bei der Kommunistischen Jugendinternationale gearbeitet hatte, mit einem jugoslawischen Mitarbeiter der Komintern verheiratet war und viele kannte, die wie z.B. Moses Lurje (Alexander Emel, 1897–1936), Funktionär der KPD, Opfer des stalinistischen Terrors wurden, sollte diese Briefe und Hodanns Post unter Umgehung der Zensur der Internationalen Brigaden über die „Prensa extranjera“, die Abteilung für die ausländische Presse, verschicken.
Aber Gusti Jirku kannte aus ihrer Moskauer Zeit auch Julia Annenkowa (d.i. Julia Gitelsohn, 1903–1939) 33 und Maria Osten (1908–1942). Welche Anstrengungen die KPD-Abwehr in Spanien unternahm, angebliche „Feinde“ aufzuspüren, zeigt sich darin, Jirku durch ihre Bekanntschaft mit Theodor Balk (d.i. Fodor Dragutin, 1900–1974) zu belasten. Balk, Arzt, Schriftsteller und Mitglied der KPD, wurde in den internen Papieren hartnäckig als „Trotzkist“ bezeichnet. Für ihn selbst scheint das keine Konsequenzen gehabt zu haben, aber für Hodann und Jirku reichte die Bekanntschaft mit einem „Trotzkisten“ als Bedrohung allemal. Walter Ulbricht behauptete dann 1938 noch dazu, Hodann wäre im Auftrag Münzenbergs in Schweden tätig, eventuell auch, um den Kreis der neuen Bewegung Münzenbergs, der „Freunde der sozialistischen Einheit“ und der Zeitschrift Die Zukunft zu verbreitern.34
Weshalb Maria Osten im Zentrum dieser Skizze steht, hängt wohl damit zusammen, dass sie aus dem „Versöhnler-Kreis um den Malik-Verlag“ kam, in der Emigration und in Spanien alle und jeden kannte und, wie Gustav Szinda (1897–1988), Mitglied der Kommission für ausländische Kader beim ZK der KP Spaniens, 1940 in Moskau im Auftrag dieser Kommission schrieb, in Spanien „scharf überwacht“ wurde.35 Offensichtlich wurde gegen sie schon 1937 ein „Amalgam“ vorbereitet, das dann ab 1938 zum tödlichen Gebräu werden sollte. Ende 1938 wurde ihr
langjähriger Lebensgefährte Michail Kolzow verhaftet, Julia Annenkowa, wie schon erwähnt Chefredakteurin der Deutschen Zentral-Zeitung (DZZ), für die Maria Osten aus Spanien berichtet hatte, war schon seit Juni inhaftiert. Rudolf Selke, den sie aus ihrer Zeit im Malik-Verlag kannte, gehörte mit dem ehemaligen KPD-Mitglied Bernhard Rosner (1900–?) zu den von den Stalinisten am meisten gehassten Deutschen im republikanischen Spanien. Hinsichtlich Maria Ostens wird sich eine definitive Antwort darauf, weshalb sie den Hass der KPD auf sich gezogen hatte, sicher aus der in Arbeit befindlichen Maria-Osten-Biographie von Reinhard Müller zu erwarten sein.
In dem schon genannten „Informe sobre un grupo de extranjeros“, versehen mit dem Vermerk „Carmen. Cuadros“, werden alle Verdächtigungen auf den Punkt gebracht.36 Carmen Martínez Cartón, im Auftrag des ZK des PCE für die ausländischen Parteimitglieder und für die Kommission für ausländische Kader verantwortlich, war regelmäßig Adressatin der Informationen des SIM der Internationalen Brigaden,37 der KPD-Abwehr und der Kaderabteilung der Internationalen Brigaden in Albacete. „Carmen“ war in Wirklichkeit die deutsche Kommunistin Ruth (auch Rut) Kahn (1905–?), die von der Kommunistischen Jugend-Internationale als Beraterin für Santiago Carrillo (1915-2012) für den geplanten Zusammenschluss des kommunistischen und des sozialistischen Jugendverbands zur JSU (Juventudes Socialistas Unificadas) nach Spanien geschickt worden war und dort 1934 das Politbüromitglied des PCE, kommunistischen Abgeordneten, Angehörigen der Milizeinheit des PCE, des 5. Regiments, und danach Kommandeur der 16. Brigade der Spanischen Volksarmee, Pedro Martínez Cartón (1905–1977), heiratete. Durch diese Heirat erwarb sie die spanische Staatsangehörigkeit. Santiago Carrillo aber mochte sie, der er ein „preußisch-feminines Verhalten“ anlastete, überhaupt nicht und erreichte gemeinsam mit den Funktionären des Jugendverbandes Trifón Medrano Elurba (1912–1937) und José Laín Entralgo (1910–1972) anlässlich eines Protestbesuchs in Paris bei Raymond Guyot (1903–1986), dem Generalsekretär der Jugendinternationale, dass Ruth Kahn nach Moskau abgezogen wurde.38 Aber schon im Januar 1937 kehrte Ruth Kahn im Auftrag der Abt. SS (russische Abkürzung für „Verbindungsdienst“), also der Nachfolgeabteilung der OMS, des geheimen Verbindungsdienstes der Komintern, nach Spanien zurück. Dort dem ZK des PCE zur Verfügung gestellt, wurde sie als Verantwortliche in dieser sensiblen und außerordentlich wichtigen Kommission eingesetzt. Nicht nur die hochrangigen spanischen KP-Funktionäre hatten Münzenberg gekannt, „Carmen“ wusste auch zu genau, welche Bedeutung die Komintern ihm und natürlich auch seiner Ausschaltung beimaß.
Es gibt guten Grund anzunehmen, dass sie dabei half, die Aktionen gegen die vermeintlichen und tatsächlichen Münzenberg-Anhänger in Spanien zu koordinieren. So wird in diesem in Spanisch verfassten „Informe“ behauptet, dass sich in Barcelona aus „emigrierten Elementen verschiedener Länder“ eine Gruppe gebildet habe, in die „wir kein Vertrauen haben und die uns verdächtig erscheint.“ Nach der Verhaftung des „trotzkistischen Spions“ Bernhard Rosner wäre ein Kreis entdeckt worden, der aus Trotzkisten, Anarchisten, unzufriedenen Elementen, aus der Partei Ausgeschlossener und direkter Agenten der Gestapo bestehe. Rosner, in Deutschland Verleger und dann nach Spanien emigriert, war 1935 als „Versöhnler“ aus der KPD ausgeschlossen und kurz nach seinem Eintritt in die Internationalen Brigaden als „trotzkistischer Spion“ verhaftet und bis Kriegsende im Gefängnis der Interbrigaden in Castelldefels und Barcelona inhaftiert worden. Er habe, so in dem Papier, in Deutschland vor 1933 in verschiedenen Verlagen der KPD und der Roten Hilfe, aber auch in Moskau gearbeitet, würde viele Genossen kennen, die sich heute in Spanien befänden, und der Comisión de Cuadros läge eine detaillierte Information vor, nach der diese Genossen mit dem internationalen Auftreten der Trotzkisten verbunden wären. Rosner wiederum sei eng liiert mit dem schon erwähnten Rudolf Selke, der in Spanien, wie schon gesagt, Verantwortlicher für die Zensur der ausländischen Presse im Ministerio de Propaganda war. Rosner habe mit ihm in Deutschland, Frankreich und Spanien eng zusammengearbeitet habe. Selke, geboren 1902 in Odessa, war vor den 1.Weltkrieg mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Deutschland übersiedelt, hatte im Institut für Sozialforschung mit Friedrich Pollock (1894–1970) an einem Buch über die sowjetrussische Planwirtschaft gearbeitet und übersetzte dann neue sowjetische Literatur, unter anderem Ilja Ehrenburg, für den Malik-Verlag, wo er auch Maria Osten, damals noch Maria Greßhöner, kennenlernte. Er war mit Sita (1918–1992), der Tochter August Thalheimers, verheiratet und gehörte bis 1928,
bis zu seinem Übertritt zur KPD(O), der KPD an. Interessant ist, dass schon in diesem Papier seine Bekanntschaft mit Michail Kolzow als für ihn belastend angesehen wurde. Auch Dr. Max Hodann, Egon Erwin Kisch (der hier als deutscher Schriftsteller angeführt wird), Gustav Regler und Hans Kahle hätten Kontakt zu Rosner gehabt und man wisse nicht, ob sich das nur auf Verlagsangelegenheiten bezogen habe. Auch habe Rosner weiterhin Kontakt gehabt mit „zwei deutschen Agenten“, nämlich zu „Margit Kurcz und Piskator“ (so im Original! Gemeint ist natürlich der Regisseur Erwin Piscator, 1893–1966, W.A.), und das durch die Vermittlung von Alexander Maass, deutscher Kommunist und Sprecher beim Radio, der heute als Informationsoffizier mit Kleber39 zusammenarbeite, man aber nicht wisse, worin diese Zusammenarbeit bestehe. Aber: Durch die „Trotzkistin Liesel Cornis“ (hier handelte es sich um die deutsche Emigrantin und Mitglied des POUM Liesel Cornille, von der keine weiteren Daten bekannt sind, W.A.) habe Rosner in Paris Kontakt zu den Münzenberg-Kreisen (Circulos de Muenzenberg) und persönlich zu seiner Frau Babette Gross und außerdem immer in Berlin, in Moskau, in Paris und in Barcelona zu Maria Osten gehabt.
Hans Kahle, der zum Glück wohl nichts von seiner Observierung durch die KPD-Abwehr und den SIM wusste und auch später vermutlich weiter mit Münzenberg korrespondierte, schrieb 1939 (ohne Datum) im Gegensatz zur KPD-Führung recht entspannt an Erika Mann (1905–1969):
„Willi M.s Austritt war die glücklichste Lösung dieser komplizierten Angelegenheit. Er trägt sich, wie ich hier aus einem seiner Briefe entnommen habe, mit dem Gedanken, die linken Flügel der sozialistischen Parteien zu einer neuen Internationale zusammenzuschließen. Das ist Zersplitterung der Kräfte und keine Einheit. Und mag die ‚Zukunft‘ noch so gute Mitarbeiter haben, letzten Endes dient sie Sonderbestrebungen und nicht dem so notwendigen Zusammenschluss der deutschen Emigration.“40
Kahle starb am 1.September 1947 in Ludwigslust, Egon Erwin Kisch im März 1948 in Prag. Beiden blieb dadurch wohl erspart,bwas anderen, wie z.B. Otto Katz (André Simone), hingerichtet nach dem Slánský-Prozess in der ČSSR, und einigen deutschen Kommunisten nach der Überprüfung der West-Emigranten in der DDR wenige Jahre später geschah. Arthur Koestler, Gustav Regler und später auch Alfred Kantorowicz brachen mit dem Parteikommunismus, auch Alexander Maass, der sich in Paris Münzenbergs „Freunden der sozialistischen Einheit“ angeschlossen hatte. Maria Osten wurde im Juni 1941 vom NKWD verhaftet und am 8.August 1942 erschossen. Ernst Busch (1900–1980), auch er in Spanien von der KPD-Abwehr überwacht und ausgesprochen negativ charakterisiert,41 war dann der Erste, der in der DDR auf einer Schallplatten-Hülle an seine zeitweilige Lebensgefährtin Maria erinnerte.
Auch die Sterns, Albert Schreiner, der sich wegen seiner KPD(O)-Vergangenheit rechtfertigen musste, und Bodo Uhse lebten in der DDR. Uhse versuchte, seine Probleme mit Alkohol zu verdrängen, was wohl auch zu seinem frühen Tod beitrug. Aber im Gegensatz zu Willi Münzenberg kamen er und viele Gefährten und Vertraute Münzenbergs wenigstens mit dem Leben davon.
Hubert von Ranke überlebte den Krieg als Mitglied des gaullistischen Flügels der Résistance. Im Oktober 1937 hatte er sich, um seine Herzerkrankung zu kurieren, nach Frankreich beurlauben lassen und sich dann, nach seinen eigenen Worten, von der KPD getrennt. Sein Nachfolger in der KPD-Abwehr und dem Servicio especial de los extranjeros war Peter Nerz (d.i. Walter Vesper, 1897–1978) geworden. Aber stimmen kann das mit der Trennung von Rankes von der Partei so nicht ganz: Noch am 19. Juni 1938 schrieb von Ranke aus Paris an seine Genossen in Spanien und gab bereitwillig Auskunft über Alexander Maass und Margit Kurcz. Auch seine Frau Seppl Campalans meldete sich brieflich in Barcelona, um über Margit Kurcz zu informieren.42 Wahr ist allerdings auch, dass die Abwehr zu dieser Zeit schon begonnen hatte, den gesamten Agentenapparat von „Moritz“, also den von Hubert von Ranke, zu überprüfen und einige seiner Verbindungen in Spanien abzuschalten.
Wilhelm Tebarth, „Fritz V.“, der wohl mit dem größten Anteil an der Bearbeitung der „Münzenberg-Kreise“ hatte, wurde im März 1940 in Moskau von Gustav Szinda bescheinigt, er habe „in der Kontraspionagearbeit und später beim SIM der Internationalen Brigaden bei der Enttarnung und Unschädlichmachung der Spione und Gestapo-Agenten eine vorzügliche Arbeit geleistet.“ Im Juli 1938 sei er dann repatriiert, das heißt nach Frankreich geschickt worden, „da viele dieser verhafteten Elemente freikamen, die Trotzkisten eine illegale Terrororganisation organisierten und sein Leben bedroht war“.43 In Wirklichkeit wurde Tebarth abberufen, weil ihn die KPD und sicher auch sowjetische Dienste für die konspirative Arbeit anderswo brauchten. Er war in verschiedenen Ländern, so in der Schweiz, und mit der Legende eines deutschen Offiziers in Deutschland tätig. Dort soll er Anfang 1945, von der Gestapo mit Verhaftung bedroht oder schon verhaftet, Selbstmord begangen haben. Aber mit dem Vorwand, auch sein Leben sei in Spanien in Gefahr gewesen, schließt sich der Kreis zu Hubert von Ranke. Dieser beklagte schon am 3. Februar 1937 in seinem Brief an Franz Dahlem ein Problem mit den spanischen Behörden, das auch den Sicherheitsapparat der KPD und den der Internationalen Brigaden insgesamt bis Ende 1938 beschäftigen sollte. Die spanische Seite ließ oft die Hafturteile für Ausländer überprüfen, inspizierte die Gefängnisse der Interbrigaden und entließ Inhaftierte. Hubert von Ranke schrieb: „Alle internationalen Provokateure und Spitzel, die wir festgesetzt haben, sind durch die andere Seite wieder freigekommen.“44
Ruth Kahn schließlich, die „Genn. Carmen“, kehrte am 20.Mai 1939 nach Charkow in der UdSSR zurück und wurde schon am 23. Juni nach Moskau bestellt, von wo aus sie dann mit einem kubanischen Pass auf den Namen „Carmen Lera“ nach Lateinamerika ausreiste. Da sie ihren dreijährigen Sohn André mitnehmen durfte, ist anzunehmen, dass sie ihrem Gatten Pedro folgte. Pedro Martínez Cartón hielt sich nach dem SpanienKrieg zunächst in Moskau auf, reiste aber dann nach Mexiko, wo sich inzwischen einige Mitglieder des ZK und des Politbüros des PCE befanden. Nach Flügelkämpfen in der Partei und Differenzen zu dem Teil der Parteiführung, der sich in der Sowjetunion aufhielt, trat er, vermutlich gemeinsam mit Castro Delgado und Jesús Hernández, die später durch Aufsehen erregende Enthüllungsbücher auf sich aufmerksam machten, aus dem PCE aus. Martínez Cartón arbeitete in dem Verlag Industrial Gráfica und schrieb z.B. in der Zeitschrift España Popular über die italienische Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin Tina Modotti (1896–1942), die unter anderem im Sanitätsdienst am Spanischen Krieg teilgenommen hatte und dann ebenfalls in Mexiko lebte. Martínez Cartón organisierte 1940 den Kongress zur Unterstützung für die spanischen Flüchtlinge in Frankreich und koordinierte die Arbeit der Spanien-Hilfskomitees in Mexiko und Uruguay.45 Vermutlich hatte er sich später, wie andere PCE-Funktionäre auch, einige Zeit lang an der Politik der KP Jugoslawiens orientiert. Erhalten geblieben sind seine „Erzählungen für Kinder und Erwachsene“. Er starb am 27.Dezember 1977 in Mexiko. Seine Frau „Carmen“ wird nicht mehr erwähnt, ihre Spuren verlieren sich in Mexiko. Nur in einer Information der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) der SED vom 25.April 1952 taucht ihr Name noch einmal auf: „In der spanischen Kaderpolitik in Spanien (so im Original, W.A.) war mit tätig Carmen Cartón. Ihr Mann war Mitglied der spanischen Partei. Beide entpuppten sich nach 1939 als Feinde der Partei“.46
1 Kommunistische Internationale, Heft 4/1939, S. 541 und 542.
2 Der geheime Militär- und Abwehrapparat der KPD wurde nach seinem Chef Hans Kippenberger
(1898 –1937) auch „Kippenberger-Apparat“ genannt.
3 Archiv der Kommunistischen Internationale im RGASPI 545-2-145, S. 46 ff., im weiteren Text nur noch mit RGASPI angegeben.
4 RGASPI 495-18-1117, S. 1; S. 9 –13 und S. 15 –17.
5 RGASPI 495-18-1119, S. 59.
6 RGASPI 495-18-1124, S. 107.
7 RGASPI 495-293-153, S. 57.
8 RGASPI 495-12-156, S. 43.
9 „Carmen“ war einer der vielen Decknamen der Deutschen Ruth Kahn, siehe im Text weiter unten.
10 RGASPI 495-12-156, S. 43.
11 Ebd.
12 Das frühere NSDAP-Mitglied Otto Strasser (1897 –1974) hatte aus der „Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten“ die „Schwarze Front“, die „nationalbolschewistische“ Elemente in sich trug und von den Nazis auch in der Emigration intensiv verfolgt wurde. Die Stalinisten diffamierten die Mitglieder der „Schwarzen Front“ als „Gestapo-Agenten“.
13 RGASPI 495-293-156, S. 47.
14 Vgl. SAPMO-BArch, RY1/I 2/3/92, Blatt 178 /179.
15 RGASPI 545-2-147, S. 307 und 308.
16 Der SIM der Internationalen Brigaden ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen und zur gleichen Zeit (August 1937) gegründeten spanischen Geheimdienst SIM.
17 Vgl. RGASPI 545-6-1577, Karteikarte vom 25.August 1937.
18 RGASPI 545-6-8, S. 100.
19 „Arthur“ könnte sich unter Umständen auch auf Artur Dorf beziehen, der im Folgenden noch erwähnt wird.
20 „Fritz Barcelona“ ist Friedrich Fränken (1897 – 1976), der in Spanien den Decknamen „Fritz Golz“ benutzte und in der Kaderabteilung des PSUC in Barcelona für die Bearbeitung der internationalen Kader verantwortlich war.
21 RGASPI 545-2-145, S. 242. Mit Dorriot gemeint ist Jaques Doriot, 1898–1945, früherer Funktionär der KP Frankreichs, 1934 aus der KP ausgeschlossen.
22 Vgl. die Einschätzung durch Gustav Szinda, Moskau, Feb. 1940, RGASPI 545-6-352, S. 110 und
Liste der schlechten Elemente“, RGASPI 545-6-359, S. 44.
23 Rolf Reventlow, Spanien in diesem Jahrhundert, Wien 1968, S. 166.
24 RGASPI 545-6-385, S. 1.
25 RGASPI 545-6-350, S. 27.
26 RGASPI 545-6-746, S. 119 ff., besonders S. 150 ff.
27 RGASPI 545-6-352, S. 179.
28 RGASPI 545-2-39a, S. 4.
29 RGASPI 545-6-377, S. 122–123.
30 Vgl. RGASPI 545-1-17, S. 32.
31 Vgl. z.B. RGASPI 545-6-351, S. 108.
32 Augustine (Gusti) Jirku 1892–1978, deutsch-österreichische Schriftstellerin aus Slowenien, in Spanien stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift AMI (Ayuda Médica Extranjera). Während dem 2. Weltkrieg für die sowjetische Militäraufklärung GRU tätig, veröffentlichte sie 1961 unter dem Namen Gusti Stridsberg den Bestseller „Menschen, Mächte und ich“.
33 Julia Annenkowa war von 1934 bis 1937 Chefredakteurin der in Moskau erschienenen und
auch außerhalb der Sowjetunion gelesenen Deutschen Zentralzeitung. 1937 verhaftet, verstarb
sie 1939 im Gulag.
34 RGASPI 495-292-100, S. 26.
35 RGASPI 545-6-352, S. 162.
36 RGASPI 545-2-106, S. 27–29.
37 Der SIM (Servicio de Investigación Militar) der Internationalen Brigaden ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Geheimdienst der Spanischen Republik. Natürlich gab es enge Kooperationsbeziehungen, aber der hier interessierende SIM unterstand nicht dem Verteidigungsministerium, sondern dem Kommandanten der Base Albacete.
38 Vgl. Fernando Claudín, Santiago Carillo. Crònica de un secretario general, Barcelona 1983,
S. 42.
39 Das meint Manfred Stern (1896– 1954), der als „General Emilio Kléber“ zum Retter von Madrid wurde. Später nach Moskau zurückbeordert, wurde er im GULAG inhaftiert und verstarb im Arbeitslager Sosnowka.
40 UB Hamburg, NK:EII:6, Kahle an Erika Mann, o.D. (Mitte April 1939), Durchschlag mit eigenhändiger Unterschrift.
41 Vgl. RGASPI 545-6-350, S. 57.
42 Vgl. beide Briefe RGASPI 545-2-146, S. 177.
43 RGASPI 545-6-354, S. 2.
44 RGASPI 545-2-145, S. 48.
45 Lazar Jeifets u. Víctor Jeifets, America Latina en la International Comunista 1919–1943, Santiago de Chile 2015, S. 396.
46 SAPMO DY30/IV 2/4/405.