Titelfoto: Mitglieder der XI. Internationalen Brigade bei Escorea. Mielke war dort für einige Zeit Operationsoffizier -Foto: picture alliance / akg-images
Der Capitán aus dem Wedding
Vor 110 Jahren wurde Erich Mielke geboren. Während des Spanischen Kriegs arbeitete der spätere Minister für Staatssicherheit der DDR im Verwaltungszentrum der Internationalen Brigaden. Bis heute wird ihm nachgesagt, er sei für den sowjetischen Geheimdienst tätig gewesen – zu Unrecht
Von Werner Abel
Am 19. Februar 1933 schrieb die Vertretung der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) bei der Kommunistischen Internationale in Moskau einen Brief nach Berlin, adressiert an Walter Ulbricht, zu dieser Zeit Mitglied des Politbüros der KPD: »Lieber Freund! Die Dir bekannten Arbeiter Mielke und Ziemer bitten, dass ihnen je ein Kleider- und Wäschepaket von ihren Angehörigen übermittelt wird. Sie sind jetzt über ein Jahr hier und mit ihrer Kleidung ist es ganz schlecht bestellt. Der Vater von Z., Karl Ziemer, Berlin W 50, Passauerstr. 36 v. IV ist ein Kleinbürger, wird aber die Sachen für den Sohn geben. Der Vater von M., Emil Mielke, Berlin Stettinerstr. 25, ist ein Genosse und hat eineinhalb Jahr Gefängnis gehabt. Mit bestem Gruß.«
Erich Mielke und Erich Ziemer waren nach den Schüssen am 9. August 1931 auf dem Bülowplatz in Berlin in Verdacht geraten, die Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenck getötet zu haben, und deshalb in die Sowjetunion geflüchtet. Solche Sorgen, die in dem Brief an Ulbricht zum Ausdruck kommen, sollten sich einige Jahre später erledigt haben, denn beide gingen nach Spanien, um dort gegen den Faschismus zu kämpfen. Mielke trug dort die Uniform eines Offiziers der Spanischen Volksarmee und bekleidete den Rang eines Capitán (Hauptmann). Er hieß fortan »Fritz Leissner«. Mit diesem Decknamen ist er auch auf der »Liste der Mexikaner« erfasst. Dort steht unter der laufenden Nummer 52 »Leissner, Fritz, Kapitän, Deutscher, geb. 28.12.1907 in Berlin, Angestellter, ledig, Mitglied des KJVD seit 1923. Spanien: November 1936. War bei der 14. und 11. Brigade, gegenwärtig Base Albacete, Stab«. »Mexiko« war im Spanienkrieg die Tarnbezeichnung für die UdSSR, ausländische Kommunisten, die von dort nach Spanien kamen, wurden deshalb »Mexikaner« genannt. Eine geheimdienstliche Dimension hatte das in der Regel nicht. Die »Mexikaner« hatten oft die Militärpolitische Schule der Komintern absolviert und wurden als Frontoffiziere oder Politkommissare eingesetzt. Unter ihnen waren mit Erich Weinert, Peter Kast und Willi Bredel auch Schriftsteller, die vom Krieg berichten sollten. Bredel war sogar für einige Monate Politkommissar des Thälmann-Bataillons der XI. Internationalen Brigade, die dort gewonnenen Erfahrungen konnte er später verarbeiten, als er seine »Begegnung am Ebro« schrieb.
Auch Erich Mielke war Absolvent der Militärpolitischen Schule in Babowka bei Moskau, die er erstmals von Januar bis August 1932 besuchte hatte. Offensichtlich war man dort von seinen Fähigkeiten beeindruckt, denn nach einem Kurs an der Internationalen Leninschule kehrte er noch einmal nach Babowka zurück, allerdings nicht nur als Schüler, sondern auch als Lehrer. Unter dem Namen »Paul Bach« gab er selbst Unterricht. Hier ist er womöglich auch Wilhelm Zaisser aufgefallen, der von 1932 bis 1936 unter dem Decknamen »Werner Reissner« Direktor dieser Schule war. Das mag erklären, weshalb dieser Mielke später in Spanien zu seinem Adjutanten machte. In einem Fragebogen, den Mielke im Juni 1938 für Luigi Longo (unter dem Namen »Gallo« Generalkommissar-Generalinspekteur der Internationalen Brigaden) ausfüllte, schrieb er, dass er in der Sowjetunion Kenntnisse vom Straßenkampf bis zur Führung eines Bataillons bzw. Regiments erworben habe. Deshalb wurde er nach seiner Ankunft am 11. Dezember 1936 in Spanien zunächst als Alférez (Unterleutnant) der XI. Internationalen Brigade, dann als Teniente (Leutnant) der XIV. Brigade zugeteilt, beide Male gehörte er dem Stab als Operationsoffizier an. Nach einer kurzen Rückkehr zur XI. Brigade als Kaderoffizier wurde er dann zur 27. Division, der Division »Carlos Marx«, kommandiert, wo er wieder als Operationsoffizier und dann als Stabschef der 124. Brigade dieser Division eingesetzt war. Gleichzeitig war er auch als Kaderoffizier für die internationalen Kämpfer dieser Einheit zuständig. Allerdings waren die Internationalen in dieser Division nicht so zahlreich wie in denen, die zu den Internationalen Brigaden gehörten.
Im Apparat
Gustav Szinda, Mitglied der Kommission für ausländische Kader beim ZK der KP Spaniens, schrieb 1940 in Moskau, Mielke zeichne sich durch »große organisatorische Fähigkeiten« aus. Das war wohl auch der Grund, weshalb er von Vital Gayman, einem französischen Kommunisten, der bis Ende Juli 1937 Kommandant der Base Albacete war, in das Verwaltungszentrum der Interbrigaden geholt wurde. Es ging darum, die Ausbildungslager der Interbrigaden in Madrigueras, Casa Ibañez, Quintanar de la Rebública, Villanueva de la Jara, Torcillo, Tarazona und Pozo Rubio einzurichten. Dazu gehörten Nachrichtenschulen sowie die Offiziers- und Unteroffiziersschule im Schloss von Pozo Rubio. Dorthin hatte Mielke übrigens eine besondere Beziehung, weil er hier auch Vorträge über politische und militärische Themen hielt. Die Ausbildungslager waren vor allem deshalb wichtig, weil der größte Teil der internationalen Freiwilligen über keinerlei militärische Erfahrungen verfügte. Mielke erledigte seine Aufgaben offensichtlich so erfolgreich, dass bald der gesamte operative Schriftverkehr über seinen Schreibtisch ging. Mit Helena Falkener hatte er, wie erst kürzlich durch Zufall bekannt wurde, eine Sekretärin, die Spanisch wie ihre Muttersprache beherrschte. Hinzu kam noch ein weiterer für ihn günstiger Umstand. Wilhelm Zaisser, in Spanien nur als »General Gómez« bekannt, hatte sich geweigert, die durch die Kämpfe an der Córdoba-Front völlig erschöpften Angehörigen der von ihm kommandierten XIII. Brigade an der Zentralfront in der geplanten Schlacht um Brunete (6. bis 25. Juli 1937) einzusetzen und war deshalb von General José Miaja seines Kommandos enthoben worden. Am 4. Juli 1937 kehrte er nach Albacete zurück und wurde wieder, was er schon im Herbst 1936 gewesen war, Chef der Ausbildung im Stab der Internationalen Brigaden. Zaisser, der durch seine Erfahrungen und die vielen Jahre im Dienst des Verbindungsdienstes der Komintern (OMS), und seiner Tätigkeit für die Aufklärung der Roten Armee (GRU) eine starke Position hatte, machte Mielke zu seinem Adjutanten. Als Zaisser dann am 1. Dezember 1937 Kommandant der Base wurde, musste Mielke bis zum 21. Januar 1938 als Chef der Ausbildungssektion fungieren. Da aber diese Planstelle zumindest mit einem Teniente-Coronel (Oberstleutnant) besetzt werden musste und sich der spanische Generalstab seinen Einfluss in den Interbrigaden sichern wollte, wurden der Spanier Basilio Atanassoff als Chef der Ausbildung und Mielke als sein Adjutant eingesetzt. Aus den erhalten gebliebenen Hunderten von Mielke unter- oder abgezeichneten Briefen lässt sich schlussfolgern, dass er den größten Teil der operativen Arbeit erledigte. Seine Aufgaben waren vielfältig. Es ging um die Belegung und die Absicherung der Lehrgänge, die Beförderung der Kursanten zu ihren Einheiten und an die Front, um Urlaubslisten, aber auch um die materielle Absicherung der Ausbildung, die sich von der Besorgung von Taschenlampenbatterien bis zum Holz für Schießstände erstreckte. In diesem Kontext ist es auffallend, dass aus diesem Zeitraum weit mehr von Mielke unterzeichnete dienstlichen Schriftstücke überliefert sind als von Atanassoff.
Als im April 1938 mit einer Order des spanischen Kriegsministeriums die sofortige Evakuierung der Base Albacete sowie deren Verlegung nach Barcelona angeordnet wurde und überdies kaum noch Freiwillige nach Spanien kamen, war auch für Mielke der Dienst beendet. Er wurde Adjutant von Pedro Mateo Merino, dem Kommandanten der 35. Division, zu der zu dieser Zeit auch die XI., die XIII. und die XV. Internationale Brigade gehörten. In einem 1986 in Madrid erschienenen Buch bescheinigte Mateo Merino ihm, Mielke sei nicht nur Stabsoffizier gewesen, sondern habe auch bei der Ebro-Schlacht mutig gekämpft.
Nach dem Abzug der Internationalen Brigaden von der Front setzte Mielke die schon in der Offiziersschule begonnene Vortragstätigkeit im Auflösungslager Bisaura de Ter fort. Nun waren es aber rein politische Themen, über die er sprach. So etwa am 17. Januar 1939 in einem Schulungskurs für Referenten zum Thema »Die POUM – der Todfeind des spanischen Volkes«. Zu diesem Zeitpunkt war die linkskommunistische »Arbeiterpartei der marxistischen Einheit« allerdings längst verboten und ihre führenden Mitglieder inhaftiert oder tot. Und man durfte auch damals annehmen, dass der Todfeind des spanischen Volkes der internationale Faschismus und speziell der Franquismus war, der zu diesem Zeitpunkt ansetzte, die letzten Bastionen der Republik zu stürmen. Aus diesem Grund appellierte die republikanische Regierung an die schon aufgelösten Interbrigaden, in einem letzten, dem sogenannten Zweiten Einsatz, noch einmal in den Kampf zu ziehen und die Evakuierung vor allem der Zivilbevölkerung zu sichern. Auch Erich Mielke nahm daran teil. Danach überschritt er mit den anderen Interbrigadisten die Grenze zu Frankreich und wurde dort zunächst im zentralfranzösischen Cepoy interniert.
Entstehung einer Legende
Erich Mielke hat sich nie öffentlich über seine Tätigkeit in Spanien geäußert, in den vielen Erinnerungsbänden sucht man seine Stimme vergebens. Das bot Anlass zu Spekulationen, die je nach politischer Positionierung sehr unterschiedlich ausfielen. So schrieb z. B. Franz Dahlem, der nach dem Tod von Hans Beimler der Vertreter der KPD in Spanien war, Mielke sei der Leiter der Offiziersschule in Pozo Rubio gewesen, was aber schlichtweg nicht stimmt. Heinz Priess, der diese Offiziersschule besucht hat, charakterisiert Mielke als einen arroganten Lehrer, der seinen Zuhörern, die oft älter waren als er, huldvoll erlaubte, ihn beim Gebrauch ihnen unbekannter Fremdworte zu unterbrechen. Priess schildert auch einen Besuch an der vordersten Linie. Mielke habe sich, gekleidet in die tadellose Uniform eines Stabsoffiziers, mit dem Auto fahren und durch sein Auftreten die völlige Unkenntnis der Bedingungen an der Front erkennen lassen. Auch in diesem Zusammenhang unterstellt ihm Priess Arroganz gegenüber seinen Genossen. Psychologisch dürfte diese Haltung erklärbar sein, denn der einfache Arbeiterjunge aus dem Wedding, der das Gymnasium hatte abbrechen müssen, war plötzlich der geschätzte »Don Capitán Fritz Leissner« und zuständig für die Ausbildung Tausender Kämpfer, eine Aufgabe, die er offensichtlich zur Zufriedenheit und mit Bravour meisterte.
Völlig andere Einschätzungen, die mit der Realität nichts zu tun haben und die Rolle Mielkes als Minister für Staatssicherheit der DDR auf sein Wirken im Spanischen Krieg projizieren, trafen Alfred Kantorowicz und Walter Janka. Ihre Behauptung bestimmen bis heute das Bild Mielkes in der Öffentlichkeit. Kantorowicz schrieb 1961 im »Deutschen Tagebuch« vom »Himmler des Ulbricht-Regimes, Mielke, den in Spanien niemand von uns gekannt hatte, weil er sich dort im Verborgenen durch ›Vernehmungen‹ von Trotzkisten für seine spätere große Aufgabe qualifizierte«. Es ist eine kühne Behauptung, dass »niemand« einen der Hauptverantwortlichen für die Ausbildung der Interbrigadisten in Spanien gekannt haben soll, aber vielleicht wusste Kantorowicz tatsächlich nicht, dass Mielke dort »Fritz Leissner« hieß. Dass er einen Decknamen benutzte, war keineswegs ungewöhnlich, sondern üblich in den kommunistischen Parteien und damit natürlich auch in Spanien. »Parteinamen« dienten eher dem Selbstschutz oder sollten die Herkunft verschleiern, einen geheimdienstlichen Hintergrund hatte das in den wenigsten Fällen. Kantorowicz, Redakteur der Interbrigaden-Zeitung Le Volontaire de la Liberté, Informationsoffizier der XIII. Brigade und nach seiner ausgeheilten Verwundung mit dem Schreiben eines Buches befasst, hatte kaum Berührungspunkte mit dem Hauptstab in der Base Albacete, dem Ort, an dem Mielke am längsten tätig war. Gut möglich, dass er ihn nie wissentlich getroffen hat. In seinem »Spanischen Kriegstagebuch« kommt der Name Mielke jedenfalls nicht vor.
Jankas Vorwürfe
Weit wirkmächtiger waren allerdings die Vorwürfe, die Walter Janka, auch er Spanienkämpfer, in seiner Autobiographie und in seinen Vorträgen gegen Mielke erhob. Janka war im Dezember 1956 wegen einer angeblichen »Verschwörung gegen die DDR« verhaftet und 1957 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, die er bis zu seiner vorzeitigen Entlassung aufgrund internationaler Proteste 1960 im Zuchthaus Bautzen verbringen musste, in jenem berüchtigten Gefängnis, in dem er schon in der NS-Zeit von 1933 bis 1934 vor seiner Verbringung in das KZ Sachsenburg inhaftiert war. Seine Verbitterung über die Verhöre durch Erich Mielke, über Prozess und Haft war grenzenlos. Der Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei schrieb später: »Natürlich konnte und wollte Janka verständlicherweise ein von Ulbricht und Mielke begangenes Unrecht an ihm nicht verzeihen.« Im Falle Mielkes bedeutete das allerdings, dass er dessen Tätigkeit in Spanien ganz und gar neu erzählte.
Folgt man Janka, dann traf er das erste Mal in Murcia auf Mielke, wo die XI. Brigade von Mitte Januar bis Anfang Februar 1937 zur Reorganisation in Ruhestellung lag. Als Janka aus dem Ausbildungslager Madrigueras kommend in Murcia eintraf, wurde er von Mielke, der zu dieser Zeit Kaderoffizier war, gefragt, wie er nach Spanien gekommen sei. Der Grund für die Frage war, dass die KPD im CSR-Exil es abgelehnt hatte, den nach der Entlassung aus dem KZ in der tschechischen Emigration befindlichen Janka nach Spanien zu delegieren. Er war deshalb mit Hilfe des kommunistischen Jugendverbands der CSR nach Spanien gereist. Das erregte Misstrauen, und Mielke wollte ihn angeblich nach Valencia schicken. Der Kaderoffizier hatte keine geheimdienstliche Funktion, aber das Recht, nach Gründen und Reiserouten zu fragen. Es war Krieg, die Freiwilligen kamen aus über 50 Ländern, und man musste sichergehen, dass sich unter ihnen keine faschistischen Agenten befanden. Die »Individualisten«, wie sie von der Kaderabteilung der Interbrigaden genannt wurden, die auf eigene Faust und ohne den Auftrag ihrer Partei nach Spanien gekommen waren, wurden von Anfang an verschärften Kontrollen ausgesetzt. Insofern war Mielkes Verhalten völlig korrekt, weniger vielleicht die Form, wie Janka sie beschrieb.
Jahre später, so berichtet Janka weiter, habe er erfahren, dass sich in Valencia ein Gefängnis des Servicio de Investigación Militar (SIM) der Interbrigaden für Spione, Agenten und Trotzkisten befunden habe, in dem, mit oder ohne Prozess, Verdächtige verschwanden. »Und der Mann, der mich dorthin schicken wollte, war für den SIM in der 11. Brigade zuständig. Er hieß: Erich Mielke.« Diese Behauptung ist nachweislich falsch. Zu dieser Zeit gab es noch keinen SIM, dieser wurde zeitgleich mit dem spanischen Dienst gleichen Namens am 9. August 1937 gegründet. Zuvor hatte es bei den Brigaden den Servicio de Control gegeben, dem Mielke aber nicht angehörte. Er war auch kein Mitglied der KPD-Abwehr in Spanien, deren Angehörige ebenso bekannt sind wie die deutschen Mitarbeiter des Kontrolldienstes und des späteren SIM. In Valencia unterhielten die Interbrigaden kein Gefängnis. Die Gefängnisse in dem Convento de Santa Ursula in Valencia und in Segorbe in der Provinz Valencia waren berüchtigt, hatten aber mit den Interbrigaden nichts zu tun. Über Gefängnisstrafen und Hinrichtungen entschied auch keine einzelne Person, sondern die Juristische Kommission der Brigaden oder ein Divisionskommandeur. Nach der Öffnung der Archive nach 1990 musste auch die Behauptung, es sei vielfach zu Erschießungen gekommen, deutlich korrigiert werden. Hingerichtet worden waren fünf Deutsche: wegen Befehlsverweigerung, Desertion und Arbeit für die Gestapo – nur bei einem, bei Heinz Weil, gab es einen rein politischen Hintergrund.
Beauftragter des NKWD?
In seiner Autobiographie stellte Janka mit dem Satz »Gómez und der ihm unterstellte Mielke waren Beauftragte des NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten; jW), die streng nach den Weisungen des ebenfalls nach Spanien abkommandierten NKWD-Generals Orlow gehandelt haben« noch eine andere Behauptung auf, die ebenfalls nicht stimmen kann, weil die Namen der Deutschen, die mit Alexander Orlow zu tun hatten, der eigentlich Leib Feldbin hieß und kein General, sondern Oberst war, bekannt sind. Mielke befindet sich nicht darunter. Wilhelm Zaisser, also der schon erwähnte »Gómez«, war mit Orlow bekannt, hatte aber in Spanien nichts mit ihm zu tun. Allerdings hatte Zaisser einen wirklichen nachrichtendienstlichen Hintergrund, er hatte für die OMS und die GRU gearbeitet, sein Ausreisevisum, mit dem er die UdSSR in Richtung Spanien verließ, hatte kein Geringerer als der Chef des NKWD Nikolai Jeschow unterschrieben. Der zitierte Satz von Janka bezieht sich auf die bis heute ungeklärten Umstände des Todes von Hans Beimler, der am 1. Dezember 1936 bei einer Visite der vordersten Stellungen an der Front von Madrid gemeinsam mit Franz Vehlow, dem Politkommissar des Thälmann-Bataillons, erschossen wurde. Beimler, der weder Kriegskommissar war, noch eine militärische Funktion bei den Interbrigaden hatte, sondern der Beauftragte der KPD für Spanien und damit der politisch Verantwortliche für die deutschen Kämpfer war, kümmerte sich rührend um die Internationalen und kollidierte deshalb oft mit den militärisch Verantwortlichen. Bald nach seinem Tod kamen Gerüchte auf, er, der Unbequeme, sei von den eigenen Leuten erschossen worden. Die Gerüchte wurden besonders genährt durch seinen Dolmetscher Max Gayer und seine Freundin Antonia Stern, die eigens aus Paris nach Spanien kam. 1974 behauptete der ehemalige Zivilgouverneur von Albacete, Justo Martínez Amutio, dem die Base juristisch unterstand, in dem Buch »Chantaje a un pueblo« (»Erpressung eines Volkes«), dass Zaisser in diesen Mord verwickelt gewesen sei und zur Vertuschung »Trotzkisten« als angebliche Täter habe erschießen lassen. Janka wiederum schrieb, er habe in einem Madrider Archiv einen »Befehlsbrief« von Zaisser an General Kléber (das war Manfred Stern und nicht, wie Janka schrieb, Lazar Stern) gefunden, in dem er diesen aufforderte, Beimler auf seine Kompetenzen hinzuweisen. Nun war Zaisser zu dieser Zeit mit der Formierung der XIII. Brigade beschäftigt und Kléber befehligte die XI. Brigade. Das heißt, Zaisser konnte Kléber gar keinen Befehl geben. Janka hatte diesen Brief nach seinen Worten 1986 an Erich Honecker geschickt. Trotz intensiven Suchens ist er bisher nicht gefunden worden. Interessant aber ist, dass die Argumentation zur Schuld Zaissers und Mielkes der von Martínez Amutio ähnelt, und tatsächlich fand sich im Nachlass Jankas, der fließend Spanisch sprach, dessen mit Anmerkungen versehenes Buch.
Wenn deutsche Interbrigadisten für einen befreundeten Geheimdienst arbeiteten, dann wurde das in den Akten mit Worten wie »hat für die Freunde gearbeitet« oder »war im Spezialdienst« umschrieben. Bei Mielke fehlt selbst ein ähnlicher Hinweis völlig. Pikant ist, dass Gustav Szinda, der Mielkes Charakteristik in Moskau geschrieben hatte, zu dieser Zeit nicht wissen konnte, dass er unter einem Minister Mielke Jahre später Leiter der MfS-Bezirksverwaltung Neubrandenburg sein würde.
Kein Geheimdienstmann
Ironie der Geschichte: In den bisher bekannten Akten zum Spanischen Krieg gibt es eine einzige Stelle, die Mielke im Kontext eines Geheimdienstes erwähnt. Die Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens (PSUC) verfügte über einen »Servicio especial«, der mit nachrichtendienstlichen Mitteln die Ausländer kontrollierte. Bei einer Überprüfung des Archivs bemerkte die Leiterin des Dienstes, dass eine sogenannte »Abweisungs- und Ausweisungsliste« fehlte. Als man festgestellt hatte, dass ein ehemaliger deutscher Mitarbeiter diese Liste an Mielke ausgeliehen hatte, rief die Leiterin bei ihm an, musste aber erfahren, dass Mielke diese Liste nicht mehr habe und er sich auch nicht an sie erinnern könne. Sie beschwerte sich bei Joaquín Olaso, dem Kaderchef des PSUC, aber das blieb ohne Konsequenzen. Als Minister hätte Erich Mielke später das Verschwinden eines wichtigen Dokuments sicher nicht geduldet.
Quelle: junge Welt (jW), Ausgabe vom 28.12.2017, Seite 12 / Thema