TARANCÓN: EIN LOKALER KAMPF, DER EIN UNIVERSALER IST
Von Máximo Molina Gutiérrez
Am 1. November 2004 war der Tag, an dem meine Mutter Rosa Gutiérrez aus Bornos, Provinz Cádiz, zum ersten Mal in ihrem Leben Blumen zu ihrem Vater bringen konnte. Sie war 69 Jahre alt. Mein Großvater war ein sozialistischer Gewerkschafter im Branchenverband der UGT in seinem Dorf. Deshalb wurde er am 10. August 1936 am Straßenrand nach Arcos de la Frontera ermordet. Er wurde von dort zu einem Massengrab auf dem Friedhof von Arcos de la Frontera in einem „Fleischwagen“ gebracht, wie meine Urgroßmutter den kleinen Lastwagen nannte, der die vielen Leichen auflud, die an den Straßenrändern und Kreuzungen lagen, um öffentlich ein „Lektion zu erteilen“ und den faschistischen Terror zu verbreiten. Ein Schrecken, dessen Wirkungen in unserem Land noch immer anhalten.
Tatsächlich habe ich im Jahre 2001 angefangen, veranlasst durch meines Großvaters Vermächtnis, am historischen Gedächtnis zu arbeiten. Ich wollte wissen, was mit ihm geschehen war und weshalb. Bald entdeckte ich, dass mein Urgroßvater, Manuel Perea, auch im Sommer 1936 ermordet worden war, ebenso wie einer seiner Schwiegersöhne. Hilfe kam aus der Ferne, Cádiz ist 700 km von Tarancón, wo ich wohne. Diese Tatsache brachte mich zu der Entscheidung zu helfen, wo auch immer ich lebe, und so begann die Vereinigung für die Wiederherstellung des historischen Gedächtnisses von Cuenca im Juli 2004.
Wir haben seitdem fast 500 Menschen exhumiert, von denen viele ihrer sterblichen Überreste ihren Familien Jahrzehnte nach ihrer Ermordung übergeben wurden, um die Erinnerung an sie wiederzuerwecken und zu würdigen. Irgendwie sind sie alle meine Großväter, alle von ihnen teilen die gleichen Ideale für Gerechtigkeit, für eine bessere Welt. Alle von ihnen wurden so lange absichtlich vergessen; jedoch sind schließlich alle von ihnen Opfer des gleichen Völkermordes, der gleichen Barbarei, wie wir alle gleichermaßen Opfer der Straflosigkeit ihrer Henkers sind.
Ein Jahr nachdem wir angefangen haben zu arbeiten, entstand die Idee, ein Denkmal für die Opfer des Faschismus in unserer Stadt zu errichten. Leider vergingen 11 Jahre, seitdem zum ersten Mal ARMHCUENCA [Verein zur Wiederherstellung der historischen Erinnerung (ARMH) Cuenca, d. Ü.] den Stadtrat von Tarancón getroffen und die Notwendigkeit zum Ausdruck brachte, die öffentliche Erinnerung an die Diktatur ins rechte Licht zu stellen sowie einen Raum auf dem Friedhof zu schaffen, wo sich die Familien der von der Franco- Diktatur Massakrierten erinnern und ihre vor langer Zeit Verstorbenen ehren können. Seit sechs Jahre fordern wir die Entfernung der francoistischen Symbole, wie es das Gesetz 52/2007 verlangt. Die Gedenktafeln für die ermordeten Republikaner wurden im Februar 2016 errichtet; die Symbole wurden Ende September im selben Jahr entfernt und untermauern das jetzige Gesetz.
An dieser Stelle treten die internationalen Brigaden ins Bild. Im Jahr 2010 erhielt ich einen Anruf vom britischen Konsulat in Madrid. Sie sagten mir, dass ein schottischer Mann, Allan Craig, nach jahrzehntelanger Suche vor kurzem entdeckt hatte, dass sein Vater im Tarancón-Friedhof im Februar 1937 beerdigt worden war. Verwundet in der Jarama Schlacht, starb er in einem der Krankenhäuser hier. Später erfuhren wir, dass zwei andere schottische Brigademitglieder, John Crawford und William McGuire ebenfalls hier beerdigt sind. Leider musste ich Allan mitteilen, später auch den Crawfords, dass die sterblichen Überreste ihrer Väter zusammen mit anderen Opfern der Unterdrückung bei einer Neuordnung des Friedhofs in den späten 70er Jahren entfernt worden waren. Das gleiche geschah mit Theodore Schmidt, gestorben am 24.10.37, dessen Nationalität uns unbekannt ist. Ich weiß wohl, wie es sich anfühlt, wenn man nach einer so langwierigen Suche nach dem Grab des Großvater trauriger Weise erfahren muss, dass in den späten 80er Jahren Blöcke für Nischen über ihn und seine vielen Kameraden errichtet wurden.
Die sterblichen Überreste derer, die gegen den Faschismus kämpften, ereilte das gleiche Schicksal, den gleichen Mangel an Respekt durch die Faschisten, auch nach dem Tode. Es klingt schon wie ein Witz, wenn man den Konservativen in Spanien zuhört, wie sie sagen, die Toten dürften nicht berührt, müssen ruhen und geachtet werden. Für ihre Toten scheint es offensichtlich.
Allan Craigs Vorstoß hat uns ermöglicht, die Erlaubnis zu bekommen, im Jahre 2010 auf dem Friedhof ein Denkmal zu errichten und einen Olivenbaum zu pflanzen im Gedenken an die Schotten, die in der Schlacht von Jarama gefallen sind. Später gelang es uns noch, ein anderes Denkmal in Erinnerung an die Opfer der Diktatur zu errichten, wie wir bereits früher erwähnt haben. Diese Tatsache ist es, was das Denkmal von Tarancón einzigartig macht. Ein gemeinsamer Raum für diejenigen, die zusammen den Faschismus bekämpften, und diejenigen, die nach einer gerechteren Welt suchten. So werden wir auch ihrem Andenken, den Spaniern und den Internationalen gedenken, wenn der Februar kommt.
Die Familien der Opfer der ideologischen Säuberung durch den spanischen Faschismus haben 77 Jahre gewartet, um auf dem Friedhof von Tarancón einen Platz der Trauer und der Erinnerung zu erhalten, ein wenig länger als die Familien der Internationalen. Und dieses Warten schien vollkommen gerechtfertigt zu sein, vollkommen fair gegenüber jenen francoistischen Barbaren, die unser Denkmal beschmutzten und denen, die endlos die Mantras des Schweigens und Vergessens wiederholen. Offensichtlich wollten und wollen sie den öffentlichen Raum und das kollektive Gedächtnis ausschließlich für sich, als wären wir noch immer unter Franco’s Herrschaft. Das ist genau das Problem, die einzigen Dinge, die Respekt verdienen, sind ihre. Das ist keine Versöhnung, das ist eine Zumutung, ein Oktroyieren, das noch 43 Jahre nach Francos Tod anhält.
Walter Benjamin eröffnete Wege zur Erinnerung, die die Wissenschaft oder das Gesetz geschlossen zu haben schienen. Er schlug vor, dass in der Zeit der Ungerechtigkeit, das Gedächtnis über die ausstehende Gerechtigkeit entscheiden soll. Das Leben kann den Toten nicht zurückgegeben werden, dennoch hat die Erinnerung die Macht, die Ungerechtigkeit gegenüber diesen Toden zu reklamieren und auf sie hinzuweisen, auch wenn es keine mögliche Wiedergutmachung gibt. Folglich ist das Gedächtnis gefährlich, zersetzend, da es aufgrund all der absichtlich versteckten Ungerechtigkeit die Legitimität der Macht in Frage stellt. „Unsere Herrscher lieben das Schweigen. Es macht sich gut, dient deren Zweck.“ heißt es in einem Gedicht von Hamish Drummond. Und genau das ist es, weshalb Richtlinien für Datenspeicher mit dem Ziel, die Erinnerung zu kanalisieren, eingerichtet werden. Es ist wahr, dass Geschichte und Erinnerung nicht dasselbe sind; tatsächlich gibt es Geschichte, die das Vergessen fördert.
In dieser Richtung ging König Felipe’s letzte Weihnachtsrede. Beschämend wie er sagte, dass geschlossene Wunden aus der Vergangenheit nicht wieder geöffnet werden dürfen, während wir sie schließen. Wenn die Wunden geschlossen wären, hätten meine Familie und ich im vergangenen Januar nicht 700 km reisen müssen, um die Asche meiner Mutter in der gleichen Biegung der Straße zu vergraben, wo ihr Vater ermordet worden war, einen Vater, den sie niemals traf, einen Vater, dem sie zum ersten Mal in ihrem Leben Blumen bringen konnte, wie ich bereits oben erwähnt habe, als sie 69 war ! Und so hätten weder die Craig – und Crawford-Familie Jahrzehnte damit verbracht, herauszufinden, wo die sterblichen Überreste ihres Vaters oder Großvaters liegen.
Wir wollen weder alten Groll, noch Gefühle von Hass oder Rache zurückbringen. Die Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses ist weder der harsche Ausdruck eines kranken Willens, noch ist es eine Provokation; sie baut Demokratie in ihrer vollen demokratischer Normalität auf. Es geht nicht darum, sich selbst zu unterhalten oder in der Geschichte zu verharren. Es geht darum, um mit Walter Benjamin zu sprechen, die jüngste Geschichte unseres Landes aufzudecken, die so absichtlich vergessen und verfälscht wurde von denen, die den Staat übergebührend lange als eine Propagandamaschine benutzt haben. Für eine Propaganda, die das kollektive Gedächtnis Spaniens stark gezeichnet hat.
Es ist durchaus notwendig, sich öffentlich und stolz an diejenigen zu erinnern, die aus dem Ausland kamen, um den Faschismus zu bekämpfen, und die auch absichtlich vergessen wurden. Offensichtlich ist es das Beispiel, das von diesen tapferen Männern ausgeht, an das das Establishment nicht erinnert werden möchte.
Der Diktator starb vor 42 Jahren, und wir sind noch immer dabei, die spanische Erde zu untersuchen, zu zerpflügen, zu durchleuchten, um die Opfer des Diktators zu finden, die noch immer vermisst werden. Auf der einen Seite werden die Opfer weiterhin von muffigen, arroganten Francoisten aller Altersstufen und Verhältnisse von oben herab betrachtet, als wären sie keine Menschen. Offensichtlich mögen sie keine Erinnerung, da sie die aktive Beteiligung derer, die das Leid verursacht haben, beweist. Andererseits, da die demokratische Gerechtigkeit ein schuldiges Gewissen hat, sollten sie sich mit den Gefallenen identifizieren und die Tatsache anerkennen, dass es jenseits unseres gegenwärtigen Fortschritts eine starke Schicht des Leidens gibt, die ihre Gründe hat. Dennoch wollen sie uns weiterhin unser Recht verweigern, die demokratische Erinnerung an unser Land, die Erinnerung an die Linke, zu rehabilitieren.
Ist es nicht merkwürdig, dass eine Demokratie ihren Ursprung nicht ehrt? Sicherlich sind die Ursprünge der spanischen Demokratie in jenen Spaniern und Internationalisten zu finden, die das Beste ihres Lebens, sogar ihr eigenes zur Verteidigung der Werte von Demokratie und Freiheit gaben, die heute von uns allen genossen und akzeptiert werden. Die Werte, die wir alle jeden Februar gemeinsam bemühen und ehren vor den drei Steinen des Friedhofs von Tarancón.
Lassen Sie mich abschließend mit Ihnen zwei Gedichte von Hamish Drummond teilen.
Geschrieben in Gedenken an jene, die verschwunden, aber nicht vergessen sind, von Tarancón und anderswo.
Hamish Drummond
SIE LIEBEN DAS SCHWEIGEN.
Unsere Herrscher lieben das Schweigen.
Es macht sich gut, dient deren Zweck.
Die schweigende Anonymität von denen, die sie töteten
Leugnet die Existenz unserer Gefallenen,
Täuscht vor, es hätte sie nie gegeben.
Das Erinnern an jene, die unsere Herrscher
Nur durch das Töten zum Schweigen brachten
Ist ein Gedenken, das uns teuer bleibt,
Das uns nahe bleibt, und das wir immer erneuern wollen
Um uns auch heute Kraft zu geben.
Nun erheben wir die Stimmen
Für jene, die nicht sprechen können.
Wir singen unsere Lieder vom Kampfe,
Von der Solidarität, Freiheit und Wahrheit
Und geben dem Erinnern an ihnen neues Leben.
Übersetzung und dt. Nachdichtung:
Victor Grossman, September 2018, Berlin.
Geschickt von: Máximo Molina Gutiérrez, Präsident der ARMHCUENCA, Taracón.
Hamish Drummond
DREI STEINE
Keiner soll vorbeigehen, ohne sie wahrzunehmen,
Ihre Namen, so unsterblich wie ihre Taten.
Keiner soll ihren Kampf für das Gute vergessen,
deren Kinder Waisen wurden, deren Wunden noch bluten.
Im Tode vereint, endlich.
Obwohl Jahre vergangen und Moos gewachsen,
Nun kann man ihre Namen lesen,
verewigt auf Flies und Stein.
Um eine bessere Welt kämpften sie und starben
In Tarancón fanden sie dann Ruhe.
Auf dem Schlachtfeld oder an einer Gefängnismauer
durchbohrte eine Faschistenkugel ihre Brust.
Ihre Sache war Freiheit, für sie haben sie gekämpft,
Ihre Geschichte erzählen wir noch heute.
In Tarancón lesen wir ihre Namen,
ihre Leben werden wir nicht vergessen.
Wir geben nie auf, bis die Welt gerecht,
Ihr Vermächtnis erfüllt.
Der Faschismus weg, und alle Hungernde satt
Um das von ihnen vergossene Blut zu sühnen.
Gemeinsam stehen wir hier vereint
Und denken an die Gefallenen.
Ihre Sache ist nicht tot,
Ihr Kampf wird noch gefochten,
Doch drei Steine erleichtern den Schmerz.
Jene drei Steine stehen in Tarancón
Mit Namen an die wir uns stolz erinnern.
Wir werden jeden jedes Jahr wieder lesen
Und nie wieder uns verstecken.
Übersetzung und dt. Nachdichtung:
Victor Grossman, September 2018, Berlin.
Geschickt von: Máximo Molina Gutiérrez, Präsident der ARMHCUENCA, Taracòn.
They like silence
Our rulers, they like silence.
It suits them, serves their purpose
the silent anonymity of those our rulers slew
denies the existence of our fallen
pretends they never were.
The memory of those our rulers
could only silence in death
is a memory we hold dear
cherish, seek to recover
to give us strength today
And now we raise our voices
for those who cannot speak
we sing our songs of struggle
of solidarity, of freedom and truth
and give their memory life
THREE STONES
None shall pass not knowing them,
their names immortal as their deeds
None shall forget their fight for good,
their children orphaned, wounds that yet bleed.
In death together, finally,
though years have passed and moss has grown,
remembered now their names are read,
immortalised on tile and stone
For better world they fought, and died
In Tarancon they found their rest
On battlefield, or ‚gainst prison wall
fascist bullet piercing breast.
Their cause was freedom, fought for still
their stories we tell yet
In Tarancon we read their names
their lives we won’t forget.
We won’t give up till all is just,
their legacy fulfilled,
Fascism gone and all mouths fed
to repay blood they spilled.
Together now, we stand as one
remembering our slain
their cause not dead, their fight still fought
but three stones ease the pain.
Those three stones stand, in Tarancon,
Showing names recalled with pride,
we’ll read them each and every year
and no more shall we hide.
Hamish Drummond
Máximo Molina Gutiérrez, Präsident von ARMHCUENCA, Taracón.
Übersetzung des Artikels aus dem Englischen: Herbert Grießig.