Kriegsschatz des Fotografen Walter Reuter aufgetaucht
Die Mehrheit der ca. 4000 Fotografien, die während des Bürgerkrieges aufgenommen wurden, lagerten in einer Büchse bei Guillermo Fernández Zúniga, dem Vater des spanischen wissenschaftlichen Kinos.
Von Aitor Bengoa. Madrid, 28. Aug. 2017 elpais.com
Als sich der Deutsche Walter Reuter einschrieb, um für die Republik zu kämpfen, wurde er sich bewusst, dass es besser wäre, Fotos zu schießen als Kugeln: und er beschloss, Tausende zu schießen, während des gesamten spanischen Bürgerkrieges. Sie legen alle Zeugnis ab von der Geschichte jener Auseinandersetzungen, gemeinsam mit anderen, wie denen von Robert Capa oder Gerda Taro. Er starb 2005 im Exil in Mexiko und sein Kriegsarchiv schien verloren. Eine kürzliche Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die verlorengegangenen Aufnahmen von Reuter 80 Jahre lang in einem verborgenen Fundus lagerten.
Aku Estebaranz, Experte für historische Fotografien, brachte mehr als 6 Monate damit zu, ein gigantisches Puzzle zusammenzusetzten: bestehend aus mehr als 4000 Negativen und aufbewahrt im Haus von Guillermo Fernández Zúniga, der als Vater des spanischen wissenschaftlichen Kinos gilt. Dieses Erbe, in seiner Mehrheit unveröffentlicht, wurde 2011 in einer alten Filmdose entdeckt. Auch der Familie von Zúniga war es völlig unbekannt, sie übergab es der Spanischen Gesellschaft des Wissenschaftlichen Kinos zur Katalogisierung.
In dem Maße wie die Arbeiten vorankamen mehrten sich die Anzeichen dafür, dass es sich um das verlorengegangene Archiv des deutschen Fotografen handelt. Sie nahmen deshalb Verbindung zu Estebaranz auf, der seinerseits feststellte, dass „70 – 80 % des Archivs den Fotos von Reuter entsprechen und der Rest von Zúniga ist“. Um zu diesem Schluss zu gelangen, analysierte die Forschergruppe, zu der auch Rogelio Sánchez von der ASECIC, und Alfredo Moreno, Historiker und Fotograf, gehörten, die Merkmale der Negative und diverser Veröffentlichungen aus der Zeit, wie der Tageszeitung AHORA!, in der Reuter Dutzende Bilder mit seiner Unterschrift veröffentlicht hatte und deren Negative sich unter denen von Zúniga befinden.
Wie die Aufnahmen in die Hände von Zúniga gelangten und ob sich dieser der Urheberschaft bewusst war, „ist ein Geheimnis, das wahrscheinlich niemals aufgeklärt werden wird“, erklärt Estbaranz. Reuter verließ sein Heimatland Deutschland 1933 Richtung Spanien auf der Flucht vor dem Naziregime. Er ließ sich in Málaga nieder und als der Bürgerkrieg ausbrach, schickte er seiner Frau und seinen Sohn nach Paris, während er sich selbst ein Gewehr und seine Kamera über die Schulter hängte. Er schrieb sich in die Vereinte Sozialistische Jugend (JSU) ein und arbeitete im Propagandakommissariat mit, wo er auch mit Zúniga zu tun hatte.
Wie die ihm zugeordneten Fotos zeigen, bereiste er zahlreiche Schauplätze der Auseinandersetzungen: dokumentierte die Schlachten um Madrid, Jarama, Guadeljara, am Ebro und Veranstaltungen wie den Kongress Antifaschistischer Intellektueller. „Die Anzahl der Bilder, die Reuter aufnahm, ist im Vergleich mit anderen Aufnahmen enorm, weil er während des gesamten Bürgerkriegs in Spanien vor Ort war, während andere wie Robert Capa, kamen und gingen“, erklärt Estebaranz.
Als die Front von Katalonien 1936 fiel, flohen sowohl Zúniga als auch Reuter nach Frankreich. Estebaranz zitiert aus dem Lebenslauf des deutschen Fotografen, dass dieser einen Koffer mit seinem Fotomaterial in einem Pressebüro der republikanischen Regierung in Figueres hinterließ, mit der Zusicherung, ihn nach Paris zu bringen. „Niemand weiß, was passiert ist, aber die Fotos kamen nie an“, erklärt Estebaranz. Wenig später begann der Zweite Weltkrieg und Reuter wurde von den französischen Behörden in ein Konzentrationslager nach Nordafrika geschickt, von wo aus er mit seiner Familie nach Mexiko floh. Zúniga blieb noch einige Jahre in Frankreich und ging später nach Argentinien ins Exil.
Estebaranz schließt nicht aus, dass sich unter den Bildern aus dem Zúniga-Fundus auch Aufnahmen anderer Fotografen befinden, wie von Gerda Taro oder Roberto Capa, und dass es nicht ungewöhnlich war, dass die Bildreporter dieser Zeit „Negative austauschten und Urheberschaften teilten“, auch wenn man meint, das seien nur „Einzelfälle“. Ab jetzt hofft das Forscherteam auf eine Subvention vom Kultusministerium, um die Katalogisierung und Digitalisierung des Fundus fortsetzen zu können, mit dem Ziel seiner Eingliederung in das digitale Archiv PARES. Für Estebaranz und sein Team ist der Fund von immenser Bedeutung, denn er lüftet eines der großen Geheimnisse der Geschichte der Fotografie des spanischen Bürgerkriegs. Er merkt an, dass wir alle einige Kriegsfotos gesehen oder vor Augen haben und wir wissen jetzt, dass sie von Walter Reuter gemacht wurden.
Link: https://elpais.com/cultura/2017/08/28/actualidad/1503941489_756102.html
Übersetzung: Margit Schepe.
Die Redaktion bedankt sich bei den Herausgebern des biogrfischen Lexikons „Sie werden nicht durchkommen“ Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution für die freundliche Genehmigung des Abdrucks eines Auszuges zur Person Walter Reuter.
Reuter, Walter
Geboren am 04. Januar in 1906 Berlin – 20. März 2005 Cuernavaca/ Mexiko Chemiegraph. Fotograf.
Er war Schauspieler, Tänzer und Fotoreporter, arbeitete fotographisch für die neue Jugendbewegung und die AIZ. Wegen seiner 1931 veröffentlichten Bilder über den SA-Sturm 33 musste er 1933 mit seiner jüdischen Freundin über die Schweiz und Frankreich nach Spanien emigrieren, gehörte nach dem Putsch drei Monate der republikanischen Armee an, war dann Kriegsberichterstatter im Dienst der Regierung, wurde zweimal verwundet und war einer der letzten, die mit Gerda Taro sprachen. Seine Bilder wurden vom spanische Außenministerium und über die New Yorker Bildagentur Black Star an die Weltpresse übergeben. Er hatte Kontakt zu Ernest Hemingway, Arthur Köstler und Robert Capa. Nach dem Spanien-Krieg gelangte er nach Frankreich, war in verschiedenen Lagern, seit 1940 in Colomb-Béchar in der französischen Sahara interniert und zum Bau der Transsahara-Bahn zwangsverpflichtet worden. 1942 gelang ihm die Flucht, er konnte mit seiner Familie nach Mexiko emigrieren, lebte dort zunächst in Puebla, fand allerdings keine Arbeit, ging nach Ciudad de México, wurde zu einem der führenden Fotojournalisten Mexikos, fotografierte u.a. Anna Seghers und Arthur Koestler und arbeitete für die wichtigsten Illustrierten Mexikos. Seit 1946 filmte er und führte Regie und war zehn Jahre für eine mexikanische Wochenschau tätig. 1999 erhielt er den Goldenen Premio Ariel für sein Lebenswerk. 1989/90 waren Aufnahmen aus dem Spanien-Krieg im SAPMO gefunden und in einer ihm gewidmeten Ausstellung gezeigt worden.
Quelle: Werner Abel & Enrico Hilbert, „Sie werden nicht durchkommen“ Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution unter Mitarbeit von Harald Wittstock, Friedrich Villis und Dieter Nelles; Band 1; Verlag Edition AV, 2015, Seite 410.