Titelfoto: Faksimile „Aus einem Brief des deutschen Interbrigadisten Kurt Blum an den Angehörigen der XI. Brigade Max Faber, Barcelona am 3. Mai 1938″. Quelle: Archiv Werner Abel (AWA).
Dieser Text wurde zuerst in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 18. August 2917 gekürzt veröffentlicht. Er wird mit für die Redaktion von www.kfsr.info freundlicher Weise von Werner Abel zusätzlich zur Verfüpgung gestellten Materialien aus Archiven ergänzt.
Deckname „Carmen“ – eine Spurensuche im Spanischen Krieg
Von Werner Abel
In jenen Jahren des Krieges in Spanien hatte sie die Macht, unzählige Schicksale zu beeinflussen, tausende von Akten ausländischer Freiwilliger und Unterstützer der Spanischen Republik müssen durch ihre Hände gegangen sein. Hochrangige Funktionäre der kommunistischen Parteien und der Kommunistischen Internationale (KI) müssen sie ebenso gekannt haben wie die mit Kaderfragen befassten Offiziere der Internationalen Brigaden. Ganz zu schweigen von den Geheimdienstleuten der Brigaden und denen z.B. der KPD-Abwehr in Spanien. In keinen Erinnerungen, in keinen Autobiographien und in keinen wissenschaftlichen Arbeiten über diesen Krieg taucht ihr Name auf. Zwei Erwähnungen bleiben Mutmaßungen. Franz Dahlem, zeitweiliger Vertreter der KPD in Spanien, hatte eng mit ihr zusammengearbeitet, aber auch bei ihm sucht man ihren Namen vergebens. Luigi Longo, unter dem Namen „Gallo“ Generalinspekteur/ Generalkommissar der Internationalen Brigaden und damit auch verantwortlich für Kaderfragen, erwähnt sie in seinen 1953 erschienenen Erinnerungen nicht. Aber auch jene wirkungsmächtige „Kommission für ausländische Kader“ beim Zentralkomitee (ZK) der Kommunistischen Partei Spaniens, in der sie längere Zeit als „Responsable“, also als „Verantwortliche“ aktiv war, ist bis heute kaum auf das Interesse der Historiker gestoßen. Dabei beschäftigte sich diese Frau im Namen dieser Kommission nicht nur mit einzelnen Personen, sondern sie gab auch Empfehlungen, wie mit ganzen Gruppen umgegangen werden müsse. Ein riesiger Aktenbestand dieser Kommission ist erhalten geblieben, denn mit den schriftlichen Unterlagen der Internationalen Brigaden waren auch 1618 Akten dieser Kommission Ende 1938/ Anfang 1939 nach Moskau gebracht und dort Jahrzehnte im Parteiarchiv der KPdSU gelagert worden. Es war ein weiser Schritt der KP Spaniens, ihre Akten, die sich auf die internationalen Freiwilligen bezogen, vor den Franquisten in Sicherheit zu bringen. Wären sie diesen und damit auch den deutschen und italienischen Faschisten in die Hände gefallen, die Konsequenzen für die Spanienkämpfer, die sich nicht hatten vor ihnen in Sicherheit bringen können, hätten vermutlich noch schlimmer ausfallen können als sie das ohnehin schon waren.
In diesen Akten und auch in denen der Zentralen Verwaltung der Internationalen Brigaden, die in deren Base in Albacete angesiedelt war, stößt man immer wieder auf den Namen „Carmen“. Sie schickte Empfehlungen und Einschätzungen einzelner Personen an die Kaderabteilung der Brigaden, die sich vor allem auf die aus Deutschen, Österreichern, Schweizern, Niederländern und Skandinaviern bestehende sogenannte „deutsche Sprachengruppe“ bezogen. Gleichzeitig war sie Adressatin von Informationen dieser Kaderabteilung und des Abwehrdienstes der Brigaden, der sich erst Servicio de Control, ab August 1937 Servicio de Investigación Militar (SIM) nannte.
Genauso übrigens wie der gleichnamige Geheimdienst der Spanischen Republik, was auch heute oft noch zu Verwechslungen führt. Dass nun eine Person, deren Position man geheim halten wollte, nur mit dem Vornamen auftrat und selbst im internen Verkehr auch nur so angeschrieben oder genannt wurde, gehörte zum konspirativen Regelwerk des Apparats der Kommunistischen Internationale (KI). Die Sache kompliziert sich auch dadurch, dass oft nur der Vorname eines Pseudonyms benutzt wurde Der spanische Allerweltsname „Carmen“ war eine gute Tarnung für diese Frau, zumal sie perfekt Spanisch sprach. Ihre aktivste Zeit in Spanien begann Anfang 1938, als sich die Kommission für ausländische Kader in „Militärpolitische Kommission“ umbenannte, weil von hier aus über die Beförderungen, Ernennungen von Kommissaren, aber auch über die Fragen der politischen Kultur in den Internationalen Brigaden oft die letzte Entscheidung fiel. Zu beachten war zu diesem Zeitpunkt auch, dass die Freiwilligen aus über fünfzig Ländern kamen. Aus diesem Grund gab es zunächst eine große Anzahl nationaler Parteiorganisationen in den Brigaden. Das führte natürlich zu Differenzen und Problemen. Hinzu kam, dass das spanische Verteidigungsministerium die parteipolitische Betätigung in der Spanischen Volksarmee, zu der die Internationalen Brigaden gehörten, verboten hatte. Allerdings war die spanische KP mit ihren inzwischen 283 605 Mitgliedern mächtiger und ihr Einfluss in den Streitkräften größer geworden, so dass dieses Verbot in der Regel nicht befolgt wurde. Das aber galt eher für die Zellen der KP Spaniens in der Armee und zu befolgen war außerdem der Grundsatz der KI, dass es in einem Land nur eine kommunistische Partei geben dürfe. Damit hatte dann jeder kommunistische Interbrigadist die Pflicht, die Übernahme in die spanische KP zu beantragen. So wurden z.B. über 80 Prozent der deutschen Interbrigadisten Mitglieder der KP Spaniens. Und auch hier gingen die Anträge, die „Biografias de Militantes“, durch die Hände der „Genn. Carmen“ und ihrer Mitarbeiterin, der „Genn. Maria“, deren Identität bis heute ungeklärt ist.
Da keiner, der sie gekannt haben muss, sich jemals in der Öffentlichkeit über sie geäußert hatte, gab es in den beiden Fällen, in denen sie erwähnt wurde, wilde Spekulationen über sie. Aber auch hier wurden nur vage Vermutungen geäußert, die sich auf Informationen aus zweiter Hand stützten.
Als nach den Mai-Ereignissen 1937 in Barcelona der größte Teil des Exekutivkomitees des kleinen linkskommunistischen, aber als „trotzkistisch“ denunzierten Partido Obrero de Unificación Marxista verhaftet wurde, befand sich unter den Verhafteten auch Julián Gómez Garcia, der aus Verehrung für den berühmten russischen Schriftsteller Maxim Gorki den Namen „Julián Gorkin“ angenommen hatte. Gorkin war Sekretär für Internationale Beziehungen dieser Partei und Chefredakteur des Parteiorgans „Batalla“. Die Verhaftung führte ihn durch verschiedene Gefängnisse, in einem traf er einen wegen angeblicher Spionage inhaftierten deutschen Freiwilligen, der in Gorkins Erinnerungen den Namen „Baunrück“ trug. Tatsächlich existierte ein deutscher Interbrigadist namens Eduard Baumrück, der wegen seines Alters als nicht mehr frontdienstfähig angesehen und deshalb dem Sanitätsdienst zugeteilt worden war. Da er im Hospitalzentrum Benicássim Küstenbefestigungen und strategisch wichtige Orte fotografiert und die Aufnahmen an verdächtige Elemente weitergegeben haben soll, wurde er zum Tode verurteilt, dann aber auf 30 Jahre Haft begnadigt. Da vieles zwischen Baumrück und „Baunrück“ identisch ist, scheint es Eduard Baumrück aus Köln gewesen zu sein, der Gorkin gegenüber äußerte, sein Schicksal hinge von „Carmen“ ab. Und Gorkin schrieb, dass er nicht das erste Mal von „Carmen“ gehört habe. Walter Ulbricht, so teilte er weiter mit, sich dabei vollständig im Reich der Legenden bewegend, habe in Spanien einen deutschen Zweig des NKWD geschaffen, dem „Carmen“ angehöre, deren wirklichen Namen niemand kenne. Sie wäre ihm gegenüber als „Mannweib“ beschrieben worden, gedrungen und hässlich, überall „trotzkistische Spione“ witternd. Sie habe, und hier wird die Legende zur Absurdität, das Recht über Leben und Tod der deutschen Kämpfer der Internationalen Brigaden, mehrere Erschießungen gingen auf sie zurück und überdies sei sie sogar an der heimtückischen Ermordung Hans Beimlers beteiligt gewesen. Hier ist anzumerken, dass sich „Carmen“ am 1. Dezember 1936, dem Tag, an dem Beimler im Casa de Campo tödlich verletzt wurde, noch gar nicht in Spanien aufhielt.
Patrik v. zur Mühlen, der mit seinem Buch „Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg“ einen Meilenstein setzte, aber noch nicht auf sowjetische Archive zurückgreifen konnte, übernahm teilweise die Argumentation Gorkins und meinte, „Carmen“ habe die Verbindung zwischen dem NKWD und den verschiedenen spanischen Dienststellen hergestellt. Er kolportierte auch das Gerücht, „Carmen“ sei mit Gertrud Schildbach identisch, jener Frau also, die den aus Verzweiflung über die Moskauer Prozesse abtrünnig gewordenen Angehörigen der sowjetischen Militäraufklärung Ignaz Reiss (d.i. Ignaz Poretski) am 7. September 1937 bei Lausanne in eine tödliche Falle des NKWD gelockt hatte.
Die übereilt urteilende Methode vor allem europäischer Historiker, konspiratives Agieren vorschnell mit „Machenschaften“ der GPU oder des NKWD in Verbindung zu bringen, erweist sich in diesem Fall als Sackgasse. Der Zufall aber wollte es, dass sich in einer Akte der Militärpolitischen Kommission ein Adressenverzeichnis der Kommissionsmitglieder befand und dort der vollständige Name der „Genn. Carmen“ mit Carmen Martínez Cartón angegeben war. Nun war Martínez Cartón zu dieser Zeit ein prominenter Name, denn Pedro Martínez Cartón war Mitglied des Politbüros der KP Spaniens und im Range eines Teniente-Colonel Kommandeur zunächst der 16. Brigade, dann der 64. Division der Spanischen Volksarmee. Von ihm war aber auch bekannt, dass er mit einer Deutschen verheiratet war, die, wie es der Santiago-Carrillo-Biograph Fernando Claudín übermittelte, niemand so recht mochte, auch weil sie Carrillo, damals Generalsekretär des sozialistischen Jugendverbandes FJS, mit einem „weiblich-preußischen Groll“ überwachte. Claudín, Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes UJCE, der „Carmen“ natürlich auch kannte, schrieb, dass alle ihr mit Abneigung begegneten und Carrillo nach der Vereinigung der sozialistischen und der kommunistischen Jugend (März/ April 1936) im Juli in Paris mit Raymond Guyot über die „Angelegenheit Carmen“ sprach. Guyot war Vorsitzender der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI), die „Carmen“ schon 1934 mit dem Auftrag nach Spanien geschickt hatte, Carrillo bei einer möglichen Vereinigung beider Jugendorganisationen zu beraten. Nun konnte aber die KJI in den dreißiger Jahren niemand mehr ohne Kenntnis der KI als „Beraterin“ ins Ausland schicken. Also musste bei den Akten des Exekutivkomitees der KI sich auch eine über sie befinden. Und tatsächlich stellte sich bei der Suche dort heraus, dass der Name „Carmen Martínez Cartón“ einer der vielen Decknamen der am 25. September 1905 in Moers am Rhein als Tochter einer jüdischen Bauern-Familie geborenen Ruth Kahn war. Ihre Mutter verstarb am Tag ihrer Geburt, ihr Vater 1917. Aufgewachsen bei ihrer Großmutter, besuchte sie die Mittelschule und arbeitete nach einem abgebrochenen Hochschulstudium in der Gewerkschaft der Angestellten. 1919 trat sie in die USPD ein, aber schon 1920 in den KJVD und wurde 1923 Mitglied der KPD. Von 1923 bis 1928 in Elberfeld lebend und dort für die kommunistische Kinderbewegung tätig, war sie Mitglied des KJVD-Bezirkskomitees Niederrhein. Offensichtlich leistete sie eine gute Arbeit, denn 1929 wurde sie in das ZK des KJVD berufen, wo sie wiederum für die Arbeit mit den Kindern und besonders für die Jung-Spartakus-Pioniere verantwortlich war. Seit 1928 benutzte sie mit „Lotte Schmidt“ auch erstmals einen Decknamen.
1930 wurde sie nach Moskau ins Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale (KJI) delegiert, wo sie vom März 1931 bis Januar 1932 in der Abteilung Agitation und Propaganda tätig war. In dieser Zeit unternahm sie ihre erste Auslandsdienstreise, ihre Berichte unterschrieb sie mit dem Decknamen „Antonio“. Nach ihrer Rückkehr schien ihre Karriere zunächst unterbrochen zu sein, denn sie wurde nach Deutschland vor die Kontrollkommission der KPD mit der Anschuldigung geladen, einer fraktionellen „parteifeindlichen“ Gruppe von „Versöhnlern“ um Kurt Müller und Helmuth Remmele, der die Kritik seines Vaters Hermann an Ernst Thälmann unterstützte, anzugehören. Obwohl danach aus dem ZK des KJVD ausgeschlossen, war man wohl mit ihrem Bericht über die Arbeitsmethoden der Gruppe und ihrer Distanzierung von ihr zufrieden und sie konnte nach Moskau zurückkehren. Dort war sie zunächst wieder als Referentin im EKKI, dann im Romanischen Ländersekretariat im Bereich „Spanien“ tätig. In Moskau hatte sie Pedro Martínez Cartón kennengelernt, einen spanischen Kommunisten, der im Auftrag der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT) bei der Roten Gewerkschafts-Internationale tätig war und den sie dann 1934 heiratete. Dadurch erhielt sie die spanische Staatsbürgerschaft und damit eine zusätzliche perfekte Tarnung. Unter welchem Namen Ruth Kahn Deutschland auf dem 11. (März/April 1931) und 13. (November/ Dezember 1933) EKKI-Plenum auftrat, ist nicht bekannt.
Vor ihrer Reise 1934 nach Spanien sei sie, so erfährt man einerseits aus ihrer Akte, vom 21.11.1933 bis zum 2.4.1934 Dozentin für Geschichte der KI und der Arbeiterbewegung an der Internationalen Lenin-Schule gewesen. Andererseits ist in der Akte zu lesen, dass sie zur gleichen Zeit Studentin in dieser Kaderschule war. Für letzteres spricht nicht, dass sie, von seinen Freunden ironisch so bezeichnet, Carrillos „Tutorin“ gewesen war. Carrillo wiederum hänselte seinen Freund Martínez Cartón, dass er eine solche Frau, die zänkisch wäre und den Spitznamen „La Gorda“ („die Dicke“) trüge, geheiratet habe. Es scheint so, als ob Ruth Kahn wieder nach Moskau reiste und sich dann 1935 in der ČSR aufhielt. Laut einem tschechischen Pass auf den Namen „Maria Faustlova“ besaß sie die tschechische Staatsbürgerschaft. Tschechische Pässe aber waren vor allem bei der KI begehrt, weil sie die visafreie Einreise in viele Staaten erlaubten. Der Aufenthalt in der ČSR kann aber auch eine Legende gewesen sein, denn er wird in der Akte u.a. damit begründet, dass sich Ruth Kahn angeblich von 1933 bis 1934 in Deutschland in „Schutzhaft“ befunden habe und dann auf Beschluss der Partei in die ČSR emigriert sei. Diese Geschichte korrespondiert in keiner Weise mit anderen Unterlagen über ihre Tätigkeit in Moskau.
Im Juli 1936 muss sich Ruth Kahn noch in Spanien aufgehalten haben, denn am 19. Juli fordert Carrillo in Paris ihren Rückzug als seine „Beraterin“. 1936 ist auch das Jahr, in dem sie ihren Sohn André gebar, der dann offensichtlich während ihres nächsten großen Auslandseinsatz in der Sowjetunion bleiben musste.
Im Januar 1937 kam nun der entscheidende, konspirativ vollzogene Einsatz im Auftrag der KI. Abgesichert durch deren geheimen „Verbindungsdienst“, die OMS (Otdel meždunarodnoj svazi) bzw. deren Nachfolger, die SS (Služba svjazi), reiste Ruth Kahn mit einem österreichischen Pass, ausgestellt auf den Namen „Juga Stichhammer“, nach Frankreich und von dort aus nach Spanien, wo sie zur Tarnung, offensichtlich aber schon mit dem Namen „Carmen Martínez Cartón“, als Mitarbeiterin einer Agentur Haijme in Barcelona angestellt wurde. Es ist davon auszugehen, dass das auch in Übereinstimmung mit der Residentur des NKWD in Spanien geschah. Jedenfalls war „Carmen“ von dieser Zeit an in der Kaderabteilung des ZK der KP Spaniens tätig. Gemeinsam mit „Edo Romano“, der in Wirklichkeit Edoardo D´Onofrio hieß und Funktionär der KP Italiens war, hatte sie den wohl intensivsten Einblick in die dem ZK zugegangenen Unterlagen der mehrere Tausende zählende Internationalen, die sich im republikanischen Spanien befanden. Alles, was von ihr in diesem Kontext überliefert ist, zeugt von einem rigorosen, auf der Linie der KI liegenden Handeln. Hier muss man beachten, dass die Moskauer Prozesse ihre Schatten auch auf Spanien warfen und dass hier ebenfalls alles, was dieser Linie nicht deckungsgleich entsprach, als „Trotzkismus“ denunziert wurde. „Carmen“ muss auch bestens informiert gewesen sein. Als z.B. zwischen der KI, der KPD und dem Mediengewaltigen und Propagandisten Willi Münzenberg schwere Differenzen entstanden, die dann 1939 zu dessen Ausschluss aus der Partei führten, wusste „Carmen“ schon 1937 von dem Vorwurf Walter Ulbrichts, Münzenberg, der Herausgeber des berühmten Braunbuchs gegen Faschismus und Hitlerterror, sei „Trotzkist“. Sie verschickte an die Geheimdienste ein Schreiben, mit dem sie darauf orientierte, wie mit dem „Münzenberg-Kreis“ in Spanien umzugehen sei. Das Problem war nur, dass viele der deutschen Intellektuellen, die sich ebenfalls in Spanien aufhielten, für die Münzenberg-Verlage gearbeitet hatten und nun unter Generalverdacht gerieten. Zu finden sind alle die Namen von Egon Erwin Kisch bis Hans Kahle, dem Kommandeur der 45. Division der Spanischen Volksarmee. Unmittelbare Konsequenzen gab es für die meisten nicht, aber der Verdacht lauerte in den Akten. Andererseits aber gab es auch Menschen, die aus der KP Spaniens ausgeschlossen oder ihrer Meinung nach ungerecht behandelt worden waren und die sich nun an die „Genn. Carmen“ wandten. So z.B. der deutsche Interbrigadist Artur Dorf. Als Politkommissar in der XI. Brigade, dann Stellvertreter des Generalkommissars der Internationalen Brigaden „Gallo“ (Luigi Longo) war er für Missstände verantwortlich gemacht worden, an denen er gewiss nicht alleine Schuld hatte. Da nicht alle Ärzte und das Sanitätspersonal Kommunisten waren, führte das im Bereich der internationalen Sanität zu einer komplizierten Situation. Ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als abzusehen war, dass wegen dem Vormarsch der Franquisten große Hospitäler evakuiert werden müssen, wurde Dorf als Politkommissar in diesem sensiblen Bereich eingesetzt, in dem durch eine unkoordinierte Politik der Führung der Internationalen Brigaden auch jeder andere gescheitert wäre. Artur Dorf wurde degradiert und kämpfte verzweifelt um seine Rehabilitierung. Dabei versuchte er, mit der „Genn. Carmen“ zu sprechen. Er hatte sie im ZK der KP Spaniens aufgesucht, wurde aber von ihr mit den Worten abgefertigt, jetzt sei Krieg, sein Fall wäre kompliziert, man könne sich erst irgendwann nach dem Krieg damit befassen. Sein Bericht darüber wurde erst jüngst in seiner EKKI-Akte entdeckt.
Offensichtlich genoss die „Genn. Carmen“ die gleiche Bedeutung wie ein Mitglied des Politbüros der KP Spaniens. So beschwerte sich bei ihr und Francisco Antón, Politbüro-Mitglied und Generalkommissar der Zentrumsarmee, auch der kommunistische Brigadearzt Dr. Fritz Jensen über seine im Zusammenhang mit der Evakuierung ausgesprochene Degradierung. Eine Antwort ist nicht überliefert.
Ein anderer Fall war der von Stepha und Mariano Rawicz. Die Geschwister waren Anfang der dreißiger Jahre aus Polen nach Spanien emigriert, hatten 1934 am Aufstand der asturischen Bergarbeiter teilgenommen, waren deshalb inhaftiert und erst nach dem Sieg der Volksfront freigelassen worden. Mariano Rawicz hatte auch Ernst Toller ins Spanische übersetzt und war zu einem der erfolgreichsten Buchillustratoren geworden. Obwohl Mitglied der KP Spaniens, wollte er mit der Polin Sophia Kramstyk, dem Deutschen Willi Tieze, dem Holländer Mauricio Amster und anderen linken Ausländern eine von politischen Parteien unabhängige „Spanische Illustrierte“ gründen, die über den Kampf der Republik im Ausland berichten sollte. Das führte zu seinem Ausschluss aus der Partei. Seine Schwester Stepha arbeitete u.a. in der Militärzensur, ihr wurde vorgeworfen, sie hätte „trotzkistische Post“ durchgehen lassen. Auch das zog den Ausschluss aus der Partei nach sich. Beide wandten sich in verzweifelten Briefen an die „Genn. Carmen“, die ihnen aber nie antwortete.
Mit dem Abzug der Internationalen Brigaden von den Fronten im September 1938 war auch ein weiterer Verbleib von Ruth Kahn in Spanien überflüssig geworden. Wann und wie sie Spanien verlassen hat, ist unklar. Da sie aber erst am 20. Mai 1939 wieder in der Sowjetunion eintraf, könnte sie sich nach der Niederlage der Republik zunächst in Frankreich aufgehalten haben. Eher unwahrscheinlich ist, dass sie gemeinsam mit ihrem Mann Spanien verlassen hat. Bei den Auseinandersetzungen vom 6. bis 12. März 1939 zwischen kommunistisch geführten Einheiten der Spanischen Volksarmee und solchen, die sich der von Sozialisten und Anarchisten unter der Führung von Segismondo Casado gebildeten „Verteidigungsjunta“ angeschlossen hatten, war Martínez Cartón von Anarchisten gefangen genommen und nach Valencia gebracht worden. Dort konnte er in dem durch das Vorrücken der Franco-Truppen entstandenen Chaos nach Alicante fliehen und mit einem der letzten auslaufenden Schiffe Spanien in Richtung Oran verlassen. Danach reiste er über Frankreich in die Sowjetunion. Am 20. Mai 1939 notierte Georgi Dimitroff, der Generalsekretär der KI, in sein Tagebuch: „Heute eingetroffen – Pedro Checa, Jesús Hernández … Martínez Cartón“. Da auch Ruth Kahn am 20. Mai in der Sowjetunion ankam, kann es sein, dass sich beide in Frankreich getroffen haben, um von dort in die SU zu reisen. Dass sie sich zuerst nach Charkow begab, hing wohl damit zusammen, dass sich dort ihr Sohn befand. Am 26.6. wurde sie schon wieder nach Moskau beordert, von wo aus man sie, versehen mit einem kubanischen Pass auf den Namen „Carmen Lera“, mit ihrem Sohn nach Lateinamerika schickte. Ihr Auftrag ist unbekannt, aber es ist anzunehmen, dass sie, und mit einem kubanischen Pass war das unkompliziert, nach Mexiko reiste, wohin auch einige Zeit später ihr Mann mit einigen anderen Mitgliedern des Politbüros der KP Spaniens kam. Obwohl der größte Teil der spanischen Parteiführung in der Sowjetunion blieb, mussten auch einige Funktionäre deshalb nach Mexiko, weil sich dort der Sitz der republikanischen Exilregierung befand. Allerdings kam es nach und nach zu schweren Differenzen zwischen der sich in der UdSSR befindlichen Parteiführung und denjenigen, die die Partei in Mexiko vertraten. Letztere verließen die Partei und orientierten sich kurzfristig an der Politik der KP Jugoslawiens. In der Folgezeit machten schon der in Moskau aus der Partei ausgeschlossene Enrique Castro Delgado und Jesús Hernández, dem das gleiche Schicksal in Mexiko traf, mit „Enthüllungsbüchern“ über die kommunistische Politik und die Sowjetunion auf sich aufmerksam. Castro Delgado entwickelte sich zu einem derartigen Antikommunisten, dass er sogar wieder nach Franco-Spanien einreisen durfte. Martínez Cartón hatte die Partei ebenfalls verlassen. Er begann damit, Erzählungen für Kinder und Erwachsene zu schreiben. Seine Frau „Carmen“ war schon 1943 aus der Partei ausgetreten. Er verstarb 1977, von ihr ist kein Sterbedatum bekannt. Ihre Akte in Moskau gibt auch keine Auskunft darüber, wie ihr Leben weitergegangen war.
In einem Bericht vom 25.4.1952 schrieb die Zentrale Parteikontrollkommission der SED, dass sich Ruth Kahn schon 1928 im ZK des KJVD als „Trotzkistin“ gezeigt hätte. Der Bericht endet mit den Worten: „Nach 1939 emigrierte Ruth Kahn mit ihrem Mann nach Mexiko, wo beide zu offenen Feinden der Partei wurden.“
Ich bedanke mich bei Andreas Herbst von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und bei Harald Wittstock für die Informationen, die sie mir zur Verfügung stellten.
Beispiele für Interventionen bei der „Genn. Carmen“
Es auch Menschen, die aus der KP Spaniens ausgeschlossen oder ihrer Meinung nach ungerecht behandelt worden waren und die sich nun an die „Genn. Carmen“ wandten. So z.B. der deutsche Interbrigadist Artur Dorf. Als Politkommissar für das Sanitätswesen der Internationalen Brigaden war er für Missstände verantwortlich gemacht worden, an denen er gewiss keine Schuld trug. Da nicht alle Ärzte und das Sanitätspersonal Kommunisten waren, führte das im Bereich der internationalen Sanität zu einer komplizierten Situation. Ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als abzusehen war, dass wegen dem Vormarsch der Franquisten große Hospitäler evakuiert werden müssen, wurde Dorf als Politkommissar in diesem sensiblen Bereich eingesetzt, in dem durch eine unkoordinierte Politik der Führung der Internationalen Brigaden auch jeder andere gescheitert wäre. Artur Dorf wurde degradiert und kämpfte verzweifelt um seine Rehabilitierung. Dabei versuchte er, mit der „Genn. Carmen“ zu sprechen. Er hatte sie im ZK der KP Spaniens aufgesucht, wurde aber von ihr mit den Worten abgefertigt, jetzt sei Krieg, sein Fall wäre kompliziert, man könne sich erst irgendwann nach dem Krieg damit befassen. Sein Bericht darüber wurde erst jüngst in seiner EKKI-Akte entdeckt.
Es scheint, dass man der „Genn. Carmen“ die gleiche Bedeutung wie einem Mitglied des Politbüros der KP Spaniens beimaß. So beschwerte sich bei ihr und Francisco Antón, Politbüro-Mitglied und Generalkommissar der Zentrumsarmee, auch der kommunistische Brigadearzt Dr. Fritz Jensen über seine im Zusammenhang mit der Evakuierung ausgesprochene Degradierung. Auch in diesem Falle wurde wohl wie bei Artur Dorf nach einem Schuldigen gesucht. Eine Antwort der „Genn. Carmen“ ist nicht überliefert
Ein anderer Fall war der von Stepha und Mariano Rawicz. Die Geschwister waren Anfang der dreißiger Jahre aus Polen nach Spanien emigriert, hatten 1934 am Aufstand der asturischen Bergarbeiter teilgenommen, waren deshalb inhaftiert und erst nach dem Sieg der Volksfront freigelassen worden. Mariano Rawicz hatte auch Ernst Toller ins Spanische übersetzt und war zu einem der erfolgreichsten Buchillustratoren geworden. Obwohl Mitglied der KP Spaniens, wollte er mit der Polin Sophia Kramstyk, dem Deutschen Willi Tieze, dem naturalisierten Spanier Mauricio Amster, ebenfalls ein berühmter Illustrator, und anderen linken Ausländern eine von politischen Parteien unabhängige „Spanische Illustrierte“ gründen. Diese Zeitschrift sollte über den Kampf der Republik im deutschsprachen Ausland berichten. Das führte zum Ausschluss von Rawicz und Amster aus der Partei. Stepha Rawicz arbeitete vormittags in der Presseabteilung des Propaganda-Ministeriums und am Nachmittag in der Post- und Militärzensur. Ihr wurde vorgeworfen, sie hätte „trotzkistische Post“ durchgehen lassen. Die KPD-Abwehr informierte, ihr in Polen lebender 19-jähriger Bruder habe „trotzkistische Bücher“ gelesen. Das alles führte dazu, dass die Geschwister aus der KP Spaniens ausgeschlossen wurden. Die Geschwister Rawicz und Mauricio Amster wandten sich in verzweifelten Briefen an die „Genn. Carmen“. Eine Antwort haben sie nach Aktenlage nie erhalten.
Werner Abel, Oberschöna, August 2017
Auch für die holländischen Genossen war „Carmen“ zuständig. Hier ein Brief von Jan Zuidema, Vertreter des ZK der der KP Holland und Mitarbeiter im holländischen Kaderdienst
in Albacete:
Aus einem Brief des deutschen Interbrigadisten Kurt Blum an den Angehörigen der XI. Brigade Max Faber, Barcelona am 3. Mai 1938:
Auszug aus dem Brief von Mauricio Amster vom 6. Mai 1938:
Bei dem nachfolgenden Dokument handelt es sich um einen Brief von Willi Kreikemeyer, zu dieser Zeit Chef des Kaderdienstes, an Richard Staimer, Kommandeur der XI. IB, und an Kurt Frak, Kommissar der XI. IB. Der im Text erwähnte „Kam. Stefanowitsch“ ist der Chef des SIM der Internationalen Brigaden Vladimir Stepanovič (Vlajko Begovič), das zeigt, dass „Carmen“ auch Geheimdienstinformationen erhielt:
Aber auch für die italienischen Genossen war „Carmen“ zuständig, wie ein Brief von Lugi Longo (GALLO) an sie dokumentiert:
Brief von Stefa Rawicz, die wegen ihrem Parteiausschluss CARMEN um Hilfe bat. Es ist keine Antwort bekannt.