Saturnino Navazo war ein spanischer Fußballspieler und Anhänger der Zweiten Spanischen Republik, den das Schicksal in das KZ Mauthausen führte. Dort rettete ihm der Fußball vermutlich das Leben, und aus seiner privilegierten Position half er seinen Mithäftlingen, und übernahm die Vaterrolle für ein jüdisches Kind.
Die Fußballerkarriere von Saturnino Navazo
Santurnino Navazo Tapias wurde am 6. Februar 1914 in Hinojar del Rey in der Provinz Burgos geboren. Als er sieben Jahre alt war, zog seine Familie nach Madrid, wo sein Vater als Bäcker arbeitete. Die Familie wohnte im Stadtteil Cuatro Caminos, auf dessen staubigen Straßen der fußballverrückte Junge dem Leder hinterherjagte. In seiner Kindheit spielte er zunächst in Jugendmannschaften von Vereinen, die heute nicht mehr existieren. Anschließend schnürte er die Schuhe für C.D. Nacional de Madrid, dem damals nach Real und Atlético drittgrößten Verein in der Stadt. Mit Nacional, das sich 1939 auflöste, schaffte der Mittelfeldspieler nach drei Drittligasaisons den Aufstieg in die 2. Liga. Zudem gewann man 1934 die Copa Castilla, den damals zweitwichtigsten Pokal im Land, dank einem 4:3 Finalsieg gegen Atlético Madrid. Navazo machte durch Tore auf sich aufmerksam, und stand kurz vor dem Wechsel in die 1. Liga zu Betis Sevilla. Doch der Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges im Juli 1936 sollte auch sein Leben verändern, und eine emotionale Geschichte umgeben von Unmenschlichkeit schreiben.
Der Weg nach Mauthausen
Mit Beginn des Bürgerkrieges hing Navazo seine Fußballschuhe an den Nagel, und schloss sich der republikanischen Armee im Kampf gegen die franquistischen Putschisten an. Er wurde der 20. Heereskompanie zugeteilt und kämpfte als Karabinerschütze im Verlauf des Krieges in Madrid, Valencia und Barcelona. Wie aus der geografischen Lage der genannten Städte zu entnehmen ist, wurden die Republikanhänger von Francos Truppen immer weiter gen Norden gedrängt und besiegt, sodass Navazo schlussendlich über die Pyrenäen nach Frankreich fliehen musste. In Frankreich gab es Flüchtlingslager für die Anhänger der Republikaner, wo sie versorgt wurden und in denen sie gleichzeitig für die französische Armee arbeiteten. Dem Krieg im eigenen Land war man entkommen, doch mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges und dem Sieg Nazideutschlands gegen Frankreich, holte sie ihre Vergangenheit wieder ein. Die deutschen Besatzungsmächte fragten beim befreundeten Franco-Regime in Madrid an, was man mit den Spaniern machen solle. Die lapidare Antwort die zurückkam, und die einem Todesurteil gleichzusetzen war, lautete dass es nördlich der Pyrenäen keine Spanier gäbe. Zuerst wurden die als „Rotspanier“ bezeichneten Männer, inklusive Navazo, von Toulouse nach Fallingbostel transportiert, bevor sie Januar 1941 in das Konzentrationslager Mauthausen nach Österreich deportiert wurden. In der Nähe des KZ befanden sich Steinbrüche in denen die Häftlinge unter unvorstellbaren Bedingungen schuften mussten. Es war ein Lager der Kategorie III – Vernichtung durch Arbeit – in dem bis zum Kriegsende insgesamt 197.464 Häftlinge inhaftiert waren, von denen ungefähr 100.000 ermordet wurden, bzw. an den Folgen der Arbeit starben. Darunter ca. 8.000 Spanier, von denen ungefähr 2.000 überlebten.
„Hay que hacerlo para creerlo“ – „Man muss es getan haben, sonst glaubt man nicht, dass es möglich ist“
Wie diesen Zahlen zu entnehmen ist, war es ein Ort der Unmenschlichkeit in allen Aspekten: Organisierte Sklavenarbeit an der die Häftlinge früher oder später sterben sollten, unterstützt durch unzureichende Verpflegung, sowie sadistischem Wachpersonal. Sechs Tage die Woche wurde um 4:45 Uhr in der Früh angetreten, diejenigen die über Nacht verstorben waren aus den Baracken herausgebracht, und dann bis 7 Uhr abends zwangsgearbeitet, bei nur einer zehnminütigen Suppenpause. Unter anderem mussten die Häftlinge 50 Kg schwere Granitblöcke die sogenannte Todesstiege (Las Escaleras de la Muerte) mit 186 Stufen und 31 m Höhenunterschied hochtragen, woran viele an Erschöpfung starben. Diejenigen die einen Granitblock fallen ließen und es nicht schafften ihn wiederaufzunehmen, wurden erschossen oder die Fallschirmspringerwand (El muro de los paracaidistas) hinunter in den Tod gestoßen. Sonntags wurde nur der halbe Tag geschuftet, nachmittags wurde sich gewaschen, die Kleidung geflickt, und es fanden zur Unterhaltung der Wachmannschaft Fußballspiele und Boxkämpfe statt.
Fußball im Lager
Saturnino Navazo war von nun an Häftling 5656, doch der Fußball sollte ihm sein Leben retten. Er hatte sich einen Ball aus Lumpen genäht, dem er um sich aufzuwärmen, hinterherlief. Als die deutschen Wachsoldaten ihn sahen fragten sie ihn ob er Fußball möge, und ob er eine spanische Mannschaft aufstellen könne, was er auch tat. Anschließend gab es sowohl Spiele zwischen den jeweiligen Ländern aus denen die Gefangenen stammten, als auch Spiele gemischter Häftlingsteams gegen die SS-Mannschaft. Navazo der ehemalige Profispieler stach dabei heraus, und das von ihm angeführte spanische Team gewann vier Jahre lang fast alle Spiele gegen die russischen, polnischen oder serbischen Gegner, und man konnte „Viva España“ und „Olé“ Rufe auf dem Appellplatz hören. Seine Spielkunst und Finessen brachten sogar die Deutschen zum Applaudieren, und anscheinend beeindruckte er auch den SS-Kommandanten. Jedenfalls wurde er vom todbringenden Steinbruch in die Küche zum Kartoffelschälen versetzt, damit er die Fußballturniere organisieren konnte, und fit war, um bei den Spielen zu brillieren. Außerdem wurde er zum Vorsteher einer spanischen Baracke mit 200 Gefangenen ernannt. Dank seiner Arbeit in der Küche ging es ihm “verhältnismäßig“ gut, und es gelang ihm Kartoffelschalen hinauszuschmuggeln, und diese an seine Kompatrioten zu verteilen.
Die Spiele waren etwas Surreales in dem Lager, da sie Normalität an einem Ort vorgaukelten, an dem es keine gab. Die Normalität während der 90 Minuten war sich wieder beim Namen nennen zu können, und die bekannten gestreiften Häftlingsuniformen ausziehen zu dürfen. Und in den Spielen gegen ihre Aufseher spielte man mit Wut im Bauch, jedoch mussten die Spieler aufpassen, denn wenn den Nazis irgendeine Aktion missfiel, sah man denjenigen Spieler nicht wieder. Die Duelle stellten die einzige Ablenkung dar, ein spanischer Mitgefangener von Navazo sagte: „Am Sonntag ein Fußballspiel zu sehen, das war wie in einem anderen Leben zu sein“. Und vor allem bestimmte Aktionen und Spielzüge der Spanischen Auswahl waren es die „eine große Rolle für die Moral aller gespielt haben“, schrieb Luis Garcia Manzano in seinem Buch La Rondalla de Mauthausen.
Siegfried Meir alias Luis Navazo
Wenige Monate vor der Befreiung des Konzentrationslagers erhielt Navazos Leben eine weitere Prägung. Der neunjährige deutsche Jude, Siegfried Meir, wurde wegen der nahenden Roten Armee von Auschwitz nach Mauthausen verlegt. Das Kind aus Frankfurt, das in Auschwitz seine beiden Eltern verloren hatte, wehrte sich bei seiner Ankunft in Mauthausen vehement dagegen, dass ihm die Haare abgeschnitten wurden. Der Lagerkommandant legte daraufhin, um ihn zu beruhigen fest, dass Navazo jetzt für den Jungen verantwortlich sei. Was den Kommandanten genau dazu bewogen hatte, den deutschen Jungen dem Spanier zuzuteilen ist nicht bekannt, denn sie konnten sich ja nicht einmal unterhalten. In den drei Monaten, die sie bis zur Befreiung durch die US-Armee in Mauthausen gemeinsam verbrachten, entwickelte sich eine Beziehung die einmalig war. Der blonde Junge, dem schlussendlich nicht die Haare abrasiert wurden, folgte seinem fremden Tutor überall mithin weshalb die Spanier ihn „perrito“ (kleiner Hund) nannten. In so kurzer Zeit wurden sie unzertrennbar, und der Junge half Navazo beim Kartoffelschälen, und massierte ihm vor den Fußballspielen die Beine.
Nach der Befreiung durch die Alliierten hätte sich eigentlich das Rote Kreuz um das Waisenkind kümmern sollen, doch Siegfried Meir wollte bei Navazo bleiben und bat ihn, ihn mitzunehmen. Die Freunde von Navazo rieten ihm davon ab, doch nach kurzer Überlegungszeit nahm er ihn mit, unter der Bedingung, dass er sich als seinen echten Sohn ausgeben müsse. Da der Altersunterschied ca. 20 Jahre betrug, war dies auch glaubhaft. Von da an hieß Siegfried Meir Luis Navazo, und wohnte in der Straße Don Quijote 49 in Cuatro Caminos, Madrid. Zusammen mit anderen spanischen Republikanern zogen sie nach Revel, in der Nähe von Toulouse. Im Gegensatz zu allen anderen Gefangenen konnten sie nicht zurück in ihre Heimat, da Franco weiterhin an der Macht war. Navazo fing an bei Union Sportive Revenoise wieder Fußball zu spielen, mit denen er drei regionale Meisterschaften in Folge gewann. Navazo fand seine Frau in dem französischen Städtchen, die mit seinem Adoptivsohn allerdings nicht zurechtkam. Aus diesem Grund verließ Siegfried mit 14 Jahren Revel, und arbeitete zuerst als Schneider und dann als Sänger. Der Kontakt riss nie ab, und bis zum Tod Navazos am 27. November 1986, sahen sie sich jedes Jahr.
Hinweis: In der Zeitschrift des KFSR 1936-1939 e. V., ¡NO PASARÁN! Nr. 1- 2015 berichtet der österreichische Autor und Schriftsteller Erich Hackl in der Titelgeschichte „Der gerettete Sohn – Ein Gleichnis aus Mauthausen, 1945“ ausführlicher über Siegfried Meir.
Anmerkung zum Internetportal Chefutbol:
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Die Redaktion dangt David Geng für die freundliche Genehmigung der Übernahme des Beitrags auf die WEB-Seite des KFSR.