Bürgerkrieg im Bürgerkrieg: Die Mai-Tage 1937 in Barcelona
von Reiner Tosstorff
Quelle: SoZ Sozialistische Zeitung 5/2017 und 6/2017
Vor 80 Jahren, vom 3. bis zum 7.Mai 1937, kam es in Barcelona zu bewaffneten Auseinandersetzungen innerhalb des republikanischen Lagers: zwischen den Anarchisten und der antistalinistischen POUM (Arbeiterpartei der marxistischen Einigung) einerseits und der PCE (Kommunistische Partei Spaniens) und der katalanischen Regierung andererseits. Dieser «Bürgerkrieg im Bürgerkrieg» ist vor allem durch den Erlebnisbericht bekannt geworden, den der englische Schriftsteller George Orwell in seinem Buch Mein Katalonien davon gegeben hat. Viele weitere Schilderungen sollten folgen. Auch in Ken Loachs Film Land and Freedom von 1995 liefern die Mai-Kämpfe einen wesentlichen Hintergrund für die Handlung. Zu diesem Film erschien 1996 ein Buch, Ken Loachs «Geschichte aus der Spanischen Revolution»1. Daraus entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags eine Darstellung des Ablaufs der Mai-Tage, ihrer Hintergründe und Folgen von Reiner Tosstorff.
Zwei Seiten im Lager der Republik
Das, was sich nach Ausbruch des Bürgerkriegs in der republikanischen Zone formierte, bestand im Grunde aus zwei Lagern. Auf der einen Seite standen die Kräfte, für die die Niederschlagung des Militärputsches eng mit einer sozialen Revolution verbunden war – mit der Übernahme der Fabriken durch die Arbeiter und des Grund und Bodens durch die Bauern.
Träger dieser Richtung, die in den ersten Monaten nach dem 19.Juli die republikanische Zone prägte – man denke nur an die Berichte von Orwell, Borkenau, Kaminski… –, waren zuallererst die Anarchisten mit ihrer Gewerkschaft CNT (Confederación Nacional del Trabajo), der wiederum eine Reihe weiterer Organisationen wie die FAI (Federación Anarquista Ibérica), eine Frauen- und eine Jugendorganisation verbunden waren. Aber auch die POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista) – eine Partei oppositioneller Kommunisten, die die sowjetische Politik unter Stalin bekämpften, deswegen als «Trotzkisten» galten und vor allem in Katalonien über Einfluss verfügten – sowie Teile des linken Flügels der Sozialisten beteiligten sich daran.
Auf der anderen Seite stand ein Zweckbündnis ganz unterschiedlicher Partner, die aber darin übereinstimmten, dass sie keine Revolution wollten. Der antifaschistische Kampf sollte sich auf die bloße Verteidigung der Republik beschränken, deren soziale Ordnung nicht umgestürzt werden. Dieses Ziel vereinte die bürgerlichen republikanischen Parteien mit dem rechten Flügel der Sozialisten. Hauptkraft dieser großen Koalition aber war die Kommunistische Partei. Vor dem 19.Juli noch verhältnismäßig unbedeutend, stützte sie sich auf das Prestige der Sowjetunion, vor allem als diese ab Herbst 1936 zum Hauptwaffenlieferanten der Republik wurde. Die Sowjetunion wiederum sah durch eine Revolution in Spanien ihre außenpolitischen Bündnisbemühungen gefährdet.
Weil sie die «Ordnung» verteidigte, gewann die KP in dem von der Revolution verunsicherten Kleinbürgertum schnell eine Massenbasis.
In den ersten Monaten nach dem 19.Juli waren die Revolutionäre in der Offensive. Als sich jedoch das militärische Kräfteverhältnis dank der deutschen und italienischen Hilfe umkehrte und Franco im Herbst 1936 zum Sturm auf die Hauptstadt Madrid ansetzte, hieß es, man müsse die Revolution auf die Zeit nach dem Krieg vertagen, um den militärischen Kampf effizienter führen zu können. Es kam zur Bildung einer Volksfrontregierung unter dem Sozialisten Largo Caballero. In Wirklichkeit ging es dabei nicht um eine Vertagung, sondern darum, die gesamte, nach dem 19.Juli entstandene Situation rückgängig zu machen.
In Katalonien
Das Gebiet, wo die beiden politischen Lager innerhalb der Republik am heftigsten aufeinanderprallten, war Katalonien. Schon immer durch die Existenz einer von «Spanien» unterschiedenen, eigenen Nation geprägt, war Katalonien als industrialisierteste Region zugleich Zentrum einer revolutionären Arbeiterbewegung, die anarchistisch dominiert war, wozu dann noch die 1935 gegründete POUM hinzustieß.
Seit dem 19.Juli 1936 hatte allerdings auch hier die KP, die sich in Katalonien PSUC (Partit Socialista Unificat de Catalunya) nannte, einen spektakulären Aufschwung genommen. Gegen die Arbeitergewerkschaften organisierte sie eine «Kleinhändlergewerkschaft», gewann jedoch auch Arbeiter, die mit CNT und POUM unzufrieden waren. Die Anarchisten, die zunächst die Lage beherrschten, hatten sich nach kurzem Schwanken bereits im Juli für die «antifaschistische Zusammenarbeit» mit allen politischen Kräften entschieden. Sie beließen die katalanische Regionalregierung, die Generalitat, in den Händen der bürgerlichen Nationalisten der ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) – ein folgenschwerer Entschluss.
Über Monate machten die Anarchisten Zugeständnisse, z.B. traten sie im September 1936 in die Generalitat ein, was zur Auflösung des von der CNT geschaffenen Zentralkomitees der Arbeitermilizen führte. Die POUM war ein Gutteil des Wegs mit den Anarchisten gegangen – so trat auch sie im September der Regionalregierung bei –, da sie sich als Minderheitspartei nicht von der CNT isolieren wollte. Gegen sie richtete sich dann als erstes der Angriff der KP.
Im Dezember wurde die POUM aus der katalanischen Regierung ausgeschlossen. Zwar hütete sich die KP angesichts des Kräfteverhältnisses, gleiches auch für die CNT zu fordern. Sie verlangte nun jedoch die Auflösung der Kontrollpatrouillen, der revolutionären Arbeitermiliz in der Stadt Barcelona, sowie die Eingliederung der Kämpfenden an der Aragón-Front in die reguläre Armee. Damit war die Machtbasis der revolutionären Umwälzungen nach dem 19.Juli bedroht. Denn als nächstes hätte der Angriff auf die von den Arbeitern kollektivierten Betriebe angestanden.
Die Kämpfe in Barcelona
Im Frühjahr 1937 war der Ausbruch eines offenen Kampfes nur noch eine Frage der Zeit. Die blutigen Zusammenstöße häuften sich. Auch verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation durch Inflation und Lebensmittelknappheit. Schon am 1.Mai verzichteten alle Organisationen auf Kundgebungen in der Stadt Barcelona. Zum entscheidenden Zusammenstoß kam es dann am 3.Mai. Der kommunistische Polizeichef Barcelonas ließ die Telefonzentrale der Stadt besetzen, die seit dem 19.Juli 1936 von einem Arbeiterkomitee verwaltet wurde, in dem die Anarchisten gemäß ihrer Stärke den Ton angaben. Es kam zu Kämpfen, die für die ganze Stadt wie ein Signal wirkten.
Was folgte, ist vor allem von George Orwell meisterhaft beschrieben worden: Überall entstanden Barrikaden, auf denen sich Anarchisten und POUM – sonst eher in einem kritischen Verhältnis zueinander – gleichsam in einer spontanen revolutionären Einheitsfront zusammenschlossen und gegen die Ordnungskräfte der Regierung, die katalanischen Nationalisten und vor allem gegen die KP kämpften. Zug um Zug gelang es CNT und POUM, ihre Gegner auf die Regierungsgebäude in der Stadtmitte zurückzudrängen. Zweifellos stand das militärische Kräfteverhältnis zugunsten der Revolutionäre.
War nun für die Anarchisten die Situation gekommen, ihre dominierende Position zu festigen und damit über den 19.Juli hinauszugehen? Dahin drängte die POUM, die das Zurückweichen der CNT-Führung in den vorherigen Monaten ständig kritisiert hatte. Sie schickte Abgesandte zu den anarchistischen Gremien, die aus der spontanen Einheitsfront der Barrikaden ein politisches Bündnis mit klaren Zielen machen sollten. Doch man antwortete nur ausweichend.
Inzwischen war die (im November 1936 von Madrid nach Valencia umgezogene) Zentralregierung aktiv geworden. Am 4.Mai entsandte Regierungschef Largo Caballero eine Delegation der anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaftsführungen. Während Teile der Regierung ein hartes Durchgreifen forderten, hoffte er zunächst noch auf eine Verhandlungslösung. Darauf setzten auch die anarchistischen Minister García Oliver und Federica Montseny, die ebenfalls aus Valencia herbeieilten. Nach ihrer Ankunft in Barcelona riefen sie über Radio zum Niederlegen der Waffen und zum Abbruch der Barrikaden auf. Ihr Ziel beschränkte sich auf die Umbildung der katalanischen Regierung.
Doch diesmal folgte die anarchistische Basis nicht. Nachdem sie wochen- und monatelang alle Kompromisse hingenommen hatte, schien das Maß des Ertragbaren erreicht. Die Kämpfe setzten sich in der ganzen Stadt fort. Es war abzusehen, dass Anarchisten und POUM den militärischen Sieg davontragen würden. Es schien möglich, das, was am 19.Juli unterblieben war, nachzuholen: die Generalitat zu stürzen und an ihre Stelle ein revolutionäres Komitee der beiden Organisationen zu setzen.
Doch es waren nur Minderheiten am Rande von CNT und POUM, die dies propagierten: neben der kleinen trotzkistischen Gruppe vor allem Los Amigos de Durruti, eine anarchistische Gruppierung, die aus Opposition gegen die Folgen der Regierungszusammenarbeit und die Anpassung an den bürgerlich-republikanischen Staat entstanden war und nun die revolutionäre «Machteroberung» forderte. Doch ihre Flugblätter – zum Teil nach Diskussionen mit den Trotzkisten verfasst – riefen sofort die scharfe Distanzierung der anarchistischen Führung hervor. Diese schien im Verlauf des 5. Mai auch einen Kompromiss in Gestalt einer neuen Regierung für Katalonien vorweisen zu können, die mit der KP und der ERC ausgehandelt worden war.
Doch entscheidend wurde nun das Eingreifen der Zentralregierung. Sie hob die katalanischen Autonomierechte bezüglich der «inneren Sicherheit» auf und setzte aus Valencia 5000 Mann der militarisierten Bereitschaftspolizei (Guardia de asalto) in Marsch.
Zwar gingen die Kämpfe noch am 6.Mai weiter. Doch zugleich verstärkte sich der Appell der CNT-Führung zur Aufgabe. Teilweise kam es nun zu erregten Szenen. Arbeiter zerrissen aus Protest ihre CNT-Mitgliedsbücher und verließen die Barrikaden. Sie hatten mehr als nur die Wiederherstellung des Status quo auf Regierungsebene erwartet. Angesichts dieser Situation riet auch die POUM zum Abbruch der Kämpfe, forderte aber zugleich die Arbeiter zur Sicherstellung der Waffen auf und verlangte Garantien, um eine Repressionswelle zu verhindern.
Am Nachmittag des 7.Mai rückten die Polizeitruppen in Barcelona gleichsam wie in eine zu besetzende Stadt ein, die sie sogleich unter ihre Kontrolle brachten. Das Schicksal Barcelonas bestimmte auch die Entwicklung der katalanischen Provinz, wo oftmals CNT und POUM die Macht übernommen hatten, was nun natürlich nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Beide Organisationen hätten zwar Truppen von der Front abziehen und damit sicher die Kämpfe zu ihren Gunsten entscheiden können. Damit wäre aber zugleich die Front geöffnet worden. Entgegen allen, von der KP sofort ausgestreuten Gerüchten verhinderten sowohl die POUM wie die CNT dies im wesentlichen in ihren Frontabschnitten.
Die Folgen der Kämpfe
Die Kämpfe in Barcelona hatten mehrere hundert Tote gefordert – weit mehr als die Niederschlagung des Militärputsches am 19.Juli 1936 gekostet hatte. Den revolutionären Kräften war ein entscheidender Schlag versetzt worden. Katalonien hatte seine Sonderstellung verloren.
Die Kommunistische Partei nutzte die Gunst der Stunde, um eine umfassende Kampagne gegen die POUM zu führen: sie habe die Kämpfe angezettelt und müsse deswegen verboten werden. Als sich Ministerpräsident Largo Caballero widersetzte, wurde er gestürzt und durch den rechten Sozialisten Negrín ersetzt. Am 16.Juni zerschlug die von der KP kontrollierte Polizei die POUM, wobei im Hintergrund der sowjetische Geheimdienst wirkte.2
Unter Negrín verlor der Bürgerkrieg endgültig seinen revolutionären Impuls. Sein «Antifaschismus» hatte mehr mit internationalen Rücksichtnahmen auf die Sowjetunion und die demokratischen Westmächte zu tun, von denen er ein energisches Eintreten gegen Hitler und Mussolini erwartete. Die sozialen Veränderungen, die nach dem 19.Juli 1936 eingetreten waren, wurden nun Zug um Zug beseitigt. Spanien sollte wieder ein «verlässlicher» kapitalistischer Staat sein.
Die Behauptung der KP, die POUM – gelegentlich wurden auch in einem Atemzug die Anarchisten hinzugefügt – hätte zu putschen versucht, war nur ein schwacher und deshalb umso lauter vorgetragener Versuch, von der eigenen Rolle bei der Auslösung der Kämpfe, also der Besetzung der Telefonzentrale, abzulenken. Dieser «Putsch» wurde zu einem stalinistischen Mythos, der noch in DDR-Büchern der 80er Jahre über den Spanischen Bürgerkrieg nachzulesen ist. Auch der langjährige Vorsitzende der KP Spaniens und Begründer des «Eurokommunismus», Santiago Carrillo, wiederholte ihn in seinem 1977 erschienenen Buch «Eurokommunismus» und Staat.
Dass es zu den Kämpfen in Barcelona kam, dürfte wohl letztlich auf eine Fehlkalkulation zurückgehen. Die KP hatte sicher damit gerechnet, dass die CNT wieder einmal nachgeben würde. Doch das Personal der Telefonzentrale wehrte sich. Die Besetzung war die Provokation, die die Kämpfe auslöste. Die Mai-Tage waren nichts anderes als der letzte Versuch der Arbeiter Barcelonas, den Verlust des revolutionären Elans vom 19.Juli 1936 aufzuhalten.
* Prof. Reiner Tosstorff ist Historiker an der Universität Mainz und war u.a. Mitherausgeber der Trotzki-Schriften. Er ist auch Autor des im ISP-Verlag erschienenen Buches Die POUM in der spanischen Revolution (2.Aufl. 2016), einer Geschichte der Partei.
1 Walter Frey (Hrsg.): Ken Loachs «Geschichte aus der Spanischen Revolution». Film, Diskussion, Geschichte, Regisseur. Berlin: Edition Tranvía, 1996.
2 Siehe dazu den zweiten Teil des Beitrags von Reiner Tosstorff in der Juni-Ausgabe der SoZ.
Die Ermordung von Andreu Nin…und die Akten des KGB
von Reiner Tosstorff
Im Mai 1937 kommt es zu bewaffneten Kämpfen zwischen der republikanischen Regierung, unterstützt von der KP, auf der einen Seite, Anarchisten und der POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista – Arbeiterpartei der marxistischen Einigung) auf der anderen Seite (siehe SoZ 5/2017). Letztere verloren den Kampf, die Führung der POUM wurde verhaftet, die Partei in die Illegalität getrieben. Seitdem nach 1991 die sowjetischen Archive geöffnet wurden, lässt sich das Vorgehen des sowjetischen Geheimdienstes in dieser Frage, die bis heute die kommunistische Bewegung spaltet, in großen Zügen rekonstruieren.
Am 5.November 1992 konnten die Zuschauer des katalanischen Fernsehsenders TV-3 an einer Weltpremiere teilnehmen, als ihnen der ex-sowjetische Geheimdienst KGB zum ersten Mal anhand von Originaldokumenten aus seinem Archiv Einblick in eine seiner internationalen Operationen gewährte. Es handelte sich um die Entführung und anschließende Ermordung des Führers der POUM, Andreu Nin – eine Aktion, die den Codenamen «Operation Nikolai» trug. Damit wurde endgültig bestätigt, was bis dahin nur aus Zeugenaussagen und Indizien rekonstruiert worden war, woran aber die überwältigende Mehrheit der Historiker seit Jahrzehnten nicht mehr zweifelte.
Der 1892 in der katalanischen Provinz geborene Nin wurde am 16.Juni 1937 in Barcelona, also sechs Wochen nach den Mai-Kämpfen, zusammen mit einem Großteil der Führung der POUM verhaftet. Und zwar, wie man heute weiß, von Angehörigen einer nach Barcelona entsandten, unter kommunistischer Kontrolle stehenden Einheit der Geheimpolizei aus Madrid. Nicht die nach Millionen zählende anarchistische Gewerkschaft CNT wurde frontal angegriffen, denn sie war zu stark, obwohl ihre Mitglieder den größten Teil der Barrikadenkämpfer gestellt hatte. Man konzentrierte sich auf die kleinere POUM, die als «trotzkistisch» attackiert wurde.
Es war die Zeit der innersowjetischen «Säuberungen», als Stalin das Etikett «Trotzkismus» für seine Massenvernichtungsaktionen im Lande benutzte. Die POUM war damit in die Illegalität gedrängt. Besonderes Ziel war dabei Nin, weil er als Parteisekretär ihre zentrale Führungsfigur war und über Spanien hinaus internationale Bekanntheit hatte, da er in den 20er Jahren in Moskau stellvertretender Generalsekretär der Roten Gewerkschafts-Internationale, des internationalen Zusammenschlusses der kommunistischen Gewerkschaften, gewesen war, bis er sich mit Trotzki solidarisierte und 1930 die Sowjetunion verlassen musste.
Wie man nachher aus vielen Hinweisen rekonstruieren konnte, sollte Nin zu einem der üblichen «Geständnisse» gebracht werden, im Auftrage Hitlers und Francos die Spanische Republik «unterwühlt» zu haben usw. Da er von den übrigen Verhafteten sofort getrennt wurde und sich seine Spur dann verlor, musste man davon ausgehen, dass er schließlich von seinen Folterern angesichts seiner Standhaftigkeit umgebracht wurde.
Die Verleumdung
Jahrzehntelang wurde all dies von den Kommunistischen Parteien geleugnet. Hatten sie es zunächst als «trotzkistische Verleumdung» abgetan, so wurde seit den 60er Jahren immerhin eingestanden, dass Nin wahrscheinlich umgebracht worden war; zugleich aber schob man die ganze Verantwortung auf den sowjetischen Geheimdienst. Und dies, obwohl die KPs von Beginn des Bürgerkriegs an die Verfolgung von linken Abweichlern nicht nur gerechtfertigt und gefordert, sondern auch – etwa unter den internationalen Freiwilligen – aktiv betrieben hatten.
Weltweit betrieben die Kommunistischen Parteien in jenen Jahren eine Propagandakampagne, in der mit Berufung auf die Moskauer Schauprozesse die «Wühlarbeit» der echten oder angeblichen Trotzkisten in Spanien angeprangert wurde, wobei man die fantasiereichsten Erfindungen präsentierte. Wer daran zweifelte, wurde als Faschist angeprangert. Dabei hatten die echten Faschisten in der POUM keineswegs Verbündete gesehen, sondern im Gegenteil erbitterte Gegner, sodass auch die Verfolgungsmaßnahmen Francos nach seinem Sieg die POUM-Mitglieder keineswegs aussparen sollten, wie naive Gläubige der KP-Propaganda eigentlich hätten vermuten müssen. Kein geringerer Faschist als Hitlers Propagandachef Josef Goebbels attackierte auf dem Nürnberger Nazi-«Reichsparteitag» im September 1936 bei seinen Angriffen auf die Wortführer der Republikaner in Spanien auch Andreu Nin als einen der «Haupthetzer in Spanien». So sähe das wahre Gesicht des Bolschewismus aus.
Nun bestätigten die Moskauer Dokumente alles, was man bis dahin nur hatte vermuten und indirekt beweisen können. Dabei handelt es sich zum einen um einen genauen Bericht des Organisators des Mordes, des Vertreters des sowjetischen Geheimdienstes in Spanien während des Bürgerkriegs, Alexander Orlow – in Wirklichkeit ein Pseudonym –, über die Tat. Es ist nicht ohne Ironie, dass Orlow selbst 1938 auf die Säuberungsliste geriet; er zog es vor zu fliehen. Er kam in die USA, wo er später mit seinen Enthüllungen als Kronzeuge der US-Regierung auftrat. Mehrmals von Historikern nach seiner Rolle bei der Ermordung Nins befragt, stritt er entschieden jede Beteiligung ab.
Auch die Namen seiner Komplizen sind in dem Dokument enthalten. Neben dem eines angeblichen Brasilianers namens José Escoi, von dem man inzwischen weiß, dass er in Wirklichkeit Josef Grigulewitsch hieß, der später auch an der Ermordung Trotzkis in Mexiko 1940 und an der Planung eines dann nicht durchgeführten Attentats auf Tito beteiligt war, wurden die Namen der drei spanischen Beteiligten in den dem Fernsehen übergebenen Kopien geschwärzt – angeblich um ihre Familien nicht zu treffen: Es blieben nur die Initialen L, AF und IL stehen.
Gefälschte Beweise
Nin wurde in ein kommunistisches Privatgefängnis bei Madrid gebracht. Es soll sich dabei nach manchen Informationen um das Haus des kommunistischen Luftwaffenchefs Hidalgo de Cisneros und seiner Frau Constancia de la Mora handeln – beide wurden später durch ihre Memoiren bekannt. Diese wurden auf Deutsch in der DDR veröffentlicht, in ihnen lässt sich aber natürlich nichts dazu finden. Jedenfalls wurde Nin systematisch «verhört». Da er nicht zu brechen war, das heißt, keines der Scheingeständnisse über eine angebliche Zusammenarbeit mit dem Faschismus abgab, und inzwischen der nicht unter der Kontrolle der KP stehende Teil des republikanischen Staatsapparats sich bemühte, ihn aufzufinden, wurde er eines Nachts aus seiner Zelle geholt. Auf einer Landstraße in der Nähe wurde er erschossen, sein Leichnam an Ort und Stelle verscharrt.
Der Biograf Alexander Orlows, Boris Volodarsky, hat inzwischen weitere Beteiligte genannt: der deutsche Kommunist Erich Tacke, seit langem Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes und im folgenden Jahr selbst Opfer des stalinistischen Terrors, sowie Orlows Stellvertreter und späterer Nachfolger in Spanien, Naum Eitingon, der dann der Hauptorganisator der Ermordung Trotzkis wurde.
Von Orlow wurde ein weiterer Bericht in der Fernsehsendung vorgestellt, in welchem er seinen Vorgesetzten in Moskau ausführlich schildert, wie er Beweise fälschte um vorzutäuschen, dass die POUM, und insbesondere Nin, in direktem Kontakt zu Franco gestanden, ja, in dessen Auftrag gehandelt hätten. Alles, um gegen die POUM als angebliche Spionageorganisation vorgehen zu können. Die «Beweise» wurden im Oktober 1938 dem Prozess gegen die POUM-Führung vorgelegt, den die Republik schließlich durchführte, um die Unterdrückung der POUM zu rechtfertigen.
Nach dem großen Aufsehen, welches das «Verschwinden» Nins erregt hatte, war es der Regierung nicht mehr möglich gewesen, die Verfolgung der Partei einzustellen. Denn dies wäre einer Herausforderung der Sowjetunion gleichgekommen, von deren Unterstützungslieferungen die Republik abhängig war. Doch der Prozess endete für die Verfolger der POUM mit einem Fiasko. Die angeblichen Spionagedokumente wurden systematisch demontiert. Nicht zuletzt traten eine Reihe von Führern der Republik auf, Anarchisten und linke Sozialisten, die entschieden die Behauptung zurückwiesen, die POUM-Führer seien Agenten. Sie erklärten, ihnen seien die POUM-Mitglieder als langjährige Aktivisten der spanischen Arbeiterbewegung persönlich bekannt. Auch wenn sie scharfe politische Differenzen mit ihnen hätten, würden sie für deren antifaschistische Einstellung bürgen. So musste das Gericht die POUM-Führung von der Anschuldigung der Spionage, die die Todesstrafe zur Folge gehabt hätte, freisprechen und konnte sie nur als Revolutionäre zu mehrjähriger Haft verurteilen, um im nachhinein wenigstens eine juristische Bestätigung für die Unterdrückung der Partei zu haben.
Die Rolle der spanischen KP
Wenige Monate darauf erlitt die Republik allerdings ihre endgültige Niederlage. Es gelang den inhaftierten POUM-Führern, aus dem Gefängnis in Barcelona zu entkommen, bevor die Franco-Truppen die Stadt besetzten. Die offensichtliche Absicht, sie in deren Hände fallen zu lassen, wurde damit durchkreuzt. Den Franco-Truppen fielen bei der Besetzung Madrids im April 1939 auch die gefälschten Beweise gegen die POUM in die Hände. Da die Franquisten die POUM jedoch als Revolutionäre und Kommunisten verfolgten, konnten sie schlecht etwas damit anfangen. Sie liegen noch heute im spanischen Nationalarchiv.
Was der genannte Fernsehbericht nicht klären konnte, weil dazu die Dokumente nicht zur Verfügung standen, sind die äußeren Zusammenhänge der Ermordung Nins. Geschah sie aus einem persönlichen Entschluss Orlows heraus (was man sich kaum vorstellen kann) oder auf Anweisung Stalins (was zu vermuten ist)? Und vor allem: Welche Rolle spielte die Kommunistische Partei Spaniens? Warum wurden in diesem Zusammenhang die Namen der spanischen Komplizen von Orlow nicht bekanntgemacht? Alte Parteiführer wiesen – wenn sie sich etwa wie der inzwischen verstorbene Santiago Carrillo einmal (vor Jahren) dazu äußerten – jede Vermutung über eine Beteiligung der Partei an der Tat zurück. Interessanterweise verweigerte Carrillo gegenüber den katalanischen Fernsehjournalisten jede Stellungnahme.
Andere, wie Dolores Ibárruri («La Pasionaria»), hatten sowieso immer geschwiegen. Das Dementi von KP-Seite war immer recht zweifelhaft, und man kann wohl vermuten, dass auch hierzu einmal entsprechende Dokumente vorliegen werden. Einige Hinweise fand der französische Historiker Pierre Broué in Moskauer Archiven und veröffentlichte sie in seinem Buch «Staline et la révolution. Le cas espagnol» (Paris 1993).
Auch ein ehemaliger KGB-Funktionär zitierte in einer zusammen mit einem englischen Autor verfassten Orlow-Biografie ausführliches Material aus dem KGB-Archiv (John Costello, Oleg Zarew: Der Superagent. Der Mann, der Stalin erpreßte. Wien 1993). Allerdings sollte dieses «Enthüllungsbuch» die spezifische Sichtweise des heutigen russischen Geheimdienstes liefern.
Jedenfalls erregte die Fernsehreportage (nicht nur) in Katalonien beträchtliches Aufsehen, sodass sie unmittelbar danach noch einmal wiederholt wurde. Die verschiedensten Politiker des Landes versuchten daraufhin – mit Vorschlägen wie den, man solle Nins «sterbliche Überreste» suchen und «würdig» in Katalonien beerdigen –, politisches Kapital aus einem Mann zu schlagen, der von ihren Parteien 55 Jahre zuvor aufs heftigste bekämpft wurde, weil er für eine katalanische und spanische Arbeiterrevolution stand, die weder die Sozialisten noch die katalanischen Nationalisten wollten.
Dies ist der zweite Teil des Beitrags von Reiner Tosstorff aus dem Buch «Land and Freedom. Ken Loachs Geschichte aus der Spanischen Revolution.» Hrsg. Walter Frey. Berlin: Edition Tranvía, 1996. Der erste Teil erschien in SoZ 5/2017.