‘Sterne und Quecksilber’: Gedanken zur Ausstellung ‘Revolutionäre der Kunst – Hommage an den Pavillon der Spanischen Republik, 1937’ in der Mayoral-Gallerie, London, bis 10. Februar.
Von Marshall Mateer, IBMT Film-Koordinator
Auf ihrem Weg nach Spanien über Paris 1937 wurden Freiwillige in Gruppen zur Besichtigung des Spanischen Pavillons auf der Internationalen Ausstellung moderner Kunst und Technologie geführt.
Die Mayoral-Gallerie (London und Barcelona) hat Kunstwerke und Archivmaterialien mit Bezug zum Spanischen Pavillon zusammengeführt: „eine Ausstellung, deren Hauptprotagonisten Freiheit und Unterdrückung, Hoffnung und Verzweiflung sind“. Arbeiten von Miró, Picasso, Calder und González befinden sich im Eingangsbereich, wie 1937. In der zweiten Galerie unten findet man Archivmaterialien der Republikanischen Partei zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt sowie die fortgesetzten Kriegshandlungen – im Original-Pavillon befanden sie sich im Obergeschoss. Mayoral will nicht den Originalausstellung wiederholen, sondern den Eindruck des Original-Pavillons aufzeigen und wiederbeleben … durch die Wiederherstellung eines Teils des Gebäudes … und indem der Besucher durch die Atmosphäre jener Zeit gefangengenommen wird.
Miró‘s Wandbild ‘Le Faucheur’ (der Sensenmann – Miró bezeichnete seine Werke stets in Französisch) wurde direkt auf die Wände des Pavillons selbst gemalt und nach dessen Abbau ging es verloren. Für die Mayoral-Ausstellung wurde es durch digitale Malerei in schwarz, grau und weiß wiedererschaffen – es gibt keine Farbfotografien – und bedeckt den hinteren Teil der Galerie vom Boden bis zur Decke. Bei naher Betrachtung erkennt man die Bretter und Schraubköpfe der Befestigung an der Pavillon-Struktur, was unterstreicht, dass es nur für eine zeitweilige Ausstellung gemalt worden war, nicht als galleristisches Kunstwerk.
Auf Fotos sehen wir Miró, den Pinsel in der Hand, etwas unsicher schauend, wie er auf einer Leiter steht, – er beschrieb den Akt des Malens als “direkt und brutal”, wobei ihm „nur wenige Lichtstrahlen“ die Hand führten. In dem fertigen Bild sehen wir die Figur eines katalanischen, aufrecht stehenden Bauern, ein gigantisches Teil vor dem Sternenhimmel – Sterne symbolisieren die Freiheit in Miró’s Ikonografie. Auf seinem großen Kopf – Ausdruck von Opferbereitschaft und Protest – befindet sich das alte Symbol der Katalanischen Identität – die Barretina, eine rote Mütze. Der ihn stützende Hals sowie der Körper erwachsen aus dem Boden seiner Ahnen; er ist buchstäblich in der Erde verwurzelt; er wird seine Erde verteidigen. Der rechte Arm ist erhoben; da sind fünf Finger – ein zupackender Gruß der Faust. Auch der linke Arm ist erhoben, er hält eine mächtige Sichel. Aus Interviews mit Miró und dem Studium seiner Arbeiten wird deutlich, dass mit der Barretina und der Sichel keine Symbole der “Republik” oder des Kommunismus beabsichtigt waren, obwohl manche Betrachter ihre eigene Interpretation entwickeln mussten. Über die Sichel sagte Miró, dass “sie das Symbol des Sensenmannes, des Werkzeugs seiner Arbeit ist und im Falle der Bedrohung der Freiheit – seine Waffe“.
Das alte Lied “Els Segadors” (die Sensenmänner), 1899 in neue Worte gefasst, ist jetzt, obwohl vom Franco-Regime verboten, die Hymne von Katalonien und verkündet “Bon cop de falç, defensors de la terra!“ (Schlagt zu mit Eurer Sichel, Ihr Arbeiter der Erde!). Im Juli und August 1936, während der ersten Monate der Milizen, wurden Sicheln erhoben, wie 1640, als sich der Aufstand der Sensenmänner gegen die Verordnungen von Phillip IV von Spanien erhob. Miró wollte nicht zulassen, dass seine Kultur stirbt, und sagte 1936: ”Wenn sich die Mächte der Vergangenheit, bekannt als Faschismus, weiter verbreiten, … so wird dies das Ende aller menschlicher Würde sein. … Rückzug und Isolation sind nicht weiter zulässig.“
Obwohl es sich um einen Auftrag für den Pariser Pavillon handelte, waren “Die Sensenmänner” keine einmalige Antwort auf den Faschismus, wie bei Picasso, da Miró die Arbeit unter großen inneren Schmerzen angesichts des Anwachsens der faschistischen Bedrohung in den 30-iger Jahren herstellte: „Ich hatte das unbewusste Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe. Wie vor einem Regen; ein schweres Gefühl im Kopf, schmerzende Glieder und stickige Schwüle. Es war eher ein physisches, denn ein moralisches Gefühl. Ich meinte zu spüren, dass sich eine Katastrophe anbahnte.“
Bereits früher, im Jahr 1937, benutzte Miró das katalanische Bauernmotiv mit einer großen geballten Grußfaust und der Barretina-Mütze – heute ein allgegenwärtiges Muster auf T-Shirts und Plakaten – für das kleinste aller Formate, die Briefmarke. Unter einem Druck des Musters steht in Miró’s Handschrift geschrieben: “In dem gegenwärtigen Kampf sehe ich auf der faschistischen Seite die gestrigen Kräfte und auf der anderen Seite – das Volk, dessen riesige schöpferischen Kräfte, die Spanien eine Macht verleihen werden, über die die ganze Welt erstaunt sein wird.“ Miró erzielt seine Universalität durch seine Hinwendung zum Lokalen, seiner katalanischen Identität.
Miró kam 1940 aus Frankreich nach Spanien zurück und blieb während der Jahre des Franco-Regimes verwurzelt im Land seiner Identität, doch lehnte er es entschieden ab, seinen Namen (stets nutzte er das katalanische “Joan”) oder seine Arbeiten für nationalistische Ausstellungen herzugeben. Auch war er nicht passiv in seiner künstlerischen Arbeit, in kritischen Zeiten wurde er zu neuen Richtungen angeregt: zum Beispiel das großartige Tryptichon “L’Espoir du condamné à mort“ (die Hoffnung des zum Tode Verurteilten), das er in der Zeit der Einkerkerung von Salvador Puig Antich, den Miró „den jungen katalanischen Antifaschisten“ nannte, schuf und wenige Tage vor der Hinrichtung von Puig im März 1974 vollendete.
Wenn Picasso und Miró ihre Haltung mit einem Fuß in ihren kulturellen Traditionen ausdrückten, so war es der Amerikaner Alexander Calder, ein Freund von Miró, der mit einer verblüffenden Skulptur in die Zukunft sprang, die die gegenwärtige Kunstpraxis in weit größerem Ausmaß prophezeite, als “Guernica“ oder „Die Sensenmänner“. Calder’s “Quecksilber-Springbrunnen“ ist genau dies: eine Ansammlung von Stahlteilen und Ruten über einem See aus giftigem, gleißenden Quecksilber. Das Quecksilber fließt aus einem Rohr und rollt eine gewundene Metallrutsche hinunter in einen kreisenden See, über dem ein roter Kreis zwischen den schwarzen Profilen hin und her schwingt; das Wort Almadén wurde mit einem Draht “geschrieben“. Entsprechend der Tradition warfen Besucher Münzen in den Quecksilberpool, nur um feststellen zu müssen, dass sie nicht versanken, sondern auf der dicken Flüssigkeit schwammen. Zu jener Zeit waren die toxischen Wirkungen von Quecksilber nicht allgemein bekannt – die wiederhergestellte Version in Barcelona ist sicher hinter Glas geschützt. In der Mayoral-Ausstellung werden Fotografien des Quecksilber-Springbrunnens” gezeigt, mit “Guernica” im Hintergrund, sowie einem späteren Calder “Crag with Yellow Boomerang and Red Eggplant’ (1974) in einem fließenden Seeprofil, genauso wie „Quecksilber-Springbrunnen“ im Pavillon.
„Quecksilber-Springbrunnen“ wurde für die Menschen von Almadén in den Bergen nördlich von Córdoba geschaffen, zu jener Zeit durch Franco’s Truppen belagert und unter anderem durch eine Gruppe irischer Brigadisten unter Führung von Frank Ryan verteidigt. Almadén war keine gewöhnliche Stadt – es war ein Bergbauzentrum, das 60 Prozent des weltweiten Quecksilbers lieferte, ein wichtiger Bestandteil der Munitionsproduktion, z.B. Zünder für Bomben, was für die Republik von herausragender Bedeutung war, aber auch ein vordergründiges Ziel für die Nationalisten und von großem Interesse für die Nazis und die Interessen der Großindustrie der USA. Im Obergeschoss des Pavillons konnten die Besucher eine Ausstellung von Fotos und Karten sehen, die zeigten, wie das Quecksilber gefördert, verarbeitet und verkauft sowie wie die Minen modernisiert wurden. Als ein Beispiel wurde auch eine Reihe rostfreier Stahlflaschen gezeigt, in denen das Quecksilber für Calder’s “Springbrunnen” sicher nach Paris geliefert worden war.
“Guernica”, Picasso’s Gemälde, jetzt in Madrid, ist natürlich nicht in der Mayoral-Gallerie zu sehen, noch wurde der Versuch unternommen, es nachzubilden. Auf der Rückwand im Untergeschoß befinden sich jedoch 64 kleine Tafeln unter dem Titel “Guernica”. In vier horizontalen Reihen angeordnet und aus der Distanz betrachtet, wird das mechanische Gitter durch die schwarzen, grauen und weißen Formen belebt, unterschiedlich auf jeder einzelnen Tafel, lebendig wie Schatten von Blättern auf einer Klinkerwand. Kommt man näher heran, erweisen sich die kleinen Tafeln als Seiten eines Büchleins. Das Buch, wahrscheinlich 1937 hergestellt, ist anonym und verfügt über keinerlei eingedruckte Information über den Herausgeber. Die Seiten zeigen Fotografien, Dokumente, Gedichte, Beschreibungen, Erklärungen, Zeugenaussagen – manche in Spanisch, andere in Englisch – über das zerstörerische Bombardement von Guernica am 26. April 1937. In dieser demontierten Form, ohne Anfang oder Ende, ist es endlos ergreifend; der Eindruck jedes einzelnen Bildes oder Schriftstücks ist sehr persönlich.
Und Picasso’s Guernica? Vielleicht ist es richtig, den 80. Jahrestag der Bombardierung durch deutsche und italienische Flugzeuge als Erinnerung für die Menschen vorbeigehen zu lassen, bevor man sich erneut Picasso’s ikonenhafter Antwort auf den Angriff auf die alte Hauptstadt des Baskenlandes zuwendet. Die Gelegenheit dazu wird kommen – mit der Eröffnung einer Ausstellung zum 80. Jahrestag am 4. April, die durch T.J. Clarke und Anne Wagner in der Reina Sofia in Madrid co-kuratiert wird: „Mitleid und Terror bei Picasso – der Weg nach Guernica”.
Unter Berücksichtigung seiner Niederlassung in London hat das Mayoral Archivmaterialien von Reaktionen britischer Künstler auf die Ereignisse in Spanien aufgenommen, wie den Katalog der originalen Felicia-Browne-Ausstellung, Publikationen der Internationalen Künstlervereinigung und Aufzeichnungen der Britischen “Guernica”-Tour. Eingerahmt an der Wand ist ein großformatiges Plakat für die Surrealismus-Ausstellung 1937 in London, in der Miró und Picasso gezeigt wurden. Visuell wird der enge Text durch einen abstrakten roten Überdruck von Henry Moore aufgelockert. Das Plakat fixiert den Moment, als der Pazifismus den Weg für die unvermeidbaren Folgen des europäischen Konfliktes eröffnete. Es zitiert die Verwendung des „jahrhundertealten Gesetzes der Fremdenlegionäre“ gegen Freiwillige, wobei die „freie Passage für Franco’s Agenten“ zugelassen und die Aufnahme der „Vertreter des SPANISCHEN VOLKES“ verweigert wurde; sowie das „Gentleman’s Agreement mit Mussolini, eine Vereinbarung, die dem Faschismus in Spanien offensichtlich freie Hand ließ“. Das Flugblatt schlussfolgert, dass „(sie), weit davon entfernt, Nicht-Interventionisten zu sein, in der internationalen Politik Verbündete des Faschismus waren“. In den abschließenden Absätzen verkündet die Schrift in großen Lettern: „Wenn auch nur als Selbstverteidigung, so müssen wir ALLE FORMEN DER NICHT-EINMISCHUNG BEENDEN, UNS AUF DEM FELD DER POLITIK EINMISCHEN; AUF DEM GEBIET DER FANTASIE.“ Sich auf dem Feld der Fantasie einmischen, ist ein Ausspruch, der gut und gern Miró zugeschrieben werden könnte.
In der heutigen Zeit von Blockbuster-Ausstellungen demonstriert die Hommage des Mayoral an den Spanischen Pavillon von 1937 den Wert kleinerer, zielbewusster, forschungsbasierter Ausstellungsprojekte für die Öffentlichkeit und ihres Beitrags zur Entwicklung von Kunst und historischem Verständnis. Die Mayoral Gallery vermerkt: “Als Katalanen sind wir uns der Bedeutung des Spanischen Bürgerkrieges und des Kampfes für die Ideale der Freiheit sehr bewusst.“
Ich fragte einige Brigadisten, die ich interviewte, ob sie sich erinnern können, auf ihrem Weg nach Spanien 1937 den Spanischen Pavillon besucht zu haben. Während sie sich an die Fahrt zur Ausstellung und Gedächtnissplitter an Fotografien und Ausstellungsstücke im oberen Geschoss erinnern konnten, erinnerte sich niemand der Befragten an die heute ikonenhafte Darstellung von „Guernica“ zu jener Zeit; niemand erwähnte den „Sensenmann“; andere Dinge füllten ihre Gedanken.
Höre ich auf die wachsende Nachrichtenflut in unserer Zeit, laufende, Fake- oder beobachtende Nachrichten , so bin ich froh, dass sich der “Sensenmann” dank dem Mayoral-Projekt immer noch behauptet; ich ziehe weiter.
Übersetzung: „jowi-uebersetzungen.de“.