Der Blitzkrieg und der Spanische Bürgerkrieg: Wege der Erinnerung an die Vergangenheit. Von Chris Bambery.

Titelfoto: Die katalanische Stadt Granollers nach einem deutschen Bombenangriff, 1938. Foto: Wikimedia Commons.

Der Blitzkrieg und der Spanische Bürgerkrieg: Wege der Erinnerung an die Vergangenheit

Wie man der Opfer des Faschismus in Großbritannien und Spanien gedenken soll, bleibt eine komplizierte Frage, schreibt Chris Bambery in Counterfire am 28. Mai 2017.

Die Vergangenheit ist immer ein Thema der Debatte. Das ist auch der Fall, wenn es darum geht, historische Ereignisse zu begehen.

Letzte Woche war ich stolz darauf, an einer Konferenz über die Bombardierung von Barcelona während des Spanischen Bürgerkrieges und der von London während des Zweiten Weltkrieges teilnehmen zu können. An ihr nahmen Historiker und Politiker aus Katalonien und Großbritannien teil.

Ein katalanischer Teilnehmer nach dem anderen stellte immer wieder fest, dass, während sie auf der Verliererseite in einem Krieg gegen den Faschismus waren, diese Opfer des Bösen nicht anerkannt worden sind. Anders als in London, wo den Opfern des Blitz(krieges) gebührend gedacht worden ist. Mich im Saal umblickend sah ich, dass ich nicht der einzige Brite war, dem das peinlich war. Denn trotz des Blitzkrieges, der zum Teil des nationalen Mythos wurde und stets in den letzten fünf Jahrzehnten bemüht wurde, wann immer die Hauptstadt ein Bombenattentat traf, gibt es kein angemessenes Denkmal für diejenigen, die von der Hand der Luftwaffe gestorben sind. Etwa 20.000 Londoner wurden getötet, viele Tausende verwundet und 3,5 Millionen Häuser wurden beschädigt oder zerstört.

Obwohl es die Bevölkerung der deutschen und japanischen Städte später im Krieg viel schlimmer traf, was im Abwurf von Atombomben auf Nagasaki und Hiroshima gipfelte, sollten solche Ereignisse in Erinnerung bleiben und der Tatsache, dass es London „traf“, sollte mit Stolz begegnet werden.

 

Genau hier muss ich jedoch ein persönliches Anliegen vermerken. Meine Mutter wie mein Vater meldeten sich 1939 freiwillig zum Kampf, da sie der Überzeugung waren, dass dies ein Krieg gegen den Faschismus sei. Meine Mutter bediente einen Suchscheinwerfer und wurde in Ost-London bis zum Ende des Blitzkrieges stationiert. Sie erinnerte sich an echtes Grauen, die Hilfsbereitschaft der arbeitenden Menschen in East End und an Dinge wie den Mittagstanz, wo sie freie Franzosen, Kanadier, Norweger, Polen und andere treffen konnte. Ihre ältere Schwester arbeitete in London und erzählte mir, wie die Reichen die Stadt verließen, um der Bombardierung zu entgehen und sich in ihre Landhäuser oder gar nach Nordamerika zurückzogen. In West End konnte man daher gratis viele freie Wohnungen finden (viele wurden tatsächlich besetzt.)

Aber zurück zur Art und Weise wie London sich an den Blitzkrieg erinnert. Es ist richtig, dass es neben an der Gedenkstätte in der Nähe der St.Pauls Kathedrale eine Gedenktafel gibt, die die Rolle der Londoner Feuerwehr im Krieg würdigt, und man in Wapping am Hermitage Memorial Riverside Garden ein Denkmal für die Menschen in Ost London vorfindet. Das Geld hierfür wurde von einer lokalen Gruppe durch Spendenaktionen, von Unternehmen und Einzelpersonen gesammelt. Das Museum von London hat außerdem eine hervorragende Ausstellungshalle. Darüber hinaus gibt es Gedenktafeln überall in der Stadt, die Bombenexplosionen markieren, wie die an der Eisenbahnbrücke in Mile End, wo die erste V1-Flugbombe 1944 einschlug. Aber, unglaublich, es gibt kein nationales Denkmal wie das vor kurzem vor dem Ministerium für Verteidigung enthüllte für diejenigen, die in Afghanistan dienten.

In Bethnal Green gibt es das Projekt der Treppe zum Himmel, das an die 27 Männer, 84 Frauen und 62 Kinder erinnern soll, die 1943 auf dieser Treppe hinunter zur U-Bahn-Station Bethnal Green zerquetscht wurden, als sie versuchten, Schutz zu suchen (Zur  Vervollständigung dieser Tragödie muss erwähnt werden, dass es ein falscher Alarm war). Dennoch gibt es ein Problem, das angegangen werden muss. Wie soll ein solch tragisches Ereignis hervorgehoben werden, das einer Gemeinschaft weißer Arbeiter in einem Gebiet ereilte, welches heute überwiegend muslimisch ist. Die Dinge sind niemals einfach.

Beim Gedenken an den Blitzkrieg können andere Fragen schnell zum Mythos tendieren, dass wir „alle gemeinsam in ihm “ waren. Die Chamberlain-Regierung weigerte sich, den Schutz von tiefgelegenen Unterständen für Arbeiter wegen der Kosten zu errichten und weil sie befürchteten, dass die Arbeiter dort bleiben würden anstatt zur Arbeit zu gehen. Und das trotz der Hinweise aus Barcelona über die Auswirkungen der italienischen, deutschen und französischen Bombenangriffe in den Jahren 1937-1938. Die anarchistische Gewerkschaft, die CNT, und die lokalen Gemeinschaftsorganisationen hatten dort tiefe Unterstände gebaut. Der wichtigste Zivilingenieur, der sie entworfen hat, wurde durch die Geheimdienste nach London gebracht; aber sein Rat, es wie in Barcelona zu machen, wurde ignoriert.

Stattdessen wurde London mit Anderson-Schutzräumen ausgerüstet, einer Platte aus Wellblech mit Erde bedeckt, die benutzt wurde, um ein Erdloch im Garten oder im Hof zu bedecken. Viele hatten natürlich weder Garten noch Hof. Die Platten aus Wellblech wurden daher auf Schutzräume aus Ziegelsteinen gelegt. Sie konnten dich vor Querschlägern schützen, jedoch nicht vor direktem Beschuss oder einer Bombe, die in der Nähe einschlug.

In Barcelona wurden die Metro-Stationen als Schutzräume genutzt. In London wurden sie für Zivilisten, die Sicherheit suchten, geschlossen. Jedoch konnten die Reichen tiefgelegene Schutzräume nutzen, die privat unter den Hotels Savoy und Dorchester gebaut wurden waren (Außenminister Lord Halifax benutzte solch einen, der für Cocktailempfänge und  Abendessen eingerichtet war, bevor er sich für die Nacht zurückzog). Am 14. September 1940 drängte sich in der achten Nacht des Blitzangriffs (die Nachtbombenangriffe auf London, die der Schlacht von Großbritannien folgten) eine Menge Ostlondoner, die von der Kommunistischen Partei geführt wurde, in die Savoyer Schutzräume. Ähnliche direkte Aktionen führten zur Öffnung der U-Bahn-Stationen für Zivilisten. Die Churchill-Regierung genehmigte schließlich den Bau von tiefgelegenen Schutzräumen.

Dinge wie die Besetzung des Savoy verdienten es, gewürdigt zu werden. Aber sie werden es nicht, weil sie nicht zu den bislang vermittelten Berichten über den Blitzkrieg passen.

Im Gegensatz zu den Bemerkungen der katalanischen Redner auf der Konferenz haben wir nun die merkwürdige Situation, dass mehr getan wird, um der in katalanischen Städten wie Barcelona, Tarragona und Granollers getöteten Menschen als denen in Londonzu gedenken, sowie größere Anstrengungen dort unternommen werden, die tiefgelegenen Unterstände auszugraben und zu restaurieren, die einst von katalanischen Arbeitern errichtet worden sind.

Das resultiert aus dem Aufschwung in Unterstützung der katalanischen Unabhängigkeit, aber auch, wie anderswo in Spanien, aus der entschlossenen Bemühung, die Opfer von Franco zu ehren. Nach seinem Tod und dem Übergang zur Demokratie haben sich die großen Parteien, einschließlich der Kommunisten, darauf geeinigt, eine Linie unter den Verbrechen des Regimes zu ziehen. Die neue Generation lässt sich dafür jedoch nicht einkaufen.

Das hat zu faszinierenden Debatten geführt. Im Süden von Katalonien, in der Stadt Tortessa gibt es ein riesiges Denkmal, das von Franco am Fluss Ebro errichtet wurde, um seinen endgültigen Sieg in der Schlacht am Ebro von 1938 zu markieren, dem eine republikanische Offensive vorausging. Angesichts vieler Kritik berief der örtliche Bürgermeister ein Referendum ein, das die Bürger befragte, ob sie es abbrechen oder „rekonzeptualisieren“ wollten. Nicht überraschend war die Abstimmung für letzteres. Aber viele lehnen das Ergebnis ab und fordern eine Abstimmung in ganz Katalonien. Durch eine  positivere Entscheidung wurde Franco schließlich als „ewiger“ Bürgermeister der Stadt entfernt.

Auf der Konferenz wurde die Angelegenheit des Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) vorgetragen. Dabei handelt es sich um eine riesige faschistische Gedenkstätte, die von republikanischen Gefangenen gebaut wurde, um diejenigen zu feiern, die starben als sie für Franco kämpften. Es ist dort, wo dieses Monster (Franco d.Ü.) begraben ist und wo sich Faschisten versammeln, um ihn mit erhobenen Waffen zu begrüßen. Einige argumentieren für ihren Abriss; der Historiker Anthony Beevor, der die Konferenz eröffnete, stimmte zu, dass es schrecklich ist. Er argumentierte aber auch, dass es in etwas verwandelt werden könnte, das die Schrecken der Franco-Diktatur in den Mittelpunkt stellt, wobei die sterblichen Überreste Francos entfernt werden sollten. Ich habe sie selbst nicht besucht; ich konnte mich nicht überwinden, sondern sie nur aus der Ferne betrachtet, wie sie die Landschaft von der Straße zu den Eisenbahnschienen beherrscht.

Die ganze Frage, wie man sich an den spanischen Bürgerkrieg und die Opfer von Franco erinnert, ist eine wahre heiße Kartoffel in Spanien, wobei die Erinnerungen an die Jahre unter Franco den katalanischen und baskischen Separatismus fördern.

Auf der Konferenz war auch der Direktor des Museums in Turin vertreten, das zum Gedenken an den italienischen Widerstand und jene errichtet wurde, die in den Tod oder zur Zwangsarbeit ins Dritten Reich deportiert worden waren. Das ist eine weitere heiße Kartoffel. Eine neue junge Generation versucht die Organisation der italienischen Partisanen am Leben zu bewahren, wobei die letzten der Partisanen dem Tod bereits nahe sind.

Und wieder bringt die Geschichte seltsame Wendungen hervor. Während Bauarbeiten wurde ein Bombenbunker aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Der Direktor wies darauf hin, dass die Besucher davon ausgehen, dass er gebaut wurde, um Zivilisten vor der Luftwaffe zu schützen. Aber nein, er wurde gebaut, um Schutz vor RAF-Bombern zu bieten!

Es scheint mir, dass die Bürger von London ein nationales Denkmal für die im Blitzkrieg getöteten verdient haben. Aber genau das, was das sein mag, ist eine interessante Frage.

Übersetzung aus dem Englischen von Herbert Grießig.

Quelle: http://www.counterfire.org/

Chris Bambery

Chris Bambery ist Autor, politischer Aktivist und Kommentator und Ünterstützer von RISE, der radikalen linken Koalition Schottland. Zu seinen Büchern gehört „A People’s History of Scotland and The Second World War: A Marxist Analysis„.

Redaktion KFSR