Konflikte innerhalb der antifaschistischen Allianz im Spanischen Bürgerkrieg am Beispiel der Front in Aragonien. Von Tim Wätzold.
Edition „Syfo“ des Instituts für Syndikalismusforschung, Nr. 4, Bremen, Sommer 2013
1. Einleitung
Der vor über 75 Jahren, mit dem Putsch der Armee gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung, ausgebrochene Spanische Bürgerkrieg ist ein in der Historiographie nach wie vor intensiv und kontrovers behandeltes Thema. Die meisten Arbeiten behandeln die Darstellung des Konfliktes zwischen den beiden Kriegsparteien und die vielfältigen inneren und äußeren Auswirkungen. Neuere Forschungen betrachten, meist in Sammelbänden, einzelne Aspekte entweder thematisch oder regional orientiert. Die Konflikte innerhalb der beiden Kriegsparteien werden dabei oft nur kurz und gerade in der vor 1989 erschienenen Literatur tendenziös dargestellt. Dies liegt sicherlich auch an dem komplexen Zusammenspiel der verschiedenen den Konflikt beeinflussenden Faktoren, die in einer Darstellung des Bürgerkrieges meist nur wenig Erwähnung finden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung innerhalb der republikanischen Bürgerkriegspartei steht häufig die Betrachtung der regionalen Konfliktentwicklung in Katalonien. In dieser Region stießen, aufgrund der fortgeschrittenen, vor allem urbanen, sozialen Revolution die interfraktionellen Interessensgegensätze am deutlichsten aufeinander. Auffällig ist dabei, dass die Region Aragonien, in der der Konflikt der verschiedenen Interessen innerhalb der antifaschistischen Allianz ebenfalls deutlich wird, meist gar nicht, oder wenn, dann nicht umfangreich geschildert wird. Zudem ist die Darstellung der Ereignisse in Aragonien meist noch tendenziöser und polemischer ausgeprägt, als die Darstellungen des Konfliktverlaufs in Katalonien. Daher ist das Hauptanliegen dieses Aufsatzes zur historischen Konfliktforschung die Darstellung des Konflikts innerhalb der antifaschistischen Allianz im republikanischen Aragonien. Dennoch ist die Entwicklung dort, obwohl stark partikular geprägt, nicht ohne den Kontext zu der Entwicklung des Bürgerkrieges mit seinen militärischen und internationalen Zusammenhängen und auch der Konfliktentwicklung innerhalb der antifaschistischen Allianz in anderen Regionen des republikanischen Spaniens zu verstehen. Aus diesen Gründen bezieht die Darstellung des internen Konfliktverlaufs auch eine allgemeine Entwicklung des Spanischen Bürgerkrieges mit ein, bevor die Situation der Provinz und Front Aragoniens dargestellt wird. Dabei muss die Betrachtung sowohl den Verlauf der Auseinandersetzung im Bürgerkrieg, als auch die Gestaltung der sozialen Revolution mit ihrer lokalen historischen Tradition umfassen.
Eine Schwierigkeit besteht zudem in der Darstellung der Transformationen im Konfliktverlauf, so dass auch die verschiedenen zeitlichen Phasen erfasst werden müssen, um zu einem besseren Gesamtverständnis der partikularen Entwicklung zu gelangen. Die Darstellung der Phasen orientiert sich hierbei an dem Konfliktverlauf in Aragonien, der sich in drei zeitliche und thematische Zusammenhänge einteilen lässt.
Die erste Konfliktphase umfasst die lokale historische Entwicklung vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Aragonien, den Verlauf des Putsches und die republikanische Gegenreaktion in den ersten Wochen nach dem Putsch, hier dargestellt als Kapitel 3: „Entwicklung in Aragonien“.
Die zweite Konfliktphase entspricht Kapitel 4: „Entstehung der Agrarkollektive und des Verteidigungsrates“. Die Darstellung der Entwicklung umfasst hier den Zeitraum Oktober 1936 bis Ende Mai 1937. In dieser Phase begann die eigentliche Konfliktentwicklung in Aragonien, da eine Konfliktpartei im Rahmen einer sozialen Revolution die Produktion und Distribution, ebenso wie die politischen Machtverhältnisse, strukturell umgestaltete, orientiert an anarchosyndikalistischen Utopievorstellungen. Dabei handelte sie autonom und entwickelte separatistische Tendenzen. Diese Entwicklung in Aragonien kollidierte mit vielen anderen Interessenlagen innerhalb der Republik und den partizipierenden gesellschaftlichen Gruppen.
Die dritte Konfliktphase, Kapitel 6: „Auflösung der Kollektive und Entwicklung in Aragonien“, stellte einerseits die Eskalation des gewaltsamen Konflikts innerhalb des antifaschistischen republikanischen Bündnisses dar, zeigte aber anschließend auch die Kontraproduktivität des Vorgehens der Repressionsorgane der Zentralregierung. Die Repressionen gegen die revolutionären Strukturen und Errungenschaften in Aragonien begannen im Juni 1937 und zogen sich bis August 1937. Der Konflikt eskalierte Mitte August durch die Auflösung des Verteidigungsrates und die Zerschlagung der Agrarkollektive seitens der Zentralregierung und ihrer hierfür berufenen Exekutivorgane. Die Reorganisation der Kollektive würde der Konfliktforschung nach noch eine Phase der Konfliktbeendigung bilden[1]. Dieser Prozess wird im Rahmen dieser historischen Untersuchung im selben Kapitel 6 als Unterkapitel 6.3 eingegliedert. Mit der Eroberung Aragoniens durch die Nationalisten im April 1938 endet die Untersuchung.
Diese drei Konfliktphasen sind, wie bereits angedeutet, vor dem Hintergrund der Entwicklung der spanischen Republik im Bürgerkrieg zu sehen, vor allem hinsichtlich der Entwicklung des Staatsapparates, der Staatsräson und der verschiedenen, meist in Parteien repräsentierten, Gesellschaftsschichten und ihrer Interessen. Gerade bei den Interessen zeigt sich eine profunde Reziprozität. Die Interessen der bürgerlichen und kommunistische(n) Parteien und des durch sie organisierten Staatsapparates vereinten sich zu einer Konfliktpartei, vor allem als Opposition zu der libertär geprägten sozialen Revolution und den Protagonisten derselben, die somit die zweite Konfliktpartei innerhalb der antifaschistischen Allianz darstellten . Dabei lassen sich auch bezüglich der allgemeinen Entwicklungsprozesse des republikanischen Staatsapparates und der damit verbundenen Interessensgruppen im Untersuchungszeitraum vier Phasen aufzeigen, die hier zum besseren Kontextverständnis skizziert werden.
Die I. Phase, vom Juli 1936 bis zum November 1936, ist geprägt durch die spontane Abwehr des Militärputsches durch Organisationen der Arbeiterschaft, die zur sozialen Revolution übergingen, vor allem in Katalonien und Aragonien. Gerade in der Anfangsphase erschien der republikanische Staatsapparat paralysiert, ebenso ein Großteil der bürgerlichen Parteien. Dort wo der Putsch niedergeschlagen werden konnte, bildeten sich antifaschistische revolutionäre Komitees, die die Macht und die Regelung des öffentlichen Lebens teilweise übernahmen. Erst Wochen später gelang es, durch die Ernennung L. Caballeros zum Ministerpräsidenten und seine Regierungsbildung, einen Revitalisierungsprozess des Staates und seines Einflusses auf die republikanische Gesamtentwicklung einzuleiten, da die staatlichen Strukturen die soziale Revolution überstanden hatten.
Die II. Phase, November 1936 bis zum Mai 1937, wurde vor allem durch den militärischen Verlauf eingeleitet, da die Truppen der Putschisten unaufhaltsam auf Madrid vorrückten und die Eroberung der Hauptstadt auf jeden Fall verhindert werden musste. So bildete die Schlacht um Madrid in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur, wie noch gezeigt wird. Als Resultat dieser Phase folgte durch die Regierungsbeteilung der revolutionären Kräfte die Restauration des republikanischen Staates. Dieser Prozess ging anfangs langsam aber stetig vorwärts – auf Kosten der sozialen Revolution und zum Wohle eines bisher unbedeutenden Protagonisten, den Kommunisten. Diese wurden durch verschiedene Organisationen nach außen vertreten, obwohl sie intern, im Rahmen der zeitgenössischen stalinistischen Entwicklung des Kommunismus weltweit, vereint agierten. Zum Ende dieser II. Phase gelang es den Kommunisten zunehmend, den Prozess der Restaurierung des bürgerlichen Staates zu katalysieren und zu manipulieren, was letztendlich die nächste Phase einleitete.
Diese intensive III. Phase beinhaltete innerhalb von knapp 4 Monaten, Mai 1937 bis August 1937, die Wiederherstellung der bürgerlichen Republik und die Beendigung der sozialen Revolution der Arbeiterschaft. Zudem gelang es den Kommunisten, ihren selbst erklärten ideologischen Hauptfeind neben dem Faschismus, den Trotzkismus in der vermeintlichen Form der Linkspartei POUM, auch in Spanien auszuschalten. Doch agierten die Kommunisten nicht alleine, sondern unterstützten die bürgerlichen Parteien, die den vormaligen Ministerpräsidenten Caballero in Zusammenarbeit mit den Kommunisten stürzten. Unter der Ägide des Ministerpräsidenten Negrín vollzog sich ab Mitte Mai die völlige Wiederherstellung des Staatapparates mit der Prämisse Krieg statt Revolution und der Hoffnung auf die Intervention und Unterstützung durch die demokratischen, bürgerlichen Großmächte. Kennzeichnend für diese Phase waren auch die vielfältigen Zugeständnisse an die Interessen des bisherigen Unterstützers, der Sowjetunion.
Im Zusammenhang des Untersuchungszeitraumes, der bis zum April 1938 begrenzt ist, schloss sich nun die IV. Phase des Entwicklungsprozesses an. Diese wurde bestimmt durch die militärischen Offensivaktionen des restaurierten republikanischen Staates. Auch diese Aktionen waren auf die internationale Entwicklung und Wahrnehmung des Spanischen Bürgerkrieges ausgerichtet, weiterhin mit der Hoffnung auf eine positive Wende in der Gesamtentwicklung des Bürgerkrieges für die Republik verbunden. Im Rahmen dieser Arbeit wird auf die hier skizzierten Phasen, auch aufgrund der breiten Historiographie, die diese Thematiken detailliert schildert und erläutert, nur im notwendigsten Rahmen eingegangen und gezielt auf weiterführende Literatur verwiesen. Das Hauptaugenmerk richtet sich vielmehr auf die Fragen: Wie gestaltete sich der Konfliktverlauf innerhalb der antifaschistischen Allianz und was waren die Konfliktursachen, die zur Niederschlagung der sozialen Revolution in Aragonien führten? Es sollen die Ereignisse in Aragonien im Gesamtzusammenhang der Entwicklung des republikanischen Lagers während des spanischen Bürgerkrieges interpretiert werden. Ein Unteraspekt der Untersuchung soll zudem die kritische Betrachtung der Rolle der Internationalen Brigaden ausmachen, da eine mögliche Beteilung an dem Konfliktverlauf in Aragonien in Teilen der neueren Historiographie erwähnt wird.
[1] Siehe zum Thema Konfliktphasen und Deeskalationsphase unter anderen Rubin, J.Z., Pruitt, D.G., Kim, S.H., Social Conflict Escalation, Stalemate and Settlement, New York, 1994, und Imbusch, Peter, Zoll, Ralf,(Hrsg.), Friedens- und Konfliktforschung, Opladen, 1996. Übersichtliche Zusammenfassung zum Thema Konfliktphasen auch in: Haas, Stefan Herbert, Ein Kriegsanalyseraster, Inaugural-Dissertation, Universität zu Würzburg, 2000, S.240-261.
Wir danken Tim Wätzold für die Genehmigung der Übernahme der Einleitung zum Beitrag: „Konflikte innerhalb der antifaschistischen Allianz im Spanischen Bürgerkrieg am Beispiel der Front in Aragonien.“
Vollständiger Text hier: Konflikte_innerhalb_der_antifaschistisch