Spaniens Bürgerkrieg – 80 Jahre später: Lehren für die US-Außenpolitik. Von Prof. David Jorge, Mexiko.

Titelfoto: Franklin D. Roosevelt in seinem Heim in Hyde Park, New York, während einer Ansprache im nationalen Radio am 24. Dezember 1943. Verwaltung Nationaler Archive und Aufschriften, Öffentlicher Bereich.

Spaniens Bürgerkrieg – 80 Jahre später: Lehren für die US-Außenpolitik. Von Prof. David Jorge, Mexiko.

Nach dem 1. Weltkrieg hatte Präsident Woodrow Wilson den Traum, die Welt „sicher für die Demokratie“, nicht genau für die Demokratie an sich als Regierungssystem, sondern für ihre implizite Verbindung mit dem freien Markt zu machen. Die wirtschaftliche Durchdringung wurde als ein unentbehrlicher Weg zum Fortschritt für das kapitalistische System (durch die Ausweitung der Märkte, die Ausfuhr von Waren und die Ausbeutung von Ressourcen in Übersee) konzipiert. Darin liegt auch der Ursprung der Idee für einen Völkerbund als einem globalen rechtzeitigen Schutz angesichts der Bedrohung, die die bolschewistische Revolution für den Kapitalismus ab Oktober 1917 darstellte. Herausgefordert durch den Idealismus, den dieses historisches Ereignis der herrschenden Ordnung entgegensetzte, war es offensichtlich, dass lediglich eine andere Art von  Idealismus dem entgegenwirken konnte: ein Idealismus, der mit der Idee des Friedens, der kollektiven Sicherheit, der internationaler Zusammenarbeit auf der Grundlage offener Diplomatie,  Selbstbestimmung, Freiheit, Demokratie … ausgestattet ist. Und was wäre besser, als dies durch die Verbreitung der Idee zu tun, dass die Demokratie,( die als untrennbar vom freien Markt dargestellt und in der amerikanischen Außenpolitik seit Wilson bis heute hinter dem Terminus „Demokratie“ präsentiert wird ) Wohlstand und Frieden bringen würde? Die Zweijahresperiode von 1917-1919 ist dafür absolut entscheidend; die zeitgenössische Ära beginnt hier.

Statt des traditionellen europäischen Gleichgewichts der Kräfte versuchte die Wilsonsche Vorstellung, eine moralische Komponente in ihre Expansionspolitik als eine neue Weltmacht einzufügen; als eine Art „demokratisches Imperium“, das durch Legitimität errichtet wurde und auf einer unbegrenzten wirtschaftlichen Durchdringung und nicht auf militaristischer Intervention beruhte. Diese moralische Komponente wurde zwei Jahrzehnte später mit der Einführung des New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt bekräftigt, die in den Augen vieler die Vereinigten Staaten als eine großes ideologische und sogar moralisches Paradigma in einem Zeitalter der Extreme und des Totalitarismus legitimierte.

Als „demokratisches Imperium“ zu handeln, ist an sich schon ein Widerspruch und früher oder später wird dies immer klar, wenn das unvermeidliche Dilemma auftritt: zwischen der Verteidigung der imperialen Interessen und der Verteidigung der Demokratie. Die spanische Demokratie sollte die hohen Kosten von 40 Jahren Diktatur für diesen latenten Widerspruch in den westlichen Demokratien der 1930er Jahre zahlen.

Es war 1936, genau vor 80 Jahren, als die Ursachen einer neuen Weltkatastrophe bereits auf spanischem Boden keimten. Die Aufmerksamkeit der Welt ruhte auf Spanien, einem Land inmitten eines wütenden Krieges, der sich sowohl für dessen Bürger als auch international auswirkte. Es waren die Tage der Republikanischen Verteidigung von Madrid, der Kampf um die Kontrolle der spanischen Hauptstadt, die die internationalen Schlagzeilen Tag für Tag beherrschten. Es war eine komplexe Situation, die sich aus einem halb gescheiterten Staatsstreich entzündete, in dem General Franco (unterstützt von Mussolini und Hitler) als einer der entscheidenden Führer fungierte.

Einige der prominentesten Intellektuellen der Zeit (wie Ernest Hemingway, André Malraux, Ilya Ehrenburg und Pablo Neruda, um nur einige zu nennen) waren anwesend und wurden Zeuge, wie eine Stadt unter Belagerung täglich bombardiert wurde. Fast 60.000 Menschen aus mehr als 50 Ländern meldeten sich freiwillig für die internationalen Brigaden, darunter etwa 2.500 Männer aus den USA, die das Abraham Lincoln Bataillon bildeten. Diese Brigaden, die als Teil der regierungstreuen Truppen  kämpften, repräsentieren eine weitere Form der Solidarität mit der Spanischen Republik (George Orwell, Gustav Regler, Luigi Longo und David Alfaro Siqueiros gehörten zu den bekanntesten Brigadisten).

Es war das Epos der Zeit, geprägt von einem Adrenalinstoß, der aus dem Bewusstsein der Nähe des Todes und dem Heldentum, das  aus der Verteidigung dessen, was oft die letzte große Sache genannt wurde, hervorging und als fortwährende Quelle der Inspiration für Filme, Bücher und Kunstausstellungen dient. Es war eine Zeit, als es vernünftig erschien, das größere Wohl romantisch über den persönlichen Gewinn zu stellen, unabhängig von den Kosten – eine idealistische Lebenskonzeption, die im zwanzigsten Jahrhundert allmählich absterben und gegenüber einer neuen Ideologie kapitulieren würde: der ausschließlichen Wahrheit von Margaret Thatchers TINA ( There is no alternative – Es gibt keine Alternative). Der Neoliberalismus ist, trotz der verbalen Verleugnung von Ideologien, in Wirklichkeit eine Ideologie für sich selbst und wird von den USA seit der Reagan-Administration ebenso wie von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eifrig verfolgt, besonders nach dem Fall der Berliner Mauer.

Die Rebellion gegen die demokratisch gewählte Regierung der Republik hinterließ ein geteiltes Land – eine Teilung, die in vieler Hinsicht bis heute tief in der spanischen Gesellschaft verwurzelt ist. Jedoch war der spanische Bürgerkrieg viel mehr als ein einfacher spanischer Bürgerkrieg. Er sollte unauslöschlich das Leben verschiedener Generationen auf der ganzen Welt berühren, und wie Albert Camus sagte: „Es war in Spanien, wo meine Generation gelernt hat, dass man Recht haben und trotzdem geschlagen werden kann, dass Gewalt die Seele zerstören kann, und dass manchmal Mut nicht belohnt wird“. Das Gewissen der beschriebenen Männer und Frauen der damaligen Zeit trat in Widerspruch zu den Handlungen ihrer zeitgenössischen politischen Eliten, die, um der Realpolitik willen, Handlungen ausführten, die auf kurzsichtigen Interessen, Vorurteilen und Ängsten beruhten, anstatt nach dem öffentlichen Interesse an einem Minimum an mittelfristigen  Lösungen zu suchen.

Als die Rebellion im Sommer 1936 in Spanien stattfand, war die internationale Ordnung bereits verhängnisvoll verwundet. Den ersten Schlag bekam sie als das militaristische Japan 1931 die Mandschurei besetzte, einer Krise, die weder vom Völkerbund noch von den USA gelöst wurde. Letztere bezahlten dafür auf ihren eigenem Territorium für die Beschwichtigung, die als Antwort auf den japanischen Imperialismus auf die Bühne gebracht wurde. Washington, mit seiner Abwesenheit vom Völkerbund (obwohl dessen „Vater“ der ehemalige Präsident Wilson gewesen war), trug damit auch von Anbeginn an zur Labilität der Internationalen Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg bei. Sobald das faschistische Italien 1935 in Abessinien einmarschierte (das letzte afrikanische Land, das der Kolonisation widerstanden hatte), war Toleranz die einzige Reaktion, die die Westmächte anboten. An diesem Punkt wurde klar, dass die internationale Ordnung, die in Versailles nach dem Ersten Weltkrieg von 1914-1918 geschaffen wurde, tatsächlich schon gestorben war. Sowohl Japan als auch Italien waren zum Zeitpunkt ihrer Aggressionsakte Mitgliedsländer des Völkerbundes. In der Zwischenzeit lernte Hitler die Lehre von der Straflosigkeit.

Um die Schwäche und den Niedergang dieser internationalen Ordnung besser verstehen zu können, scheint auch ein Blick auf die zweideutige Klassifizierung von „gescheiterten oder halbgescheiterten Staaten“ wichtig. Die jüngsten Fälle von Irak, Afghanistan, Libyen und besonders Syrien erinnern uns daran, dass diese zweideutige Verallgemeinerung auch heute eine gefährliche Praxis bleibt, unabhängig davon, ob die Ziele anders sind oder nicht. Diese Kategorisierung reflektiert oft den (mehr oder weniger bewussten) Willen, Distanz zwischen sich selbst und gefährlichen Szenarien zu setzen, ein Phänomen, in dem ein gewisser Überlegenheitskomplex oft eine Rolle spielt. Das kann fatale Folgen nach sich ziehen: Selbsttäuschung, in dem Sinne, dass es „unvorstellbar“ wird, dass schreckliche Entwicklungen, die anderswo passieren, auch im eigenen Hof passieren könnten. Schon in den 1930er Jahren behaupteten die im Völkerbund vertretenen Großmächte, dass weder die Mandschurei noch Abessinien ein „organisierter Staat“ seien, sondern eine Art „gescheiterter Staat“. Das war ihre Rechtfertigung dafür, dass sie nicht mit den beiden überfallenen Nationen übereinstimmten und nicht mithalfen, deren Souveränität, die in der Satzung des Bundes garantiert war, zu verteidigen. (Man beachte, dass die Satzung weder die Demokratie noch eine bestimmte Art von Regime, sondern die Souveränität der Mitgliedsstaaten des Völkerbundes verteidigte.) Rassische und koloniale Vorstellungen waren stillschweigend in dieser Auffassung einbegriffen.

Mexiko war der einzige Staat, der seinen Verpflichtungen sowohl entsprechend dem Völkerrecht als auch der regionalen (Inter-Amerikanischen) Abkommen entsprechend, handelte. Auch Präsident Lázaro Cárdenas und seine Diplomaten waren die einzigen, die den spanischen Konflikt in seinem Wesen interpretierten: ein Konflikt, bei dem die Aggression der Außenstaaten (Italien, Deutschland und Portugal) gegen die legitime Regierung eines international anerkannten Staates die Anwendung von Artikel 10 der Satzung des Völkerbundes (betreffend die Aufrechterhaltung der territorialen Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit gegen jegliche externe Aggression) sowie Artikel 16 (der festlegt, dass für den Fall, dass ein Mitgliedsstaat des Bundes einen Krieg gegen ein anderes Mitglied inszeniert, wäre dies ein Akt der Aggression gegen alle im Bund vertretenen Staaten – und Italien war noch in Genf) nach sich zieht. Was die USA und den Rest Lateinamerikas angeht, so war auch die Verteidigungsstrategie der spanischen Republik im Einklang mit den Vereinbarungen, die in der Konvention von Havanna von 1928 im Zusammenhang mit der Sicherheit in Amerika vereinbart wurden, wie die mexikanische Regierung in Genf und auch gegenüber den USA feststellte.

Für die Westmächte war China eine Art Anarchie, die nichts mit dem Konzept des Nationalstaates zu tun hatte. Im italienisch-äthiopischen Fall versuchte der britische Staatsminister Anthony Eden, die Anwesenden in Genf davon zu überzeugen, dass Abessinien nicht länger als souveränes Territorium angesehen werden könne. Daher wäre jedes Land offen für die Möglichkeit der Anerkennung der italienischen Souveränität über Äthiopien, ganz zur Freude zweier zukünftiger Achsenmächte (Japan und Italien).

Kurz nach dem italienisch-äthiopischen Krieg, als die (internationale) Aggression und der spätere (internationale) Konflikt im Jahre 1936 in Spanien begann, wurde auch eine Anwendung dieser Interpretation auf Spanien versucht, um die Nichtanwendung völkerrechtlicher Vorschriften zu rechtfertigen. Es erwies sich als erfolglos, die voreingenommenen (Großbritannien) und erschrockenen (Frankreich) europäischen Demokratien dazu zu bringen, ihre spanischen Ebenbilder aufzugeben und der Vereinbarung gegen die Intervention, die außerhalb des Rahmens des Völkerbundes und ohne jede Grundlage im Völkerrecht der  damaligen Zeit unterzeichnet wurde, beizutreten. Die  damalige Praxis des Völkerrechts war gleichbedeutend damit, einem souveränen Staat sein inhärentes Recht auf Selbstverteidigung zu verweigern. Es war eine spezifische Variable, die innerhalb des Kontinuums der Beschwichtigung / Nicht-Intervention / Beschwichtigung auf den spanischen Fall angewendet wurde – eine Dialektik, die zusammen mit der Bereitschaft des Aggressors das kollektive Sicherheitssystem, das als neue Weltordnung nach der traumatischen Erfahrung des 1. Weltkrieges begriffen wurde, beseitigen sollte.

Diesmal wurde die japanische und italienische Zufriedenheit (abgeleitet aus den Konflikten der Mandschurei und Abessinien) auf die andere künftige Achsmacht Deutschland ausgedehnt. Das bedeutete den endgültigen Tod des Völkerbundes. Der spanische Staatsminister und die spanische Hauptfigur in Genf, Julio Álvarez del Vayo, beschrieb das Nicht-Interventions-Abkommen als eine „legale Monstrosität“ vor der Versammlung des Bundes im Herbst 1936. Er behauptete auch, dass „Spaniens blutgetränkte Felder bereits in der Tat die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs sind“. Dies war auch die Auffassung des spanischen Ministerpräsidenten Juan Negrín, dessen hartnäckiger Aufruf zum Widerstand der Überzeugung entsprach, dass ein weiterer Krieg in ganz Europa bevorstehe. In diesem allgemeinen Konflikt würde die spanische Republik logischerweise Gemeinsamkeiten mit ihren Amtskollegen und damit natürlichen Verbündeten aufweisen: den westlichen Demokratien. Leider um alles in der Welt, sprach Negrín die Wahrheit. Trotzdem sollten genau fünf Monate Spaniens Schicksal von dem des übrigen Europas trennen.

Die Roosevelt-Regierung in den USA, in der Angst, öffentliche Anerkennungsnormen zu verletzen und der britischen Regierung folgend, generierte eine Politik der Neutralität trotz der ultimativen Vorliebe von Franklin Delano Roosevelt (FDR) für die Demokratische Regierung Spaniens. Der amerikanische Präsident hatte mit der heftigen Opposition von Capitol Hill zu kämpfen, was seine Fähigkeit, Veränderungen vorzunehmen, erheblich einschränkte. Was Spanien angeht, so handelte er nicht nach seinen ersten Worten: „Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Angst selbst“. Die starke Entschlossenheit von FDR, den New Deal einzuleiten, würde die liberale Demokratie retten, ein System, das damals vor der tiefsten Krise stand, weil es mit dem Kapitalismus zu tun hatte, was von den heutigen neoliberalen Apologeten oft vergessen wird. Jedoch fehlte dem amerikanischen Präsidenten diese gleiche Entschlossenheit in den Angelegenheiten der Außenpolitik. Im Februar 1939 bereute Roosevelt seinen Mangel an Entschlossenheit, der spanischen Demokratie zu helfen. Bis dahin war er davon überzeugt, dass ein weiterer Weltkrieg unvermeidlich war. Dieses Bewusstsein wäre ein wichtiges Element für den künftigen US-Kampf gegen die Achse gewesen, obwohl es für die Spanische Republik bereits zu spät war.

Trotz des „demokratischen“ Verrats an der Demokratie, der in Spanien begangen wurde, konnten weder London noch Paris einen weiteren totalen Krieg auf ihrem eigenen Boden vermeiden. Washington sollte auch einen hohen Preis für seine berechnende Isolation / Neutralität zahlen.

Die Selbsttäuschung hat nicht funktioniert.

David Jorge ist Professor für Zeitgeschichte an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM) und Autor eines Buches über das Scheitern des Völkerbundes auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg: „Inseguridad colectiva: La Sociedad de Naciones, La Guerra de España y el fin de la paz mundial „(2016).

Quelle: http://www.albavolunteer.org/2016/11/the-costs-of-neutrality-lessons-for-us-foreign-policy/

Die Redaktion dankt sehr herzlich für die Übersetzung: Herbert Grießig.

Redaktion KFSR

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