Beispiel Spanien
Das Jahr 2016 neigt sich dem Ende zu. Zurück von der Reise Paris – Benicàssim – Albacete – Madrid, Du Wunderbare, mit jungen und alten, bekannten und neuen Freunden aus 15 Ländern verweilen meine Gedanken und Emotionen noch im „Transitraum“. In Spanien und weltweit findet das Gedenken an den Kampf der republikanischen Spanier, an das einzigartige Beispiel ihrer solidarischen Unterstützung durch Internationalisten – Kommunisten, Sozialisten, Christen, Pazifisten aus 53 Ländern – weitestgehend ohne die Protagonisten von einst statt.
80 Jahre nach Beginn des Spanienkrieges, nach Bildung der Internationalen Brigaden zur Verteidigung der demokratisch legitimierten Zweiten Republik und dem Auflodern einer sozialen Revolution sind wir herausgefordert, die politische Erinnerungsarbeit ohne die unmittelbar Beteiligten an der Geschichte neu auszurichten. Gemeinsam mit den Nachkommen sind wir aufgerufen, ihr Vermächtnis weiterzutragen und dafür einzustehen.
Diese Worte emotionsreich in Aufrufen und Reden gesprochen – was meinen wir damit? Womit fängt es an? Eine mögliche Antwort: Indem wir die Biografien der zumeist jungen Menschen, die damals nach Spanien gingen, um den in einigen europäischen Ländern bereits herrschenden Faschismus zu bekämpfen, aus dem drohenden Vergessen an die Öffentlichkeit heben. Wer waren sie? Was erwartete sie? Wie verliefen ihre Lebenswege nach dem Krieg?
Wie viele aus der Gruppe des KFSR begleitete mich unterwegs ein Anstecker: „Otto Kühne 1893–1955 está presente, Batallón Hans Beimler, XI. Brigada Internacional, Teniente Coronel en la Resistencia“. Er war Mitglied der KPD und der PCE. Mitreisende, Spanier, Journalisten des spanischen Senders RTVE fragten nach – Antworten geben persönliche Erinnerungen seiner Tochter Evi Lüders, Archivnotizen, Literatur sowie das Biographische Lexikon der Deutschen an der Seite der Spanischen Republik.
In diesem Jahr gedachten vielerorts lokale antifaschistische Initiativen „ihrer“ Spanienkämpfer, so in Wuppertal, Radebeul, Hamburg, Chemnitz, Stuttgart, Bremen, Saarbrücken oder Berlin. Ein Schülerprojekt, ein internationales Workcamp an Erinnerungsorten gehören zu den unverzichtbaren Erfahrungen gegen das Vergessen. In Spanien sind zahlreiche regionale Organisationen des Historischen Gedächtnisses (memoria histórica) aktiv, ohne jegliche staatliche Unterstützung.
Junge Menschen stellen heute Fragen: Was bewegte die Jugendlichen von damals, ihr Leben für diese Sache zu einzusetzen? Was war das für eine Sache? Es waren zunächst bürgerlich-demokratische Grundwerte, in der Verfassung der Spanischen Republik von 1931 verankert; Artikel 6 lautet: „España renuncia a la guerra como instrumento de política nacional. “ (Spanien verzichtet auf den Krieg als Instrument der nationalen Politik.) In diesen politisch extremen Jahren, die in den Zweiten Weltkrieg mündeten, putschten Franco-Generäle mit Unterstützung deutscher, italienischer und portugiesischer Faschisten gegen diese zutiefst humanistische Verfassung. Wir dürfen nicht lockerlassen zu hinterfragen, warum die Bundesregierung sich bis heute nicht für die deutschen Verbrechen an der spanischen Bevölkerung entschuldigt hat und nicht für deren juristische Verurteilung sorgt, warum die „Spanische Allee“ in Berlin – benannt nach dem feierlichen Empfang für die Legion Condor 1939 nach ihrer Rückkehr aus Spanien – noch immer diesen Namen trägt, warum einerseits noch weiterhin Jahr für Jahr über 100000 Euro Renten an Nazi-Kollaborateure wie ehemalige Angehörige der „Blauen Division“ gezahlt werden (laut Vertrag 1962 von Adenauer und Franco beschlossen), aber andererseits eine staatliche Ehrung derer, die zur Verteidigung von demokratischen Grundrechten nach Spanien gingen, bis heute aussteht.
Das Beispiel Spanien bedeutet mehr als die internationale Solidarität von Antifaschisten aus aller Welt. Dazu gehört ebenso das Beispiel der sozialen Revolution: Worin bestanden ihre Ziele, welche praktischen Formen gab es, aber auch welche Gründe für ihr Scheitern? Auf der Suche nach heutigen gesellschaftlichen Alternativen in der Arbeit mit jungen Menschen und im Eintreten gegen Geschichtsfälschungen können wir diesen tragischen Teil der Geschichte nicht beiseite lassen, wenn wir ernstgenommen werden wollen.
In Paris, bei der Aufführung des Dokumentarfilmes „Brigadas internacionales entre memoria y silencio“ (IB zwischen Erinnerung und Stille), machte Regisseur Jean Ortiz auf die folgenreiche Entpolitisierung des historischen kollektiven Gedächtnisses aufmerksam. Um sich dieser Tendenz wirksam entgegenzustellen, sind der qualifizierte, wissenschaftliche Austausch, die Bündnisarbeit auf internationaler Ebene vonnöten. Die historisch-konkrete Aufarbeitung des Beispiels Spanien in seiner Komplexität muss zu einem europäischen Anliegen all jener werden, die für Demokratie und Antifaschismus einstehen, eine logische Konsequenz aus der Einordnung des Spanischen Bürgerkrieges als internationale Auseinandersetzung.
KERSTIN HOMMEL, Vorsitzende des Vereins „Kämpfer und Freunde der spanischen Republik 1936–1939“, Aus ¡NOPASARAN!, Nr. 3-2016, Seite 1 u. 2.