Titelfoto: Joseph Almudever (97), einer der wenigen noch lebenden Interbrigadisten, in Albacete Foto: Gabriele Senft
»Für eure und unsere Freiheit«
80. Jahrestag des spanischen Bürgerkrieges: Eine Reise zum Ursprung der Interbrigaden
Vor 80 Jahren putschten in Spanien die Faschisten. Schnell formierte sich breiter Widerstand unter anderem von zehntausenden internationalen Freiwilligen. Eine Rundreise erinnert an sie.
Von Joel Schmidt, Spanien
Eine große Menschentraube hat sich am Hotel Voramar im beschaulichen Küstenort Benicássim versammelt. Es herrscht ein wuseliges Durcheinander auf der Terrasse des Hotels mit Meerblick, Leute stehen in Kleingruppen herum, unterhalten sich angeregt, andere begrüßen und umarmen einander, wie alte Freunde, die sich lange nicht mehr getroffen haben. Die Szenerie ist durchzogen von einem unverständlichem Stimmenwirrwarr, aus dem sich immer wieder nur ansatzweise Gesprächsfetzen auf spanisch, französisch, deutsch oder in einer anderen Sprache herausfiltern lassen. Irgendwo an der Balustrade der Terrasse lehnt die französische Trikolore, daneben eine mit goldenen Fransen verzierte Fahne der »Naftali-Botwin-Kompanie«. Plötzlich wird es still, Fäuste werden in die Luft gereckt und es ertönt – zunächst noch ein wenig verhalten, spätestens ab dem Refrain jedoch umso wahrnehmbarer – die Internationale: »Agrupémonos todos, en la lucha final. El género humano es la internacional.«
Damals ein Lazarett der Republik – das Hotel Voramar in Benicássim Foto: Archiv
Die singende Menschentraube vor dem Hotel, das während des Spanischen Bürgerkrieges als Hospital für die Internationalen Brigaden diente, hat sich hier zusammengefunden, um als Teil einer internationalen Reisegruppe 80 Jahre nach ihrer Gründung auf den Spuren der Internationalen Brigaden zu wandeln. Delegationen aus mehr als 15 Ländern sind vertreten, um an Schauplätzen der damaligen Auseinandersetzungen ein öffentliches Gedenken zu veranstalten. Ein Unterfangen, das im postfranquistischen Spanien noch immer keine Selbstverständlichkeit darstellt.
Viele der Teilnehmer sind selber Nachfahren von ehemaligen Spanienkämpfern. So wie Zuza Ziółkowska, eine junge Künstlerin aus Warschau, deren Großvater Gershom Hercberg in der »Naftali-Botwin-Kompanie«, einer ausschließlich aus jüdischen Freiwilligen bestehenden Einheit, kämpfte. »Aufgrund der sozialen Ungerechtigkeit, mit der mein Großvater tagtäglich in Polen konfrontiert war und weil er der festen Überzeugung gewesen ist, dass niemand diskriminiert werden sollte, kam er früh mit der kommunistischen Bewegung in Kontakt. 1933, als er gerade mal 16 Jahre alt war, ging er nach Palästina und wurde schon bald zum Sekretär der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei«, erzählt Zuza. Von dort aus machte er sich 1937 auf den Weg nach Spanien, um sich den Interbrigaden anzuschließen, an deren Seite er bis zum Ende des Krieges kämpfte. »Für Eure und Unsere Freiheit«, steht in hebräischen Lettern auf der Fahne der Kompanie geschrieben, in der ihr Großvater gekämpft hat und die Zuza mit sich herumträgt. »Für diesen Einsatz ist ihm nicht nur seine polnische Staatsbürgerschaft abgesprochen wurden«, erinnert sie sich, »sondern er wurde nach dem Krieg zudem vier Jahre lang in verschiedenen Internierungslagern in Südfrankreich und Algerien gefangen gehalten.«
Angehörige der Naftali-Botwin-Kompanie, einer rein jüdischen Freiwilligeneinheit Foto: Archiv
Knapp 300 Kilometer nördlich von hier, in Barcelona, wurde am 19. Juli 1936 die Olimpiada Popular, die sogenannte Volksolympiade eröffnet. Zu der als Protestveranstaltung gegen die im faschistischen Deutschland stattfindenden Olympischen Sommerspiele geplanten Volksolympiade waren etwa 6000 Athleten aus 22 Ländern angemeldet. Doch da sich in diesen Tagen ebenfalls hochrangige Teile des spanischen Militärs erhoben, um gegen die Volksfrontregierung der zweiten spanischen Republik zu putschen, sollten diese Wettkämpfe nicht mehr stattfinden. Ein Großteil der angereisten Athleten verließ daraufhin schlagartig das Land, nur ein kleiner Teil verblieb noch in der Stadt, um sich den, in Reaktion auf den Putschversuch schlagartig formierenden Milizen aus ArbeiterInnen und Soldaten anzuschließen. Diese knapp 200 Athleten bildeten somit den Vorläufer für das, was wenig später als ein beispielloser Akt der internationalen Solidarität im Kampf gegen den Faschismus in die Geschichte eingehen sollte, die Formierung der Internationalen Brigaden.
In mehreren Bussen begibt sich die etwa 100 Menschen zählende Reisegruppe ins Landesinnere, weg von der Erholung versprechenden Mittelmeerküste, hinein in die karge und durch absolute Reizlosigkeit geprägte Landschaft der Provinz Kastilien-La Manchas. Genauer gesagt, in deren Hauptstadt Albacete, in der während des Bürgerkrieges das Hauptquartier der Internationalen Brigaden seinen Sitz hatte. Dies war der erste Anlaufpunkt für all die Freiwilligen, die sich im Rekrutierungsbüro in der Rue Lafayette in Paris gemeldet hatten und von dort aus mit dem sogenannten Freiwilligenexpress über Perpignan und Barcelona schlussendlich in jener Region landeten, in welcher der Schriftsteller Miguel Cervantes Jahrhunderte zuvor seinen tragischen Romanhelden Don Quijote in den aussichtslosen Kampf gegen die berühmten Windmühlen schickte.
Auch wenn es anmaßend wäre, den Kampf der Spanischen Republik gegen den sich erhebenden Faschismus als aussichtslos zu bezeichnen, so war es doch von Beginn an eine militärische Auseinandersetzung, deren Kräfteverhältnisse unausgeglichener kaum hätten sein können, wie Joseph Almudever (97), einer der wenigen noch lebenden Interbrigadisten, beim offiziellen Empfang im Rathaus von Albacete betont. »Wie kann man bei diesem Krieg, der mit so einer starken internationalen Unterstützung geführt wurde, heute noch ernsthaft von einem Bürgerkrieg sprechen?«, eröffnet er seinen Redebeitrag. »Diejenigen, die damals wie Juan Carlos I. oder heute das Arschloch von Mariano Rajoy noch von einem reinen Bürgerkrieg sprechen, sind genau diejenigen, die verschweigen, dass es eben das faschistische Deutschland und Italien gewesen sind, die den Franquisten die größte Unterstützung zukommen ließen und dadurch erst die Niederlage der Republik ermöglichten.« Applaus flammt auf im Saal des Rathauses, Joseph, der in der 129. Brigade, der sogenannten Brigada Mixta gekämpft hat, kommt kurz ins Stocken, seine Aufgewühltheit ist ihm anzusehen. Danach fährt er mit sich leicht überschlagender Stimme fort: »Doch diese militärische Unterstützung seitens der Faschisten ist nicht das Entscheidende gewesen. Der Verrat an der spanischen Republik und an der Demokratie hat in dem Moment begonnen, als das Komitee für Nichteinmischung in die Angelegenheiten Spaniens beschlossen hat, uns fallen zu lassen – und das unter Federführung der Sozialisten in der französischen Volksfrontregierung.«
Am nächsten Tag findet in der Ciudad Universitaria in Madrid die Abschlusszeremonie der Reise statt. Gegenüber dem Gebäude der Studierenden kommen wir vor einer schlichten Metallstele zusammen, in die ein dreizackiger roter Stern eingelassen ist. Es handelt sich um ein Denkmal für die Interbrigaden, das erst fünf Jahre zuvor mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen Universitätsdirektors José Carrillo errichtet worden ist.In diesem Viertel tobten beim ersten Angriff der Putschisten auf die Hauptstadt im November 1936 erbitterte Kämpfe; noch heute zeugen viele Fassaden der backsteinverklinkerten Universitätsgebäude mit ihren unzähligen Einschusslöchern davon. Almudena Cros, Vorsitzende der Asociación de Amigos de las Brigadas Internacionales (Vereinigung der Freunde der Internationalen Brigaden) und eine der Organisatorinnen der Reise, betont bei diesem Anblick noch einmal die Notwendigkeit, in Zeiten eines europaweiten Aufschwunges rechtspopulistischer bis offen faschistischer Bewegungen auch weiterhin für eben jene Werte einzustehen, von denen der Kampf der Interbrigaden einst geprägt gewesen ist: Solidarität, Antifaschismus, Menschlichkeit.
Wie stark die Nachwirkungen des Franquismus sich selbst ins Stadtbild Madrids eingeschrieben haben, wird uns erst auf dem Rückweg ins Zentrum bewusst. Vor wenigen Minuten standen wir noch vor dem bescheidenen Denkmal für die Interbrigaden. Als wir jetzt die Avenida Arco de la Victoria entlanglaufen erstreckt sich vor uns plötzlich ein gut 50 Meter hoher Triumphbogen, der gewissermaßen den symbolischen Eingang zur Universitätsstadt darstellt. 1956 auf Geheiß Francos in Gedenken an die gefallenen franquistischen Soldaten errichtet, die bei der ersten Belagerung Madrids im November 1936 noch am Widerstand der republikanischen Armee und der Interbrigaden scheiterten, steht er heute stillschweigend und unkommentiert da, als Zeuge einer bis heute – wenn überhaupt – nur halbherzig aufgearbeiteten Epoche der spanischen Geschichte.
Mit der nun angebrochenen zweiten Amtszeit des konservativen Premiers Rajoy wird sich an diesem durch franquistische Kontinuität geprägten, Geschichtsverständnis von staatlicher Seite her wohl kaum etwas ändern. Daher klingen uns beim Anblick dieses bombastischen Bauwerkes auch noch immer die abschließenden Worte Almudenas im Ohr, die sagte: »Vielen Dank für die Arbeit, die Ihr in Euren Ländern fortführt. Wir müssen weiter arbeiten, um den Faschismus mit der Waffe der Bildung zu besiegen! Sie wird von den Faschisten gefürchtet. Setzt Eure antifaschistische Arbeit und die Bildungsarbeit über die Internationalen Brigaden sowie über die Gefahr des anwachsenden Faschismus fort.«
Der Historiker Eric Hobsbawm schrieb einmal: »Damals lief für alle, die gegen den Faschismus kämpften, die entscheidende Front in Spanien.« Noch 80 Jahre nach seinem Ausbruch beschäftigt der Spanische Bürgerkrieg viele Menschen. Es werden noch – oder erst – heute Denkmäler im Gedenken an die rund 40 000 internationalen Freiwilligen aufgestellt, die der Spanischen Republik ab 1936 aus der ganzen Welt zu Hilfe eilten. Im russischen Samara beispielsweise steht seit Ende Oktober eine Stele, die an die EinwohnerInnen der Wolgastadt erinnern soll, die in Spanien kämpften. Tatjana Sheglichewa, Sekretärin der Gedenkvereinigung der sowjetischen Freiwilligen, sagte laut Medienberichten, dass es bis heute nicht gelungen sei, im Moskauer Siegespark ein vergleichbares Denkmal zu errichten.
In Wuppertal ist noch bis Ende November eine Ausstellung über die 45 Freiwilligen aus der Stadt zu sehen. Ihre Biografien sowie die unterschiedlichen Lebenswege werden beschrieben, die sich nach Ende des Bürgerkrieges mal treffen und mal über die ganze Welt ziehen. Unter den Wuppertalern, die nach Spanien gingen, waren der spätere DDR-Innenminister Friedrich Dickel oder der Résistancekämpfer und spätere DDR-Botschafter in der ČSSR, Walter Vesper.
Eine große Personengruppe, die außer in romantisierenden Darstellungen der Frau mit Waffe, oft zu wenig betrachtet wird, sind die Frauen, die an der Bewegung gegen den franquistischen Putsch teilnahmen. Von Ingrid Schiborowski und Anita Kochnowski ist Ende Oktober eine umfassende biografische Dokumentation erschienen, der eine zehnjährige Recherche vorausging. Die Autorinnen sammelten biografische Daten, Material über die berufliche, geografische und politische Herkunft von Milizionärinnen, Krankenschwestern, Ärztinnen, Journalistinnen, Kraftfahrerinnen und Dolmetscherinnen. Frauen erkämpften sich im vom Katholizismus geprägten Spanien eine völlig neue Rolle, heißt es in der Ankündigung zum Buch. Sie ersetzten die Männer, die an der Front waren, in den Fabriken und gingen in die Politik. Im Buch enthalten sind Angaben über 3331 Frauen, denen die Autorinnen in vielen Ländern nachgespürt haben. Oft seien nur die Namen geblieben, doch die allein zeigten, dass es auch der Mut und die Kenntnis dieser Frauen waren, »die den Widerstand gegen Franco so lange aufrecht hielten«. jme
Ingrid Schiborowski, Anita Kochnowski (Hg.). Frauen und der spanische Krieg 1936 – 1939. Eine biografische Dokumentation edition ost, Verlag am Park, 652 Seiten, brosch., 29,99 Euro.
Quelle: neues deutschland, nd, Berlin-Ausgabe vom Donnerstag, 17. November 2016, Seite 3