„Unsere Heimat ist heute vor Madrid. Ein großes Nachschlagewerk über deutsche Spanienkämpfer.“ Von Mario Keßler, Potsdam

Unsere Heimat ist heute vor Madrid. Ein großes Nachschlagewerk über deutsche Spanienkämpfer

Rechtzeitig zum 80. Jahrestag des Beginns des Spanienkrieges ist ein voluminöses Nachschlagewerk mit den Namen und – wo immer diese aufzufinden waren – biografischen Angaben von 3.531 ermittelten Spanienkämpfern erschienen. Sie kämpften in den Interbrigaden, aber auch in Militäreinheiten der Spanischen Republik, bei den Anarchisten und in der Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit (Partido Obrero de Unificación Marxista; POUM), taten als Ärzte oder Krankenpflegerinnen ihren Dienst oder berichteten als Journalisten. Ebenso wenig fehlen Schriftsteller oder Künstler wie Ernst Busch, dessen Lied über »Spaniens Himmel« mit der Zeile »Unsere Heimat ist heute vor Madrid« zu der Erkennungsmelodie der Internationalen Brigaden wurde, vergleichbar allenfalls noch mit Paul Robesons »Ol’ Man River«.

Werner Abel/Enrico Hilbert
»Sie werden nicht durchkommen«
Band 1: Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution

Lich (Hessen): Edition AV, 2015, 567 S., 45,00 €.

Es gab bislang weder im internationalen Rahmen noch für den deutschen Sprachraum ein ähnlich groß angelegtes Nachschlagewerk, obgleich auch das in zweiter Auflage 2008 von Hans Landauer und Erich Hackl herausgebrachte »Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer« immerhin 386 Namen enthält (ebenfalls eine große Zahl, bedenkt man den Größenunterschied zu Deutschland).
Die Herausgeber und Hauptautoren Werner Abel und Enrico Hilbert stützen sich auf ein schier unfassbar umfangreiches gedrucktes Material, aber auch auf Archivalia aus Berlin, Moskau und Madrid, darunter auch Bestände über die Interbrigaden des Servicio de Información Militar, des Militärgeheimdienstes der Spanischen Republik. Dessen Akten wurden im Spanienkrieg auch von den spanischen Kommunisten genutzt, um linke Kritiker ausfindig zu machen, insbesondere wenn diese bei der POUM oder den Anarchisten kämpften, wirkliche oder angebliche Sympathisanten Trotzkis waren – es war bekanntlich auch die Zeit der Moskauer Prozesse.
Man erfährt viel über menschliche Schicksale: Wer wusste schon, dass Peter Blachstein, der der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) im Exil angehörte, im POUM-Bataillon kämpfte und von der im Hinterland »arbeitenden« stalinistischen Geheimpolizei festgenommen wurde? Anfang 1938 gelang ihm als einem von wenigen die Flucht nach Frankreich, von wo er nach Norwegen und später nach Schweden ging. Der Marxist, Jude und Homosexuelle blieb im Nachkriegsdeutschland benachteiligt. Die Kanzlerschaft Willy Brandts – er fehlt natürlich nicht im Lexikon – bedeutete auch hier eine Zäsur: Blachstein wurde Botschafter in Jugoslawien; einer von sehr wenigen Antifaschisten im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik, in dem so viele (wirklich immer geläuterte?) frühere Nationalsozialisten noch immer das Sagen hatten. Viele Biografien zeigen auf bedrückende Weise, was Patrick von zur Mühlen in seinem Buch »Spanien war ihre Hoffnung« (Bonn 1985) zuerst empirisch belegt hatte, nämlich die systematische Ausgrenzung und oft auch Diffamierung der Spanienkämpfer in der Bundesrepublik, wo das Wort »Rotspanien« als Bezeichnung für die Spanische Republik mehr ausgespuckt denn ausgesprochen wurde. Ihr Einsatz für die parlamentarische Republik wurde den Interbrigadisten nicht auf die Rente angerechnet – die Angehörigen der »Legion Condor« hatten es da besser.
Die DDR-Offiziellen, von denen nicht wenige tatsächlich in den Interbrigaden gekämpft hatten, rühmten ihr Land als die wahre Heimstatt der Spanienkämpfer, doch waren, wie auch dieses Lexikon zeigt, die Defizite gleichfalls erheblich: Wie Josie McLellans Buch »Antifascism and Memory in East Germany« (Oxford 2004) belegen auch die hier abgedruckten Biografien ein um das andere Mal die äußerst selektive Erinnerungspolitik. Wer in der POUM, der KPD-Opposition, der SAP, bei den Trotzkisten oder Anarchisten mitgemacht hatte, musste dies in der DDR verschweigen. Kam es heraus, drohten und folgten oft Repressalien. Die Aberkennung der Rente als »Kämpfer gegen den Faschismus« war das Mindeste, worauf auch Reiner Tosstorff in seinem Vorwort hinweist (weiter am Band beteiligt waren Dieter Nelles, Friedrich Villis und Harald Wittstock sowie der Verleger Andreas Hohmann).
Bei der Vielzahl der Fakten können Fehler nicht ausbleiben. Hingewiesen sei nur auf zwei falsche Angaben: Anna Siemsen war, anders als im Buch behauptet, keine Jüdin (sondern protestantische Pfarrerstochter), und Gerhart Eisler war in den USA zu keiner Zeit der konspirative Leiter der Niederlassung des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU (Glavnoe Razvedyvatel’noe Upravlenie; Hauptverwaltung für Aufklärung). Doch ist erstaunlich, wie relativ wenige Fehler es sind.
Da die Kriterien der Aufnahme in das Lexikon die deutsche Staatsbürgerschaft oder die Zugehörigkeit zu einer deutschen Partei waren, fehlen einige Namen deutschsprachiger Spanienkämpfer, die als Österreicher, Tschechen, Slowaken, Ungarn oder Rumänen tätig waren. Dennoch muss das Fehlen einer solchen Zentralgestalt wie Manfred Stern (General Kléber) verwundern, zumal seine Brüder Leo und Wolf mit ihren Biographien vertreten sind. Manfred Stern war zwar in der Tat zumeist außerhalb der KPD tätig, doch gehörte er ihr im Herbst 1923 an, als er in den dann missglückten Aufstandsplanungen für einen »deutschen Oktober« eine zentrale Rolle spielte.
Über vieles wäre noch und über vieles lässt sich mit Gewinn diskutieren. Insgesamt ist dieses Lexikon nicht nur von historischem Wert, sondern sollte auch als ein Lehrstück über den Umgang mit der Vergangenheit in verschiedenen Zeiten gelesen werden.

Mario Keßler, Potsdam.

Quelle: SozialismusAktuell, Heft Nr. 7/8 | Juli/August 2016 | 43. Jahrgang | Heft Nr. 409

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Redaktion KFSR