Ein Brief aus Spanien an Heinrich Brandler [1]
Werner, Abel in „Sozialismus“, Nr. 7/2016
Valencia, 16. Juni 1937. An diesem Tag wurde nach einer beispiellosen medialen Kampagne die führenden Funktionäre des Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM), der Arbeiterpartei der marxistischen Einheit, verhaftet. Das kam einem Verbot der Partei gleich. Die kleine linkskommunistische Partei, die wohl nicht mehr als 15 000 Mitglieder und ihre wichtigsten Wirkungsstätten vor allem in Katalonien, in Valencia und der Extremadura hatte, war 1935 aus dem Zusammenschluss der Izquierda Comunista um Andreu Nin und Juan Andrade und dem Bloque Obrero y Campesino um Joaquín Maurín und Julián Gorkin hervorgegangen. Nin, der früher in der Sowjetunion gelebt und dort mit Leo Trotzki zusammengearbeitet hatte, war wegen seiner Zugehörigkeit zur Linken Opposition ausgewiesen worden, Zudem stand der POUM der Volksfrontpolitik der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und der Kommunistischen Internationale kritisch gegenüber, weshalb die Partei von den Stalinisten als „trotzkistisch“ denunziert wurde. Vor der Folie der seit 1936 geführten Moskauer Prozesse gegen die alte bolschewistische Elite war das ein tödlicher Vorwurf. Als diese Partei dann über ihren Sender vielsprachig über die Moskauer Prozesse informierte und gar noch den Antrag in Erwägung zog, den verstoßenen Leo Trotzki, der Norwegen verlassen musste und im Januar 1937 in Mexiko angekommen war, Asyl in Spanien zu gewähren, war das Maß für die Stalinisten voll. Allerdings hatten es zu dieser Zeit schon erhebliche Differenzen zwischen Trotzki und der Führung des POUM ergeben, so z.B. wegen dem Eintritt Nins am 26. September 1936 als Justizminister in die katalanische Generalitat, die den Charakter einer Volksfront-Regierung trug. Andreu Nin hatte am 16. Dezember 1936 diesen Posten auf sowjetischen Druck wieder aufgeben müssen, der gleiche Druck sorgte dafür, dass der POUM nicht in die alle Parteien berücksichtigende republikanische Verteidigungsjunta aufgenommen worden war.
Die Kommunisten hatten von der Regierung des Linkssozialisten Largo Caballero das Verbot des POUM gefordert, die Sowjetunion machte weitere Waffenlieferungen davon abhängig, dass diese Partei aus dem politischen Leben verschwindet. Caballero lehnte ab. Am 3. Mai 1937 versuchten auf Befehl von Eusebio Rodriguez Salas, Mitglied des PSUC (Partido Socialista Unificado de Cataluña) und Direktor für Öffentliche Ordnung, ein Aufgebot aus Guardia de asalto und Guardia Civil, also Einheiten der Bereitschaftspolizei, das Gebäude der „Telefónica“ auf der Plaça de Catalunya in Barcelona zu besetzen. Da aber dieses Gebäude laut dem katalanischen Kollektivierungsdekret vom 24. Oktober 1936 gemeinsam von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Confederación Nacional de Trabajo (CNT), der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT) und Vertretern der Generalitat verwaltet wurde, leisteten vor allem die CNT-Milizionäre energisch Widerstand. Der damit entstandene Funke sprang auf die Stadt über, in der die Stimmung zwischen jenen, die wie der PCE vor allem die bürgerliche Republik verteidigen, und denjenigen, die die Abwehr der franquistischen Putschisten mit der Vertiefung der sozialen Revolution verbinden wollten, ohnehin einen Siedepunkt erreicht hatte. Es kam zu Kämpfen in der Stadt, die bis zum 9. Mai anhielten. Der POUM hatte sich mit der CNT solidarisiert, die Regierung setzte Truppen gegen die kämpfenden Arbeiter ein und schließlich rief die CNT-Führung zur Niederlegung der Waffen auf. Damit war der Revolution das Rückgrat gebrochen worden. Da sich der PCE nicht offen mit der noch immer mächtigen CNT anlegen wollte, wurden die Ereignisse, auch genannt „semana trágica“ („tragische Woche“) als „POUM-Putsch“ denunziert. Am 15. Mai traten die kommunistischen Minister Jesús Hernández und Vicente Uribe im Kabinett Caballero zurück. Damit war dessen Regierung am Ende und er musste demissionieren. Sein Nachfolger wurde der Rechtssozialist Juan Negrín. Hernández und Uribe nahmen ihre alten Posten wieder ein. Der Verfolgung des POUM waren nunmehr keine Grenzen mehr gesetzt. Jetzt ging es verstärkt darum, den POUM einer Kollaboration mit den rechten Putschisten unter Francisco Franco und den Nazis zu bezichtigen. Nach der Ermordung von Andreu Nin wurde gegen die inhaftierten Mitglieder des Exekutivkomitees des POUM ein Prozess angestrebt, den Reiner Tosstorff als „Moskauer Prozess in Barcelona“ bezeichnet.[2] Die Vorbereitungen zu diesem Prozess, die von massiven Protesten und Solidaritätsaktionen im In- und Ausland begleitet worden waren, mündeten schließlich in dem vom 11. bis 22. Oktober 1938 vor dem „Gericht für Spionage und Hochverrat“ in Barcelona. Der Prozess bedeutete zwar eine nachträgliche Legalisierung des POUM-Verbots, endete aber nicht, wie die Stalinisten gehofft hatten, mit einer Verurteilung der POUM-Führung wegen Kollaboration mit dem Faschismus. Die Republik, deren Ende fünf Monate später besiegelt sein sollte, hätte in diesem Augenblick wahrlich Wichtigeres zu tun gehabt.
Eine schmähliche Rolle in der POUM-Affäre hatte die im republikanischen Spanien im Geheimen wirkende „Abteilung Abwehr und Gegnerarbeit der KPD“ gespielt. Sie nutzte ihre Kenntnisse über deutsche oppositionelle Kommunisten, Linkssozialisten und Anarchosyndikalisten, die in Spanien aktiv waren und den Ausländersektionen des POUM und der CNT angehörten. Für den POUM waren das neben später bekannteren Personen wie Willy Brandt, Peter Blachstein, Max Diamant und Siegmund Neumann z.B. Walter Schwarz [3], Richard Monden [4], Ewald König, Karl Breuning, Waldemar Bolze, Kuno Brandel , Else Homberger, Hans Sittig, Eva Laufer, Gisela Wintergerst, Charlotte Margolin, Ernst Steinhoff, Gustav Weitguß, Erika und Hubert Giepen, Richard Durban, Ernst Galanty (d.i. Isidor Klappholz)und andere mehr. Viele dieser Deutschen gehörten dem von Hans Reiter kommandierten Bataillon „Choque“ der Lenin-Division des POUM an und waren nach der Auflösung dieser Division verhaftet worden. Der Verhaftungswelle fielen auch Frauen zum Opfer. Da alle die Verhafteten der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) oder der KPD(O) angehörten, waren sie schon deshalb der KPD verhasst. Diese verschwieg ihre Genugtuung nicht, dass diese Personen in der Regel von der republikanischen Geheimpolizei verhaftet wurden oder die nächstbeste Gelegenheit nutzen mussten, um Spanien zu verlassen. [5] Da die KPD in Spanien selbstverständlich die stalinistische Charakterisierung des POUM als „trotzkistisch-faschistisch“ übernahm, musste es sich in ihrem Verfolgungs- und Klassifizierungswahn verheerend auswirken, wenn sie den POUM als die „spanische SAP“ bezeichnete. [6] Waren die SAP und der POUM Mitglieder des „Londoner Büros“, des internationalen Zusammenschlusses linkssozialistischer Parteien, so gehörte die KPD(O) der Internationalen Vereinten Kommunistischen Opposition an. Obwohl es zwischen ihnen oft taktische Differenzen gab, waren sowohl SAP- als auch KPD(O)-Mitglieder Angehörige der Ausländersektion des POUM.
Heinrich Brandler und August Thalheimer, die sich zu dieser Zeit im Pariser Exil befanden und von dort die Arbeit der KPD(O) leiteten, nahmen lebhaft Anteil an den spanischen Ereignissen. Thalheimer hatte vom 16. November bis 2. Dezember 1936 Katalonien besucht und dort auch Andreu Nin gesprochen. Die Reise war durch Walter Schwarz, von Brandler als offizieller Vertreter in Spanien eingesetzt, organisiert worden. Schwarz hatte zeitweilig auch die internationalen Verbindungen des POUM koordinierte. Ewald König, den Thalheimer auch traf, gab zu der Zeit das deutsche Bulletin des POUM heraus, eine Funktion, von der er bald abgerufen werden sollte. Offensichtlich im Ergebnis der Reise Thalheimers bat Heinrich Brandler dann im Frühjahr 1937 um eine politisch-militärische Analyse der Situation in Spanien. Daraufhin verfassten Karl Brauner und Ernst Galanty ein 30-seitiges Papier, das Richard Monden zur Kenntnis nahm und das vorerst bei ihm deponiert wurde. Monden, zu dieser Zeit 35 Jahre alt, war von Brandler beauftragt worden, die KPD(O) beim Exekutivkomitee des POUM zu vertreten und ihm einige Fragen z.B. hinsichtlich des Zentralkomitees der antifaschistischen Milizen und der politischen Kommissare zu beantworten.
Monden, der inzwischen am 16. April 1937 selbst an die Huesca-Front gefahren war und dem 2. Bataillon der Lenin-Division angehörte, beriet sich über Brandlers Fragen mit Walter Schwarz, der sich mit Unterbrechung vom 22. April 1937 bis zum 21. Juni an der Front befand und Politkommissar im Bataillon „Choque“ gewesen war. Schwarz, der in Barcelona den „Kontrollpatrouillen“ angehört hatte, die dem Zentralkomitee der antifaschistischen Milizen unterstanden, kannte auch aus dieser Zeit das Milizsystem sehr genau. Monden beriet sich mit ihm, über die Ergebnisse dieser Beratung setzte er Brandler in dem hier abgedruckten Brief in Kenntnis.
Nun gab es zwischen Brandler und den KPD(O)-Genossen in Spanien wie Monden und Schwarz erhebliche Differenzen hinsichtlich der Haltung zum POUM, nur Ewald König, der mit seiner Frau auf der Rambla in Barcelona einen antifaschistischen Buchladen betrieb, billigte hingegen die Position Brandlers. Er wurde deshalb von der Herausgabe des Internationalen Bulletins des POUM entbunden, Monden und Schwarz verlangten, dass König seine nach Paris gehende Post zur Kontrolle vorlege.
Brandler war die Kritik des POUM an der Innenpolitik der Sowjetunion zu radikal, außerdem störten ihn wohl die angeblich zu vielen Trotzkisten in den Reihen der Partei. Mit dem POUM, so meinte er, hätte man an die Schaffung einer neuen Internationale denken können, das allerdings in scharfer Abgrenzung zu der im Entstehen begriffenen IV. Internationale. Andererseits aber schätzte er die bejahende Haltung des POUM gegenüber der Zerschlagung des alten Staatsapparats in Spanien und der Schaffung von Räten.[7] Den KPD(O)-Genossen in Spanien aber war das zu wenig. In einer Resolution gegen die zurückhaltende Politik Brandlers forderten sie einen stärkeren Anschluss an den POUM und einen Zusammenschluss aller revolutionären Kräfte in dieser Partei. Kritik gab es auch daran, dass wohl keine offizielle KPD(O)-Delegation zum für den 20. Juli 1937 geplanten Internationalen Kongress des POUM vorgesehen war.[8] Die KPD(O) verfügte über einen gemeinsam mit der SAP genutzten Illegalen Kurierweg an Otto und Kläre Schwarzkopf in Paris V. Rue du Pont de Fer 18. Von dort ging die Post an Heinrich Brandler, der in der Avenue Cemaril 10 lebte, und auch weiter in andere Länder wie z.B. England, Schweden und Norwegen. Sowohl dieser Kurierweg als auch die Adressen waren der KPD-Abwehr bekannt. Am 25. Juli 1937 verhaftete die stalinistische Geheimpolizei, vermutlich der DEDIDE (Departamento de Información del Estado) Richard Monden, danach Ewald König und Karl Brauner und am 14. August 1937 Walter Schwarz (Ernst Galanty befand sich zu dieser Zeit bei einer Einheit der früheren Columna Durruti und jetzigen 26. Division und war deshalb geschützt). Dabei fand sie auch eine Abschrift des von Monden an Brandler verfassten Briefes. Eine Kopie davon erhielt die KPD-Abwehr, in deren Akten sie erhalten blieb. Der Brief beantwortet wichtige Fragen, die sich aus dem damaligen Verhältnis von Krieg und Revolution ergaben. Er ist deshalb ein aufschlussreiches Dokument, das die Situation der ersten Monate, die auf republikanischer Seite hauptsächlich durch das Milizsystem geprägt waren, anschaulich illustriert. Hauptsächlich geht es um drei bis heute umstrittene Fragen: War das Milizsystem ausreichend, um die Putschisten abzuwehren? War das Komitee der antifaschistischen Milizen eine Institution der Doppelherrschaft, die an einem bestimmten Punkt die republikanische Regierung ablösen sollte? Sollte die republikanische Armee nach dem sowjetrussischen Vorbild von einer „Roten Armee“ abgelöst werden?
Der Brief ist nicht datiert, wurde aber vermutlich am 24. Mai 1937 geschrieben. Die Kopie trägt keine Unterschrift, die maschinenschriftliche Anrede „Lieber Heinz“[9] ist handschriftlich mit „Brandler“ ergänzt.
„Lieber Heinz!
Meinen letzten Brief vom April, in dem ich Dir mitteilte, dass ich an der Front geblieben bin, wirst Du wohl erhalten haben. Ich wollte inzwischen nicht eher schreiben, bis ich mich hier eingelebt hatte. Darüber aber weiter unten. Gelegentlich einer ausführlichen Unterhaltung mit Walter, die schon im April stattgefunden hat, stellte ich eine Reihe von Fragen, die W. wie folgt beantwortete:
- Wie entstand das Zentralkomitee der Milizen in Barcelona und welche Aufgaben und Funktionen hatte es sich angeeignet?
Antwort: Im Juli 1936 hatte die offizielle Regierung ihre Macht verloren. Die Arbeiterorganisationen hatten schon vor dem Aufstand am 18./19. Juli Vereinbarungen über die Bewaffnung ihrer Militanten getroffen. Im Verlauf dieser Vorbereitungen und während des Straßenkampfes selbst bildeten sich spezielle Organe (Komitees), die alsbald die Basis für das spätere Zentralkomitee der Milizen darstellten.
Die Bedingungen für den Eintritt in die ersten Milizen bestanden darin, dass der Betreffende Mitglied einer Arbeiterorganisation sein musste oder die Beglaubigung eines den Arbeiterorganisationen bekannten Bürgers haben musste. Die Waffen sind durch die Komitees der Parteimilizen verteilt worden. Es handelte sich hauptsächlich um Waffen, die erst im Straßenkampf erobert und beschlagnahmt worden waren.
In den Aufstandstagen bildete sich eine eigene revolutionäre Gesetzlichkeit heraus. Die Gesetzlichkeit des kapitalistischen Privateigentums war mit einem Schlag aufgehoben worden. Was die kämpfenden Arbeiter an Kasernen, Hotels, Häusern, Läden, Geschäften und Magazinen erstürmt und expropriiert hatten, das wurde unmittelbar das Eigentum der jeweiligen Organisationen, der die Arbeiter angehörten. Vor dem beschlagnahmten Privateigentum stellten die Milizen ihre Wachen auf, um Plünderungen zu vermeiden. Die Verteilung der beschlagnahmten Sachwerte (Lebensmittel etc.) erfolgte an Jedermann, soweit er im Besitz eines Ausweises einer proletarischen oder linksbürgerlichen Organisation war. Zum Teil war infolge dieser Anordnung eine gewisse Verschwendung nicht zu vermeiden.
Alle Regierungsämter waren verlassen oder verschlossen. Die Regierungsgewalt wurde faktisch von jenen Organisationen ausgeübt, die auch am Straßenkampf teilnahmen, das waren Die CNT, FAI, POUM und zum Teil die UGT und die Esquerra. [10]
Sie bildeten gemeinsam, proportional ihrer Kraft, die erste revolutionäre Regierung, die ganz und gar von dem im Kampfe gebildeten Komitees abhängig war. Die Guardia Civil und die Guardia (de) Asalto, soweit sie sich auf die Seite der Arbeiter stellten, hatten unmittelbar ihre früheren Offiziere entlassen und Soldatenräte geschaffen, die mit der neuen revolutionären Regierung zusammenarbeiteten.
Ein großer Teil der Milizen hatte im Anschluss an den siegreichen Strassenkampf die Offensive gegen die Faschisten draußen im Lande aufgenommen. Das Zentralkomitee der Milizen entstand auf Grund der Tatsache, dass die Front verpflegt und die unmittelbaren Bedürfnisse des Krieges und des Hinterlands gestillt werden mussten. Die Transportmittel, ebenso die Konsumtionsmittel waren ausschließlich in die Hände der CNT und UGT übergegangen. Infolgedessen mussten sich die Vertreter dieser Organisationen und der Parteimilizen zusammensetzen, um die Fragen der Produktion und der Distribution zu regeln. Dadurch ergab sich, dass das Z.K. der Milizen in der ersten Zeit die faktische Macht hatte. Später wurde bekanntlich die Frente-Popular-Politik wieder restauriert, zunächst aber gewissermaßen auf revolutionärer Basis.
- Ersetzte das ZK der Milizen zugleich auch das militärische Oberkommando?
Antwort: Ja, mehrere Monate lang, bis Finanzschwierigkeiten durch die Machinationen der Madrider Regierung auftauchten. Die Madrider Regierung hatte inzwischen „Verteidigungsräte“ gebildet, die (die) ausschließlicheHerrschaft der Komitees der Milizen paralysieren und wenn möglich ganz und gar brechen sollten.
Die Genossen im militärischen Oberkommando des Zentralkomitees der Milizen wurden jeweils von der Partei bestimmt, die im ZK vertreten war. In Bezug auf die militärische Qualifikation dieser Genossen ist folgende Bemerkung zu machen. Der spanischen Arbeiterklasse fehlt die Schule des rein militärischen Kampfes. Sie verfügt aber über eine reiche revolutionäre Tradition. Jede revolutionäre Partei im früheren Spanien hatte eine interne militärische Abteilung, der speziell die Aufgabe oblag, die Partei in einem permanenten Verteidigungszustand vor den Übergriffen des bürgerlich-feudalistischen Staates oder gewisser „civiler“ reaktionärer Organisationen zu halten.(?) Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass jede revolutionäre Organisation ihren eigenen militärischen Apparat hatte. Diese spezifische Einrichtung ist schon viele Jahre vor der spanischen Revolution gang und gäbe gewesen. In den proletarischen Organisationen wurden gewisse Beiträge für den Unterhalt ihres militärischen Apparates erhoben. Diese militärischen Abteilungen lassen sich in gewisser Hinsicht mit dem M.- und N.-Abteilungen [11] vergleichen, wie sie auch in den kommunistischen Parteien Westeuropas anzutreffen waren.
Die Klassenkämpfe in Spanien waren seit jeher heftiger und brutaler als im bürgerlichen Europa, wo der parlamentarische Kampf gewöhnlich überwog. Die großen Streiks in Spanien wurden in den meisten Fällen auf der Basis der Anwendung des proletarischen Terrors gewonnen. Mitunter kam es vor, dass auch chemische Mittel, wie selbstbrennbare Flüssigkeiten etc. im Streikkampf angewendet wurden. Bewusst herbeigeführte Entgleisungen der Straßenbahnen, Sprengungen, bewaffnete Teilkämpfe gegen Polizei und Militär, Brandbomben usw. – all das waren langjährig erprobte Kampfmittel, durch die sich die spanischen Arbeiter zur Wehr setzten. Die revolutionäre Kriegskunst der früheren Zeit, die sich in bürgerkriegsähnlichen Klassenkämpfen der spanischen Arbeiter herausgebildet hatte, schuf eine eigene Waffentechnik. Unter Gil Robles [12] wurden fast alle 2 Monate geheime Waffenwerkstätten ausgehoben. Die illegale Bewaffnung und die Fähigkeit für eigene Waffentechnik und Waffenbedienung war infolgedessen bei einemn großen Teil der Arbeiterfunktionäre vorhanden. Insofern mangelte es nicht an militärischen Kräften für das militärische Oberkommando im Zentralkomitee der Milizen. Das bezieht sich natürlich nur auf die erste Zeit der Kämpfe an der Front.
- Weshalb wurde das Z.K. der Milizen aufgelöst?
Antwort: Das Z.K. der Milizen konnte zwar die ersten größeren Kämpfe und die Verpflegung der Front in die Wege leiten. Aber die Form dieser Organisation war unproduktiv. Dem Z.K. der Milizen fehlte die Basis der Produktion. Es fehlte ihm die Macht, mit dem Ausland Handel zu treiben, es fehlte ihm die Staatsmacht. Große Schwierigkeiten waren deshalb unvermeidlich und darum ergab sich, als die Revolution weitergetrieben wurde, die Möglichkeit für eine reformistische Politik, die übrigens von Russland in einem ganz außerordentlichen Maße gefördert wurde.
- Zur politischen Verfassung der Truppen an der Front. Sind die politischen Kommissare eine offizielle Einrichtung? Bei welchen Truppen?
Antwort: Ja. Die politischen Kommissare bestehen in allen Truppen an unserer Front, sogar auch bei dem verhältnismäßig kleinen Truppenteil der Esquerra. Offiziell heißen sie „Comisario de guerra (Kriegskommissare). Sie werden von der Valencia-Regierung [13] ernannt und haben Offiziersrang. Jede Kompanie hat außerdem einen „delegado político“ (politischen Delegierten), der den leitenden Offizieren zur Verfügung steht. Die 4 politischen Delegierten unterstehen den politischen Kommissar. Sie sind dienstfrei. Vom Bataillon angefangen, ist der politische Kommissar dem Bataillonskommandanten oder Divisionskommandanten gleichgestellt. Das Kriegsministerium ernennt die Mitglieder des Kriegskommissariats, das alle seine Verfügungen durch das Kriegskommissariat gegenzeichnen lassen muss.[14]
Die Division Lenin [15] hat das Recht, ihre politischen Kommissare zu ernennen, die von der Valencia-Regierung beglaubigt werden müssen. Das ist die Folge der offiziellen Anerkennung der Division Lenin durch die Valencia-Regierung, die jetzt im April erfolgte. Die Regierung gibt den „Comisarios de guerra“ keine konkreten Anweisungen oder Dienstvorschriften. Die politischen Kommissare der Division Lenin werden von dem politischen Kommissar der Division kontrolliert, der in unmittelbaren Kontakt mit der Zentralregierung steht. Der politische Kommissar wird von der Valencia-Regierung auch besoldet.
- Bestehen Bestimmungen über Aufgaben und Rechte der politischen Kommissare?
Antwort: Offiziell, wie gesagt, keine. Die POUM hat gegen die Abfassung solcher Bestimmungen früher opponiert, weil mit der offiziellen Anerkennung der politischen Kommissare noch nicht viel erreicht ist.
- Welche Stellung nimmt die POUM dazu ein?
Antwort: Sie verlangt genaue Konkretisierung der Aufgaben und Rechte der politischen Kommissare im revolutionären Sinne.
- Nach welchen Gesichtspunkten vollziehen die politischen Kommissare gegenwärtig ihre Arbeit?
Antwort: Bei der offiziellen Beglaubigung der politischen Kommissare durch die Valencia-Regierung wird selbstverständlich die stillschweigende Anerkennung der Regierungspolitik gefordert. Bei entsprechender politischer Aktivität der Kommissare ist der Propaganda ihrer eigenen politischen Gesichtspunkte ein weiter Spielraum gegeben.“
Quellen und Anmerkungen:
[1] Dieser Brief, den Richard Monden aus Spanien an Heinrich Brandler schrieb, wird weder in der Brandler-Biographie von Jens Becker, Hamburg 2001, erwähnt, noch von Theodor Bergmann in „Gegen den Strom“. Die Geschichte der KPD(Opposition, Hamburg 2001. Theodor Bergmann skizziert aber hier in seiner Darstellung der Zusammenarbeit zwischen POUM, KPD(O) und SAP den Hintergrund, vor dem dieser Brief geschrieben wurde. Der Brief bzw. dessen Kopie befindet sich im Komintern-Archiv unter der Signatur RGASPI 545-2-147, S. 188-191.
[2] Reiner Tosstorff, Die POUM in der spanischen Revolution, 2. erweiterte Auflage, Köln/ Karlsruhe 2016, S. 126 ff. Vgl.Ders. Die POUM im spanischen Bürgerkrieg, Frankfurt/M. 1987. Weitere Informationen auf den Seiten der Fundación Andreu Nin: www.fundanin.org
[3] Zu Walter Schwarz vgl. die Kurzbiografie bei Theodor Bergmann, Gegen den Strom. Die Geschichte der KPD(Opposition), Hamburg 2001, S. 534. Schwarz war aber nicht nur Soldat, sondern auch Politkommissar des Bataillons „Choque“.
[4] Zu Richard Monden vgl. die Kurzbiografie bei Theodor Bergmann, a.a.O., S. 499. In dieser Biographie steht, Monden sei 1937 in Spanien von der GPU verhaftet worden. Die GPU gab es seit 1934 nicht mehr , sie war durch das NKWD abgelöst worden. Richtig ist vielmehr, dass Monden durch die spanische Geheimpolizei (siehe im Text weiter unten) verhaftet wurde, die allerdings von den sowjetischen Organen unterwandert und teilweise angeleitet worden war.
[5] vgl. das Dokument der KPD-Abwehr vom 7.10.1937 „Übersicht über Spionage und Agentenarbeit in Spanien“, RGASPI 545-2-147, S. 1 – 47
[6] vgl. den Brief „Liebe Freunde…“ vom Anfang August 1937, RGASPI 545-6-359, S. 92
[7] Nach dem eingangs geschilderten Verbot des POUM und dem weiteren Schicksal der spanischen Revolution sowie der Eskalation des Terrors in der UdSSR änderte Brandler seine kritischen Haltung gegenüber dem POUM.
[8] Die KPD-Abwehr verfügte über einen „Freund“ in den Reihen der „Brandler-Gruppe“ in Spanien, dessen Identität noch nicht geklärt werden konnte. Dieser „Freund“ war Kontaktperson von Fritz V. Hinter diesem Kürzel, das eigentlich für „Fritz Valencia“ steht, verbarg sich mit Wilhelm Tebarth einer der Spitzenleute der KPD-Abwehr, der schon in Deutschland und später in Frankreich und Spanien den Decknamen „Fritz Schimmel“ benutzte. Von ihm stammen alle hier genannten Informationen über das Verhältnis Brandler, „Brandler-Gruppe“ und POUM, siehe RGASPI 545-2-147, S. 125
[9] „Heinz“ war der Deckname, den die KPD(O)-Genossen in Spanien für Heinrich Brandler benutzten.
[10] FAI – Federación Anarquista Ibérica; ERC – Esquerra Republicana de Catalunya
[11] Das ist eine Anspielung z.B. auf den Militär- und den Nachrichtenapparat der KPD
[12] Gil Robles (1898-1980) – Politiker der rechten Sammlung CEDA (Confederación Española de Derechas Autónomas, Kriegsminister (1935) in den Kabinetten Lerroux und Chapaprieta
[13] Wegen der Belagerung von Madrid durch die Franquisten hatte die republikanische Regierung ihren Sitz nach Valencia verlegt.
[14] Dieser Satz wirkt zunächst unlogisch, ist aber nur ungeschickt formuliert. Er meint, dass das Kriegsministerium das Kriegskommissariat ernennt, weil dieses bis hinunter in die Bataillonsebene die Anordnungen und Befehle des Kriegsministeriums bzw. der nachfolgenden Kommandostrukturen gegenzeichnen musste.
[15] Die Division Lenin war die größte Kampfeinheit des POUM, zu ihr gehörte das Bataillon“Choque“, in dem Walter Schwarz Politkommissar war, und das 2. Bataillon, in dessen Reihen Richard Monden zeitweilig kämpfte. Nach dem Verbot des POUM wurde die Lenin-Division aufgelöst und als 29. Division der Spanischen Volksarmee neu gebildet. Insgesamt hatte der POUM wohl über 6000 Kämpfer verfügt.