Tagesthema Internationaler Kindertag- Mittwoch, 1. Juni 2016 neues deutschland
Der Internationale Tag des Kindes, 1948 von der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) vorgeschlagen, wird in über 145 Staaten der Welt begangen, um auf die besonderen Bedürfnisse der Kinder aufmerksam zu machen. Zuvörderst ist dies Frieden.
Niños españoles
Die Internationalen Brigaden kümmerten sich vor 80 Jahren um spanische Flüchtlings- und Waisenkinder
Wie in jedem Krieg waren auch in dem, den die Generäle um Franco mit dem Putsch gegen die spanische Volksfrontrepublik entfachten, Kinder die wehrlosesten Opfer. Sie erfuhren Solidarität.
Von Werner Abel
Als die Internationalen Brigaden am 3. Oktober 1937 den ersten Jahrestag ihrer Gründung begingen, veröffentlichte das Kriegskommissariat der Brigaden die »Promesas«, die Versprechen an das spanische Volk. Eines davon galt den Kindern, eingeschränkt zunächst auf Kinder der spanischen Angehörigen der Interbrigaden: »Wir versprechen, an der Schaffung und Erhaltung eines Heimes mitzuarbeiten, das den spanischen Kindern dienen soll, deren Väter in den Reihen der Internationalen Brigaden gefallen sind.« Die Internationalen Brigaden setzten sich nicht nur aus Ausländern zusammen, in ihren Reihen kämpften auch spanische Freiwillige und Rekruten. 1938, als der Zustrom der Internationalen schwächer wurde, bestanden sie teils bis zu 70 Prozent aus Spaniern.
Die Fürsorge der Internationalen Brigaden für die spanischen Kinder ist ein zu Unrecht vergessenes Kapitel des vor 80 Jahren mit dem Putsch der Generäle am 17./18. Juli 1936 entflammten Spanienkrieges. Die Bereitschaft zu helfen war so groß, dass es nicht bei einem Heim blieb. Das Thälmann-Bataillon der XI. Brigade baute das von ihr beschlagnahmte Lustschloss der Marquesa de Cubas-Herice zum Kinderheim um. Danach entstand im Sanitätszentrum Murcia das Kinderheim »Campo Lukacz«, benannt nach dem an der Huesca-Front gefallenen ungarischen Schriftsteller Máté Zalka, der unter dem Pseudonym General Lukacz die XII. Brigade befehligt hatte. In Benisa gab es das Heim »Solidaridad«. Und als franquistische Flieger das Waisenhaus in der Villa Beimler in Benicàssim zerstörten, wurde dieses in den Bergen als Heim »Amistad« wieder aufgebaut. Wohlgemerkt: In Benicàssim gab es keine militärischen Objekte, nur Hospitäler und Erholungsheime. Und ausgerechnet dort wurde ein Waisenhaus von den Putschisten bombardiert. Die Empörung war natürlich groß, und die Internationalen und Republikaner zogen Konsequenzen daraus.
Weitere Heime gab es in Denia, Valdeganga und Beniajan, in Orihuela und Jacavilla, die zwar der Roten Hilfe gehörten, über die aber die Internationalen Brigaden die Patenschaft übernahmen. Vereine und Institutionen aus der Schweiz, England, Norwegen, Frankreich und den USA stellten Mittel zur Verfügung. Bald ging es nicht mehr nur um die Kinder spanischer Angehöriger der Interbrigaden, sondern auch die politisch engagierter Eltern oder solche, die in vom Bombenterror besonders gefährdeten Regionen lebten, wie z. B. in Barcelona.
In der katalanischen Hauptstadt wurde am 1. Januar 1938 vom Kommissariat der Internationalen Brigaden, das 150 000 Pesetas bereitstellte, in Zusammenarbeit mit der katalanischen Roten Hilfe und in Abstimmung mit dem Unterrichtsministerium der spanischen Volksfrontrepublik das Comité Pro-Niños Españoles gegründet. Das Logo des Komitees zeigte einen Helm, unter den sich die Kinder vor Luftangriffen flüchten. Die überlieferten Spendenlisten der monatlich durchgeführten Sammlungen zeigen die große Bereitschaft der Interbrigadisten und ihrer spanischen Kampfgefährten, für die Kinder einen Teil ihres ohnehin geringen Solds abzugeben. Allein am 7. Februar 1938 wurde beispielsweise eine Spende von 76 687 Pesetas abgerechnet. Mit dem Geld sollten in allen größeren und kleineren Städten sowie anderen geeigneten Ortschaften Heime entstehen, in denen den Kindern nicht nur Schutz vor dem Krieg gewährt, sondern auch ihre gesundheitliche Betreuung und schulische Ausbildung garantiert würden.
Diese hehre Absicht konnte nur verwirklicht werden, wo Einheiten der Interbrigaden stationiert waren oder wo sich deren Sanitäts- und Rehabilitationszentren befanden. Andernorts schienen die lokalen Verwaltungen derart überfordert zu sein, dass man dort den Gedanken von Musterheimen wieder aufgab und sich statt dessen auf Speiseräume, Spielplätze und Ausbildungsstätten konzentrierte, an denen Kinder des Ortes und Flüchtlingskinder gemeinsam versorgt wurden.
Das Komitee unterstand dem Vorsitzenden des Kriegskommissariats und Generalinspekteur der Internationalen Brigaden, dem italienischen Kommunisten Luigi Longo (Gallo). Es wurde geleitet von dem aus dem Elsass stammenden Arzt Dr. Alfred Brauner, dem u. a. deutsches Sanitätspersonal – Dr. Anja Hammerstein, Dr. Fritzi Brauner und Gertrud Lüdke –, die Österreicherin Dora Kaiser, der Engländer Henry Stuart und der Spanier Hero Escobar zur Seite standen.
Unterstützt wurde das Komitee aus dem Ausland von linken Zeitungen. Patenschaften übernahmen internationale Organisationen wie das Welt-Frauenkomitee gegen Imperialismus und Krieg. Von deutscher Seite engagierten sich für die spanischen Kinder die Deutsche Freiheitsbibliothek in Paris und namhafte Intellektuelle wie Alfred Kantorowicz, Gustav Regler und Erich Kuttner, der 1942 im KZ Mauthausen ermordet wurde.
Im Juni 1938 verteilte das Komitee Fragebögen an 160 Kinder, die aus Prat de Llobregat, einem Ort am Rande von Barcelona, stammten, und wegen der ständigen Bombardements evakuiert werden mussten. Die Antworten der Kinder gehören zu den anrührendsten Dokumenten, die aus dem Spanienkrieg überliefert sind.
Auf die Frage »Woran erinnert dich der Krieg?« antwortete der zwölfjährige Juan Lozente Maresma: »An Bombardierungen, Hunger, Flugzeuge, Schiffe, Truppen, Tote, Verletzte.« Und wo möchte er leben? »In der UdSSR.« Warum? »Weil es die Nation der Arbeiter ist.« Was möchte er gerne einmal werden? »Pilot.« Auf die Frage, wie er sich das Leben nach dem Sieg der Volksfrontrepublik vorstelle, erwiderte Juan: »Viel Freude, Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Arbeit und Essen.« Auch der elfjährige Luis Milicin Espi wollte Flieger werden, »um Franco zu vernichten und die Spanische Republik zu schützen«.
Wie Juan wollte ebenso die zehnjährige Mercédes Riera Reixac gerne in der UdSSR leben; sie wollte Lehrerin werden, »um mehr zu wissen«. Carmen Caheache Alés, sieben Jahre alt, sah sich gleichfalls schon im Beruf einer Lehrerin und wäre gern in die Sowjetunion gereist, weil es das »Vaterland der Pioniere« sei. Dem sechsjährigen Angel Cortés Garcia gefiel »Russland«, weil es dort »Essen und Spielzeug« gäbe. Auch Gloria Rubio Mingez, elf Jahre, hat gehört, dass es den Menschen in der UdSSR gut ginge; als ihren Berufswunsch gab sie Schneiderin an, »um Kleidung für die Kämpfer nähen zu können«. Fast alle Kinder träumten von einem Fahrrad. Einige wollten statt in die Sowjetunion nach Mexiko, Frankreich, England oder in die USA. Genug zu essen war der Wunsch aller Kinder. Dieser konnte zumindest in den Heimen der Internationalen Brigaden erfüllt werden, sogar als den Kämpfern selbst das Brot knapp wurde.
Am 21. Juli 1938 rief das Komitee gemeinsam mit der Roten Hilfe die spanischen und katalanischen Kinder auf, ihr Leben vor dem Krieg, im Krieg sowie ihre Vision von einem Leben nach dem Krieg, im Frieden, zu zeichnen. Geplant war eine Ausstellung, die durch alle großen Städte der Welt touren sollte. Dazu ist es nicht mehr gekommen.
Mit der sich verschlechternden militärischen Situation für die Republik mussten auch die Hospitäler und Kinderheime evakuiert werden. Aber auch nach dem Abzug der Internationalen Brigaden von der Front im September 1938 sorgten die Brigadisten weiter für die spanischen Kinder. Unter anderem galt es, ihre Flucht nach Frankreich zu sichern.
Es waren geschätzt 60 000 Kinder, denen die »Voluntarios de la Libertad«, die Freiwilligen der Freiheit, wie die Interbrigadisten in Spanien genannt wurden, zu einem Platz in Heimen und Kindergärten verhalfen. Nicht überliefert ist, wie viele von jenen Kindern den Krieg, die Flucht und die auch vor ihnen nicht halt machende Rache der Franquisten überlebten.
Quelle: nd, Berlin-Ausgabe vom Mittwoch, 1. Juni 2016, Seite 2
Sie malten den Krieg
… und wünschten sich
Frieden und Glück
Von Karlen Vesper
Ich habe zum Glück keinen Krieg erlebt; er pochte bei uns nur einmal kurz an die Tür: in New Delhi in den 1960ern, als wegen eines Grenzkonfliktes mit Pakistan einige Tage lang Verdunkelung für Indiens Hauptstadt verordnet war, weil Luftangriffe befürchtet wurden. Für uns Kinder war das abenteuerlich, bei Kerzenschein eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen zu bekommen. Damals wurde mir und meinem Bruder zudem eine besondere Ehre zuteil: Unsere Mutter, Mitglied der Jury von Shankar’s International Children’s Competition, bat uns bei der Auswahl der besten Zeichnungen von Kindern aus aller Welt behilflich zu sein. Quasi mit Kinderblick. Das war aufregend. Hunderte Zeichnungen, auf dem Boden ausgebreitet. Es gab viele schöne, lustige: »Fröhlich sein und singen« aus der Sowjetunion, der DDR, Kuba … Und viele sehr traurige, aus Vietnam, aus Südafrika …
K. Shankar Pillai (1902-1989) war ein berühmter indischer Cartoonist, Leiter eines Kinderbuchverlages, Herausgeber eines politischen Magazins und 1949 Initiator eben jenes Internationalen Wettbewerbs für Kinderzeichnungen. An die Hunderttausend sind bei dem auch nach seinem Tod weiterarbeitenden Wettbewerbskomitee eingetroffen. Nicht so viele, aber immerhin über 2000 Kinderzeichnungen aus Krisen- und Kriegsgebieten sammelten Françoise und Alfred Brauner, Gründungsmitglieder der französischen Sektion der »Ärzte gegen den Atomkrieg«. Sie begannen damit im Spanischen Bürgerkrieg, hinzu kamen alsbald Bilder aus faschistischen Konzentrationslagern, sodann aus Hiroshima, Vietnam und Kambodscha, Afghanistan, Libanon, Israel und Palästina, aus der Westsahara, El Salvador, Guatemala, Bosnien, Kroatien, Tschetschenien und Sierra Leone. In ihrem Buch »J’ai dessiné la guerre« (»Ich habe den Krieg gezeichnet«) veröffentlichten sie über 200 Bilder aus ihrem Fundus. Etwa 70 Zeichnungen fanden Aufnahme in einer Wanderausstellung, die bis dato in über 150 Städten in Deutschland, in den Niederlanden, der Schweiz und Österreich, in Frankreich und Südafrika gezeigt wurde und aus der die hier abgedruckten Bilder stammen.
Françoise Brauner (1911- 2000), gebürtige Pariserin, ging 1936 als Ärztin nach Spanien. Alfred Brauner (1910-2002), aufgewachsen in Wien und vor den Nazis nach Frankreich geflohen, folgte ihr 1937; er wurde in Spanien mit der Leitung des Komitees für Flüchtlingskinder der Interbrigaden beauftragt. Nach dem Sieg der Franco-Putschisten betreute das Ehepaar in Frankreich jüdische Kinder, die 1939 mit einem der letzten Kindertransporte aus Hitlerdeutschland fliehen konnten. Im Jahr darauf, nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht, schlossen sich die Brauners der Résistance an und entgingen mehrmals nur knapp der Verhaftung durch die Gestapo. Nach 1945 sorgten sie sich um 440 überlebende Kinder aus Auschwitz und Buchenwald. 1950 gründeten sie in Saint-Mandé, am Rande von Paris, die erste Tagesklinik für mehrfach behinderte Kinder in Frankreich.
Über 20 Millionen Kinder leben derzeit in Kriegsregionen, zehn Millionen gelten laut UNICEF als kriegstraumatisiert, und jeder zweite Flüchtling ist ein Kind.
Quelle: nd, Berlin-Ausgabe vom Mittwoch, 1. Juni 2016, Seite 2