Eine Reise mit Freunden der Spanischen Republik zum Internationalen Antifaschistischen Forum „Für Frieden und Freundschaft auf der Erde“ nach Moskau sowie zum 80. Geburtstag des ehemaligen Internationalen Kinderheims „E. D. Stasova“ (Interdom) nach Ivanovo vom 27. April bis zum 5. Mai 2013
Mehr als ein Reisebericht, unterwegs mit den Antifaschisten Hermann Müller, Hans Canjé und Victor Grossman
Dies ist ein erster Versuch, die vielfältigen Erlebnisse, persönlichen Eindrücke und Erinnerungen an die Reise in Worte zu fassen …
Wie hat eigentlich alles angefangen? Warum sind wir – Freunde und Mitglieder des KFSR – gemeinsam mit Isabel Pinar von der AABI und Salvador Bofarull nach Moskau und Ivanovo, einer Textilarbeiterstadt ca. 300 km östlich von Moskau, gereist? Im Vorfeld hat sich eine Zusammenarbeit entwickelt, die ich zum besseren Verständnis voranschicken möchte. Denn diese Reise ist eine sehr eindrucksvolle „Zwischenstation“, gleichzeitig auch Ausgangspunkt zukünftiger gemeinsamer Projekte.
Nach der gemeinsamen Reise nach Madrid – Albacete – Barcelona im Oktober 2011 hat uns unser Freund Nikolaj Manuilov im Februar 2012 nach Moskau eingeladen, zu einer Veranstaltung zum 75. Jahrestag der Gründung der Interbrigaden. Bei dieser Gelegenheit sollten wir unbedingt das ehemalige Internationale Kinderheim „E. D. Stasova“ (Interdom) in Ivanovo besuchen. Damit war ein Anfang gemacht – nicht nur mit dem Besuch des damaligen Museums des Interdoms, wo u. a. die Fahne der 11. Interbrigade hängt. Im Interdom – so berichtete uns die Leiterin des Museums Sofja Ivanovna Kuznezova mit viel Engagement – wohnten auch Kinder von Spanienkämpfern – so der Sohn von Dolores Ibárruri, Ruben Ruiz Ibárruri.
Zu unserem letzten Sommertreffen konnten wir eine größere russische Delegation mit Nikolaj Manuilov in Berlin begrüßen – darunter auch Galina Ivanovna Shevtchenko, die Leiterin des Interdoms, sowie Sofja Ivanovna Kusnezova, die Leiterin des dortigen Museums. Danach wurden wir durch einen regelmäßigen und umfangreichen Email-Kontakt über die Vorbereitung eines Internationalen Antifaschistischen Forums im ehemaligen Moskauer Pionierpalast – dem heutigen „Kreativpalast für Kinder und Jugendliche“ – informiert, ebenso über Veranstaltungen und Initiativen im Vorfeld: Dazu gehörte u. a. die Feier des 50. Geburtstages des Klubs der Internationalen Freundschaft „Juri Gagarin“, der seinen Sitz im Pionierpalast hat und dessen erste und langjährige Leiterin Maria Michailovna Soldatova wir während unserer Reise kennenlernten.
Ebenso erfuhren wir von Veranstaltungen anlässlich des Tages des Jungen Antifaschisten am 8. Februar diesen Jahres. Ein Tag, der sich im nächsten Jahr zum 50. Mal jährt und der ursprünglich nicht nur auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR ins Leben gerufen wurde. Es war die UN-Vollversammlung, die diesen Tag ab 1964 als internationalen Gedenktag beschlossen hatte. Es wäre sehr im Sinne des Vermächtnisses der Interbrigadisten, diesen Tag auch international wieder in der Öffentlichkeit zu begehen – gemeinsam mit unseren Freunden in Russland, Spanien oder anderswo auf der Welt. Denn nicht nur in der Vergangenheit haben viele junge Menschen ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus gelassen, so wie die Brigadisten für die Freiheit der Spanischen Republik 1936–1939 oder die jungen Antifaschisten während des 2. Weltkrieges, des Großen Vaterländischen Krieges. In der Gegenwart, unter den Bedingungen zunehmender sozialer Spannungen, sind neofaschistischer und rassistischer Ungeist in vielen Ländern der Welt aktiv. Diesen Tendenzen entschieden entgegenzuwirken – das ist Inhalt der Arbeit vieler zahlenmäßig kleiner Vereine, Verbände, Organisationen, so auch des KFSR, die sich zumeist durch Spenden und Mitgliedsbeiträge, weniger durch Fördergelder des Staates finanzieren.
In unserer eigenen Arbeit machen wir immer wieder die Erfahrung, dass langfristig nur durch eine Vernetzung – national und international – Wirksamkeit in der Öffentlichkeit erreicht werden kann. Dieser Weg gestaltet sich – bereits im nationalen Rahmen in den einzelnen Ländern – nicht immer einfach, kann aber vor allem durch persönliche Kontakte neue Impulse erhalten und Erweiterung erfahren. Unsere Teilnahme am Internationalen Antifaschistischen Forum in Moskau verstehen wir als einen kleinen Beitrag in dieser sich erst am Anfang befindlichen Zusammenarbeit.
Diese und viele andere Gedanken im Gepäck traten wir – 11 Freunde und Mitglieder des KFSR – am 27. April die Reise nach Moskau an. Dort wurden wir von den Freunden der Internationalen Abteilung des Moskauer Kreativ-Palastes für Kinder und Jugendliche herzlich empfangen und die nachfolgenden Tage fürsorglich betreut. Immer mit dabei: unser Freund und Internationalist Nikolaj. In Moskau trafen wir auch auf Isabel Pinar und Salvador Bofarull, die der Einladung zum Internationalen Forum aus Spanien gefolgt waren.
Im Folgenden kann nur von einigen Höhepunkten der Reise berichtet werden:
28. April – Ehrung am Grabmal des Unbekannten Soldaten im Alexandergarten am Kreml
Dies war der Beginn des offiziellen Reiseprogramms, das von Anfang an immer wieder durch viele spontane Erlebnisse und Begebenheiten ergänzt wurde. So die vielen Gespräche, in denen unser Freund Hermann Müller – mehrfacher Deserteur und Partisan im 2. Weltkrieg – Begebenheiten aus seinem ereignisreichen Leben und antifaschistischen Kampf an junge Menschen weitergeben konnte. Da wir die Fahne der 11. Interbrigade mitführen durften, wurden auch immer wieder Fragen zu deren Symbolik gestellt – so von Schülern der spanischen Schule in Moskau. Oder das Zusammentreffen mit Teilnehmern der „Auto-Stafette zum Tag des Sieges“ u. a. mit einem Helden der Sowjetunion, der an der Befreiung Berlins teilgenommen hat. Dieser Auto-Korso von Murmansk nach Wolgograd, durch alle Heldenstädte Russlands, der Ukraine und Belorusslands, wird vielfältig unterstützt, übrigens auch von staatlichen örtlichen Institutionen und dem russischen Bildungsministerium. Nicht zuletzt erinnerte ich mich am Grabmal des Unbekannten Soldaten, am Gedenkstein für die Gefallenen der Verteidigung Leningrads an meinen langjährigen Studienaufenthalt, Freunde in dieser Stadt mit ihrer so bewegenden Geschichte.
Am Nachmittag besuchten wir das Museum des Großen Vaterländischen Krieges am Poklonnaja Gora und nahmen an der Eröffnung der Ausstellung „Kinder und Krieg“ anlässlich des 80. Jahrestages des Interdoms teil. Darin wird der ca. 10 Millionen Kinder, die unter den Opfern des 2. Weltkrieges waren, gedacht. Aber auch der zahlreichen Kinder, die am bewaffneten Widerstandskampf gegen den Faschismus teilgenommen haben oder die schwere Arbeit im Hinterland leisteten und somit die Plätze ihrer Mütter und Väter an den Werkbänken, im Alltag zum Erhalt der Familien einnahmen. Unter den Teilnehmern des Großen Vaterländischen Krieges waren 54 Bewohner des Interdoms, 17 davon kehrten nicht zurück. Darunter die jungen deutschen Antifaschisten Rudolf Gundermann, Gustav Schütz, Elvira Eisenschneider, Kurt Römling.
„Покуда сердца стучатся – помните! Какой ценой завоевано счастье – пожалуйста, помните!“ (Р. Рождественский)
„Solange das Herz schlägt – erinnert Euch! Um welchen Preis dieses Glück erkämpft ist – bitte, erinnert Euch!“ (R. Rozhdestvenskij)
Das Interdom hat wesentlich zur Gestaltung der Ausstellung beigetragen. Zur feierlichen Eröffnung waren auch Kinder aus Ivanovo angereist, mit ihnen begrüßten uns ganz herzlich Galina Ivanovna und Sofja Ivanovna.
Während des Eröffnungsprogramms zeigten die Kinder des Interdoms einen Ausschnitt ihres beeindruckenden Programms zum 80. Geburtstag ihres Hauses. Der 2. Weltkrieg hat den Kindern ihre Kindheit genommen. Das Interdom Ivanovo – nach der Schließung des Kinderheimes der Internationalen Roten Hilfe in Elgersburg am 1. Mai 1933 eröffnet – versuchte alles, den Kindern ihre Kindheit zurückzugeben. Während des 2. Weltkrieges nahmen die Kinder des Interdoms in vielfältiger Form am Kampf gegen den Hitler-Faschismus teil. Mit ihrem Programm – viele Generationen später – zeigten die heutigen Kinder der Internatsschule „E. D. Stasova“, dass sie das Leben und den Kampf der Ivanovoer Kinder und Jugendlichen der 30er und 40er Jahre, aber auch das friedliche Zusammenleben der Kinder aus über 80 Ländern bis 1990 nicht vergessen haben, dass sie ihr Andenken bewahren und fortsetzen.
„Weg in die Zukunft“ („Путь в будущее!“) – so adressierte der gerade 20jährige Pole Pjotr Zharskij im September 1941 seinen Brief an das Interdom, auf dem Weg an die Front. Dies wurde zur Überschrift des Festprogramms. Wieviel hinter dieser Aussage steckt, kann man nur schwer erahnen: Die Brüder Zharskij erfuhren erst nach einigen Jahren, 1937 im Interdom, vom Schicksal ihrer Eltern: Sie wurden von der GPU verhaftet und erschossen. Die letzten Zeilen schrieb Pjotr 1942 von der Front an das Interdom – seitdem fehlt von ihm jede Nachricht …
Auf Schritt und Tritt wurde in diesen Tagen sehr bewegend deutlich: Geschichte und Aufarbeitung der Geschichte ist nie einfach, immer kompliziert und mit vielen individuellen Schicksalen verbunden. Dies spiegelte sich ebenso in den Gesprächen unserer drei Veteranen des antifaschistischen Kampfes Hermann Müller, Hans Canjé, Victor Grossman mit den russischen Kindern und Jugendlichen wieder.
29. April – Internationales Forum „Für Frieden und Freundschaft auf der Erde“ im Moskauer Kreativpalast der Kinder und Jugendlichen (ehemals Pionierpalast)
Der Veranstaltung ging eine Führung durch den ehemaligen Pionierpalast voraus. Dabei haben wir uns von den vielfältigen Freizeitangeboten überzeugen können: Sie reichen vom Schiffsmodellbau, dem Klub Junger Kosmonauten, der Fotografie, Tanzen, Singen, Sport, Ökologie und der Bibliothek bis hin zum Klub der Internationalen Freundschaft „Juri Gagarin“ und der Internationalen Abteilung. Ca. 16 000 Moskauer Schüler aus verschiedenen sozialen Schichten erhalten jährlich die Möglichkeit, unter professioneller Anleitung Phantasie, Kreativität, Kenntnisse und Fähigkeiten zu entwickeln. Diese Arbeit wird durch das Moskauer Bildungsministerium gefördert.
Antifaschistische Arbeit beginnt mit antifaschistischer Erziehung. Dazu gehört auch, sich mit dem Leben der Menschen verschiedener Nationalitäten und Kulturen, Religionen, sozialer Schichten bekannt zu machen und im friedlichen Zusammenleben mit ihnen aufwachsen zu können. Davon konnten wir uns auf dem Internationalen Forum ein Bild machen: Zahlreiche Tanz-, Musik- und Folklore-Ensembles stellten mit viel Lebensfreude einen kleinen Ausschnitt der Kulturen verschiedener nationaler und ethnischer Gruppen dar. Von einer bereits langjährigen Arbeit berichtete die antifaschistische Initiativgruppe „Frieden – der Welt!“ („миру мир!“). Deren Mitglieder besuchten ehemalige Konzentrationslager in Deutschland und Österreich und dokumentierten dies in einer Fotoausstellung.
In unserem kurzen Redebeitrag im Namen des KFSR und der VVN-BdA Chemnitz dankte ich nicht nur für die Einladung und Gastfreundschaft, sondern unterstrich auch unsere gemeinsame Aufgabe: den antifaschistischen Kampf, den Kampf gegen Krieg unter den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in der Gegenwart. Dieser kann nur erfolgreich sein, wenn wir ihn im internationalen Rahmen führen – nach dem Vorbild der Interbrigadisten, die ihr Leben für die Freiheit des spanischen Volkes eingesetzt haben, oder auch der Bewohner des Interdoms von Ivanovo.
In der Abschlusserklärung des Forums heißt es: „Für die Menschheit gibt es heute keine dringlichere Aufgabe als den Kampf für den Frieden in der Welt!“
Im Anschluss an die Veranstaltung reisten wir per Bus nach Ivanovo, wo wir in den frühen Morgenstunden des 30. April in der Internatsschule „E. D. Stasova“ (Interdom) ankamen. Die drei Tage in Ivanovo waren angefüllt mit herzlichen, freundschaftlichen Begegnungen mit den Kindern, Erziehern, Lehrern – allen Mitarbeitern des ehemaligen Interdoms. Wir wurden mit der Geschichte der Textilarbeiterstadt Ivanovo vertraut gemacht. Schließlich war es der Solidarität der Textilarbeiter aus Ivanovo zu verdanken, dass das Kinderheim der Internationalen Arbeiterhilfe (MOPR) am 1. Mai 1933 fertig gestellt wurde. Am 7. Juni vor 80 Jahren zogen die ersten 160 Kinder aus 27 Nationen ein. Es waren Kinder, deren Eltern im Kampf gegen Faschismus und Krieg verfolgt, eingesperrt oder ums Leben gekommen waren. Auch nach der Niederschlagung des Hitlerfaschismus blieb das Interdom eine Heimstätte für die Kinder von Widerstands- und Freiheitskämpfern, von Antifaschisten aus aller Welt.
Nach 1990 wurde aus dem Interdom eine Internatsschule für russische Kinder, die zumeist aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen. Heute leben und lernen ca. 350 Kinder gemeinsam bis zum Alter von 18 Jahren – zumeist aus Russland, aber auch aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und einige aus anderen Ländern. Seit 1961 gibt es eine eigene Schule, die wir ebenso besuchten wie die zahlreichen außerunterrichtlichen Zirkel (Mode-Studio, Kochzirkel, Werkstätten, Schwimmbad). Weit über 90% der Absolventen der Internatsschule beginnen im Anschluss an die Schule ein Studium. Inzwischen wurde das neue Interdom-Museum eröffnet, das wir – noch im Aufbau begriffen – besuchten. Auch im neuen Museum hat die Fahne der 11. Interbrigade ihren festen Platz. Wir erfuhren u. a., dass über 200 Kinder von Kämpfern der Spanischen Republik im Interdom eine zweite Heimat gefunden hatten.
Während unseres Aufenthalts haben wir einen kleinen Ausschnitt vom Alltag der Kinder des heutigen Interdoms miterlebt. Unvergesslich für uns alle waren die Teilnahme an der 1.-Mai-Demonstration, das Geburtstagsfest mit allen Kindern und der Abend mit Liedern am Lagerfeuer. Oder die Gesprächsrunde, in der Hermann Müller, Hans Canjé und Victor Grossman ihre sehr unterschiedlichen Erfahrungen im antifaschistischen Kampf an die Ivanovoer Kinder und Jugendlichen weitergeben konnten. Es war für uns eine große Ehre, an der Feier zum 80. Geburtstag des Interdoms teilzunehmen. Mit einer Geldspende von 500 € reihten wir uns in die Zahl der Gratulanten ein. Wir erlebten ein sehr bewegendes Programm der Kinder, die die verschiedenen Etappen der Geschichte des Interdoms eindrucksvoll darstellten. Ihr Engagement berührte uns so sehr, dass es unser größter Wunsch und unser schönstes Geschenk wäre, sie mit dem Programm, mit ihrer Geschichte und einer Fotoausstellung nach Berlin, nach Deutschland einzuladen. Wir werden alles daran setzen, um gemeinsam mit Hilfe deutscher und russischer Förder- und Spendenmittel dieses Ziel in die Tat umzusetzen.
Die Zeit war so angefüllt mit Gesprächen und Begebenheiten am Rande des Programms! Wir werden gern davon berichten und dabei helfen, dass sich sowohl für die Kinder in Ivanovo als auch im Moskauer Kreativ-Palast neue Freundschaften mit uns und Gleichgesinnten ergeben. Wir hoffen, dass unsere Reise zu einer weiteren konkreten Zusammenarbeit beiträgt. Durch die kameradschaftliche und herzliche Atmosphäre dieser Tage in Moskau und Ivanovo haben wir Kraft für unsere weitere Arbeit geschöpft. Dafür allen „Большое спасибо!“
Nehmen wir den Aufruf der Kinder und Jugendlichen von Moskau und Ivanovo als gemeinsamen Auftrag: „Das darf sich nicht wiederholen! Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“